Die Herausforderung kommt erst
Felix Krämer im Interview

16. Januar 2024 • Text von

Seit Oktober 2017 ist Felix Krämer Generaldirektor des Kunstpalasts in Düsseldorf, in welchem nach dreijähriger Schließzeit im November vergangenen Jahres die neue Sammlungspräsentation Eröffnung feierte. Im Interview erzählt Krämer, wie seine Magisterarbeit zur Eintrittskarte ins Museum wurde, was Garanten für eine erfolgreiche Ausstellung sind und inwiefern die Sammlung einer der Gründe für seine Vertragsverlängerung bis 2034 ist.

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Generaldirektor und künstlerischer Leiter der Stiftung Museum Kunstpalast in Düsseldorf, Foto: Andreas Endermann.

gallerytalk.net: Wie sind Sie zur Kunst gekommen?
Felix Krämer: Kunst war eigentlich immer da. Das hängt mit meiner Familie zusammen, die Mutter Balletttänzerin, der Vater Fotograf. So waren Musik, Tanz und Bild immerzu präsent. Daher entwickelte sich bei mir schon früh eine Affinität zum Bild, wobei es keine große Diskrepanz zwischen Kunst und Bild gab. Die Kunstfrage kam erst später auf und ist bis heute nicht so interessant für mich. Mit dem Begriff lässt sich ohnehin nur eine vage Richtung beschreiben, da keine übereinstimmende Definition von Kunst existiert. Also fokussiere ich mich lieber auf das Machen.

Wollten Sie selbst Künstler werden?
Folgerichtig gab es zunächst die Vorstellung, selbst Fotograf oder Künstler zu werden. Ich fertigte sogar eine Mappe an, aber mir wurde schnell klar, dass es durchaus talentiertere Menschen als mich gibt (lacht). Das Kreative an meinem Job macht mir aber bis heute besonderen Spaß und hilft mir bei der Arbeit. Der Weg ins Museum stand für mich dann bereits am Anfang des Studiums mit meinem Praktikum in der Kunsthalle Rostock fest.

Wie ging es für Sie nach dem Praktikum weiter?
Bei meinem Studentenjob in einer Diathek ging durch Zufall ein Anruf ein, dass ein freier Ausstellungsmacher Unterstützung bräuchte. Ich habe sofort reagiert, mich auf mein Fahrrad gesetzt und hatte eine halbe Stunde später den Job. Als Assistent habe ich dann parallel zu meinem Studium Ausstellungen für große Häuser in Wien, Tokio oder Hamburg organisiert und das Handwerk von der Pike auf gelernt. Während der Semesterferien absolvierte ich zusätzlich sehr viele Praktika, um mir bereits während des Studiums ein Netzwerk aufzubauen. Meine Magisterarbeit zu Vilhelm Hammershøi richtete ich schließlich so aus, dass ich daraus eine Ausstellung entwickeln könnte. Ich brannte für Hammershøi, der mir bis heute sehr nahe geht.

Ist Ihr Plan aufgegangen?
Tatsächlich wurde die Magisterarbeit zur Eintrittskarte ins Museum, denn ich durfte die Schau 2003 in der Hamburger Kunsthalle umsetzen. Diese Ausstellung wurde zum Glück so erfolgreich, dass ich daran anknüpfen konnte. Die Wahl des Themas für die zweite Ausstellung fiel auf Seestücke, also maritime Malerei, weil es kunsthistorisch relevant war, sich in Hamburg mit wenigen Leihgaben realisieren ließ und das Publikum interessierte. Das sind noch immer meine zentralen Kriterien.

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Einblick in die neuen Sammlungsräume, Foto: © Stefan Müller.

Sind diese drei Punkte die Garanten für eine erfolgreiche Ausstellung?
Ja, so würde ich das sehen. Erfolg meint nicht nur Besucherzahlen, auch wenn diese ein ganz wichtiges Kriterium sind. Sobald eine Ausstellung ohne Resonanz bleibt, finde ich es schwierig von einem Erfolg zu sprechen. Eine Ausstellung, die jedoch nur populär ist, aber keinerlei Inhalt hat und keine neuen Perspektiven auf Wissenschaft im ursprünglichen Wortsinn als Generierung von Wissen bietet, ist gleichermaßen uninteressant. Bezogen auf das dritte Kriterium könnten wir uns beide sehr schnell eine tolle Vermeer-Schau ausdenken, aber wir werden die entsprechenden Werke nicht bekommen.

Gibt es noch weitere Kriterien?
Darüber hinaus ist der ökologische Faktor ein weiterer wichtiger Punkt. Ist es wirklich immer notwendig, Leihgaben aus der ganzen Welt zu holen und diese für dreieinhalb Monate an die Wand zu hängen? Oder ginge das vielleicht mit ein wenig Kreativität auch anders? Ich merke allerdings, dass wir mit internationalen Leihgaben größere Medienresonanz erzeugen.

Also mit Blockbuster-Ausstellungen?
Blockbuster heißt für mich erstmal eine gut besuchte Ausstellung. Aber eine gut besuchte Ausstellung könnte rein theoretisch auch eine Sammlungspräsentation sein, wenn alle drei eben erwähnten Kriterien erfüllt sind.

Trafen die drei Kriterien auf Ihre zweite Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle zu?
Seestücke galten als altmodisches Thema. Allerdings nehmen Seestücke beispielsweise bei Caspar David Friedrich ein Drittel seines Schaffens ein, wovon einiges im Bestand der Hamburger Kunsthalle vorhanden ist. Bis dato gab es jedoch keinerlei Veröffentlichungen dazu. Interessant war es dann, die Seestücke mit der Geschichte über Aufrüstung im Kaiserreich und inwieweit die Kunst diese propagandistisch unterstützt hat zu verbinden. Es ließen sich spannende Geschichten mit einem Sujet erzählen, welches das Publikum grundsätzlich erstmal mag.

Hatten Sie zu diesem Thema ebenfalls geforscht?
Das Thema war zwar neu für mich, aber Kuratoren und Kuratorinnen sollten meiner Meinung nach zu Beginn auch nicht zu sehr mit dem betreffenden Thema vertraut sein. Wenn dieses beispielsweise Forschungsgegenstand der Doktorarbeit war, wird jeder Punkt spannend und die Außenperspektive geht schnell verloren. Erst über den Prozess des Ausstellungsmachens sollte man sich in das Thema eingraben und weitere Fachleute einbeziehen.

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Creamcheese-Raum, Blick Richtung Wandgemälde von Gerhard Richter, Foto: © Andreas Endermann.

Wie ging es dann weiter? 
Dank der erfolgreichen Ausstellung habe ich den Auftrag für eine Fortsetzung erhalten und eine feste Stelle bekommen. Der Übergang war also im doppelten Sinne fließend. Ich hatte viel Glück, dass ich immer in großen Häusern wie der Hamburger Kunsthalle, der Royal Academy of Arts in London, dem Städel oder jetzt im Kunstpalast arbeiten konnte. Das sind alles Häuser, die mit bestimmten Apparaten in bestimmten Umgebungen ausgestattet sind.

Sie waren im Städel verantwortlich für die Neupräsentation der modernen Sammlung. Hat Ihnen diese Erfahrung bei der Konzeption der Neupräsentation der Sammlung im Kunstpalast geholfen?
Ja, denn die Grundkonzeption ist im Städel nicht ganz anders. Gemeinsam mit Felicity Korn und Westrey Page haben wir uns im Kunstpalast bewusst nicht für eine klassisch kunsthistorische Hängung entschieden. Einen Schrank statt des Bellotto in der Blickachse zu platzieren, ist also nicht zufällig. Wir spielen ganz bewusst mit Erwartungen, wenn wir beispielsweise Kandinsky, Feininger und Schlemmer in einer Dreierhängung zeigen, während Jankel Adler eine eigene Wand erhält. Das bedeutet allerdings nicht, dass alles möglich ist. Natürlich ist die Präsentation kuratiert und kuratieren heißt immer eine Auswahl treffen.

Welche Auswahlkriterien gab es?
Es war mir zum Beispiel damals im Städel schon ein Anliegen, nicht nur eine rein männliche, europäische Kunstgeschichte zu erzählen. Wir betrachten die Sammlung als ganzen Körper und suchen nicht nur die vermeintlich populären Werke heraus. Dafür eignet sich die Sammlung des Kunstpalasts in besonderem Maße, weil sie so bunt und vielfältig ist. Die Struktur der Sammlung ist hier viel heterogener als im Städel und passt insofern vielleicht sogar noch besser zum Konzept. Damals im Städel war das bewusste Hinterfragen und Weiterdenken des Kanons noch eine größere Provokation. Heute ist das keine Provokation mehr.

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Creamcheese-Raum, Blick Richtung Theke, Foto: © Andreas Endermann.

Wird die Sammlung in der jetzigen Form unverändert bestehen bleiben?
In den nächsten Jahren wird es immer wieder auch Wechsel geben. Das Grundkonzept werden wir aber erstmal beibehalten. Damit meine ich die zugrundeliegende chronologische Struktur, die als eine Art Rückgrat der Präsentation dient. Ein konservatives Raster, über welches sich Gemeinsamkeiten herausarbeiten lassen. Es fängt schon im ersten Raum an, wenn Marienfiguren neben Werken aus Kambodscha und Tibet präsentiert werden. Sie kommen alle aus einer ähnlichen Zeit und stammen aus dem sakralen Kontext. In einer klassischen Hängung würden Europa und Asien allerdings getrennt präsentiert sowie der Mittelalterraum in dunkle Farbe gehüllt werden. Das sendet unterschwellige Botschaften, die eine bestimmte Sichtweise vorgeben.

Gibt es noch weitere Aspekte, an denen das deutlich wird?
Das betrifft gleichsam die Schilder, auf denen wir die Titel statt der Namen nach oben gesetzt haben. Die meisten Namen wüssten auch wir nicht, obwohl wir vom Fach sind. Schon früh lernen wir aber, dass die wichtigste Information ganz oben steht. Somit vermittle ich meinen Kunden permanent, dass sie das Wichtigste nicht wissen. In der Regel erfolgt eine Annäherung vielmehr über den Titel und die Darstellung. Wir denken die Präsentation somit von einem verbindenden Ansatz aus.

Also ist Ihnen der Vermittlungsaspekt besonders wichtig?
Genau, wir haben zum Beispiel darauf geachtet, dass man für das Verständnis der Texte kein Studium benötigt. Es werden wenig Fremdwörter verwendet und die Sätze haben alle eine bestimmte Länge. Zusätzlich zu den Texten gibt es eine App, die wir nur durch die exzellente Zusammenarbeit mit der Ergo technisch umsetzen konnten. Sie startet augenzwinkernd mit einem Avatar von mir im Eingangsbereich. Für Kinder bieten wir zudem eine über Tonieboxen abspielbare Audiotour an sowie eigene, kleine Räume mit extra niedrigen Klinken. Wobei, es sehr schön zu sehen ist, dass die Räume von Erwachsenen genauso gut angenommen werden (lacht).

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Einblick in die neuen Sammlungsräume, Foto: © Stefan Müller.

Ist die Neupräsentation der Sammlung der Grund, warum sie Ihren Vertrag ungewöhnlich lange bis 2034 verlängert haben?
Ja, wirklich ungewöhnlich lange (lacht). Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, die unbefristete Verträge haben, aber aus einer befristeten Situation heraus ist das natürlich sehr lang. Nein, das hängt vor allem damit zusammen, dass ich sehr gerne hier bin. Das Team verändert sich, der Rückhalt in der Stadt ist toll und im Freundeskreis sind jetzt deutlich über 3.000 Mitglieder mit einem Durchschnittsalter unter 50 Jahren. All das sind Parameter, die ich als Bestätigung unserer Arbeit wahrnehme.

War ein Wechsel keine Option?
Es wäre durchaus denkbar gewesen nach Eröffnung der Sammlung weiterzuziehen, da sich diese Rezepte auch auf ein anderes Haus übertragen ließen. Doch die eigentliche Herausforderung kommt erst noch. Die Neukonzeption der Sammlung war ein Kraftakt, aber jetzt gilt es ein Programm zu entwickeln, welches die Sammlung langfristig mitdenkt. Das ist es, was mich reizt. Dazu kommt, dass es natürlich auch private Gründe gibt. Ich habe drei Kinder, von denen zwei in Düsseldorf noch zur Schule gehen und hier glücklich sind. 

Gibt es bereits konkrete Pläne, die Sie in Zukunft in Düsseldorf umsetzen möchten?
Es gibt konkrete Pläne bezüglich des Ausstellungsprogramms. Es heißt aber auch zu überlegen, wie man mit der Sammlung weiterarbeitet. Ich hoffe, mir den analytischen Blick von außen beibehalten und immer wieder überraschen zu können. Ich rede ganz bewusst nicht von einer Dauerausstellung. Die Sammlung ist von Dauer, aber die Ausstellung nicht. Wir wollen immer wieder neue Anlässe für einen Besuch der Sammlung schaffen. Eigentlich ist die Präsentation ein bisschen wie eine Wunderkammer angelegt, in der es ständig Neues zu entdecken gibt.

Lässt sich die Hängung an der Wunderkammer historisch festmachen?
Wenn man die Hängung historisch verankern möchte, dann lässt sich Aby Warburg in seiner kulturell übergreifenden Suche nach Analogien als stärkster Einfluss benennen. Es gibt somit auch ein intellektuelles Fundament, aber Sie werden in der gesamten Präsentation nicht ein Mal den Namen Aby Warburg lesen. Das ist nicht notwendig.

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El Anatsui, Erdtuch, 2003, 510 x 530 cm, Aluminiumflaschendeckel, Kupferdrath, Düsseldorf, Kunstpalast, © El Anatsui, 2023, Foto: Achim Kukulies.

Gibt es abschließend gefragt einen Raum, der besonders gelungen ist?
Es gibt Räume, bei denen wir nochmal nacharbeiten müssen. Andere funktionieren bereits sehr gut. Zu letzteren gehört der kleine Raum mit den Hauben. Das sind Objekte, die man sonst nicht wirklich ansieht. Wir rücken sie jedoch als Highlights ins Zentrum einer modernen Präsentation. Dort gefällt mir die heterogene und zugleich homogene Mischung der Werke aus Malerei, Fotografie und Mode.

Gefällt Ihnen noch ein weiterer Raum besonders gut?
Weiterhin mag ich die Verbindung von El Anatsui und Rubens im Bronner Saal. Ich muss gestehen, dass mich die Kombination im Vorhinein ein wenig nervös gemacht hat, da wir die Werke nie zusammen gesehen haben. Wenn man jetzt davor steht, scheint es aber fast so, als hätte El Anatsui in Farbigkeit und Anordnung der Farbflächen auf den Rubens reagiert. Das ist schon ein merkwürdiger Zufall und es ist toll zu sehen, dass das Publikum zumeist vor El Anatsui statt vor dem Rubens verweilt. Die glitzernde Oberfläche besteht aus von der Straße aufgesammeltem Müll, der eine wahnsinnige visuelle Präsenz und Schönheit entwickelt, die sich gleichwertig neben dem Rubens behaupten kann.

Die Neupräsentation der Sammlung könnt ihr dienstags bis sonntags zwischen 11 und 18 Uhr im Kunstpalast, Ehrenhof 4-5, 40479 Düsseldorf besuchen.

Falls ihr noch mehr Interviews von uns lesen möchtet, schaut doch mal in unsere Interview-Reihe “Gute Laune mit”, in der wir mit Künstler*innen sprechen, deren Arbeit uns Freude macht, weil sie clever und humorvoll ist – vor allen Dingen nicht so unangenehm egal, wie vieles, dass wir vor Publikum mit wissendem Nicken bedenken und privat zum Gähnen finden.

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