Ninja Turtles, Ecstasy und Malewitsch Ausstellung im Düsseldorfer KAI 10
28. November 2023 • Text von Julia Stellmann
Was haben die Ninja Turtles, Ecstasy und Malewitsch gemeinsam? Sie alle dienen als formale und inhaltliche Bezugspunkte in der aktuellen Ausstellung “Bodies, Grids and Ecstasy” im Düsseldorfer KAI 10. In der Gruppenschau machen sich neun Künstler*innen digitale Ästhetik zu eigen und führen diese in den physischen Raum zurück. Sie veranschaulichen, was längst stattgefunden hat: ein ins Dreidimensionale ausgreifendes Flächenland.
Raster bedecken die Wände, teilen sie gleichmäßig in kleine Kästchen auf, erinnern an die Arbeitsfläche von Bildbearbeitungsprogrammen wie Photoshop. Davor ploppen Bilder gleich geöffneten Fenstern aus dem digital anmutenden Ungrund. Sie sind neben und übereinander auf der Arbeitsfläche platziert, knospen als Blüten aus der gerasterten Oberfläche und entpuppen sich bei näherem Hinsehen als collagierte Formspiele aus alltäglichen Materialien. Plastik, Styropor und Schaumstoff fügen sich hier aber nur scheinbar zu floralen Elementen, tragen ganz im Gegenteil in letzter Konsequenz zur Zerstörung eben dieser bei. Davor finden sich dürre, dunkelgrüne Drahtarchitekturen, die wie Rosenbögen oder Zäune die natürliche Welt zu ordnen versuchen.
Die raumgreifende Installation “Grids and Flowers” von Verena Issel empfängt die Besucher*innen im von Privatsammlerin Monika Schnetkamp getragenen Düsseldorfer KAI 10, bildet eine Art begehbaren Spielplatz in der Ausstellung “Bodies, Grids and Ecstasy”. Pastellfarbene, in ihrer Haptik an Marshmallows erinnernde Formen scheinen dem gesellschaftskritischen Inhalt kaum vereinbar gegenüberzustehen. So sehr Körper und Raum im digitalen Flächenland auch zu verschwinden drohen, mit solcher Nachdrücklichkeit kehren sie beispielsweise in Form des ökologischen Fußabdrucks wieder zurück. Issel gewährt über mit regenbogenfarbenen Polstern ausgestattete Sprossen Eingang in die Gruppenschau, führt aus der gerasterten Fläche in den haptisch erfahrbaren Raum.
Die Ästhetik des Spiels ist etwas, das sich gleich einem roten Faden durch die Ausstellung zieht. In Beate Gütschows Arbeiten finden sich zum Beispiel in abgeschlossenen, perfekt anmutenden Räumen Menschen, die Spielfiguren in Simulationen ähneln. In unbestimmter Distanz und aus nicht festgelegtem Blickwinkel schauen die Betrachter*innen auf zunächst alltäglich wirkende Szenerien in Parks. Mittels Fotogrammetrie überträgt Gütschow die aufgenommenen Bilder jedoch in die Parallelperspektive, ähnlich dem titelgebenden mittelalterlichen Bildthema der Serie. Innerhalb des Paradiesgartens, auch Hortus Conclusus genannt, wurde Raum mittels paralleler Perspektive in die Fläche übertragen. So scheint aus der betrachtenden Position heraus die Zeit stillzustehen, ergibt sich ein gesamtheitlicher Überblick über die Szenerie. Ein Überblick, der auch in Computerspielen wie “Die Sims” oder “Grand Theft Auto” gefordert ist.
Zunehmend wird unser Alltag von digitaler und simulierter Ästhetik durchdrungen. Der ständige Blick auf spiegelnde Oberflächen, die ausgeschaltet wie schwarze Löcher daherkommen, das nervöse Wischen über den Touchscreen, sobald der Bildschirm in der dunklen Wohnung aufleuchtet, das Rauschen der Bilder und Videosequenzen, deren Dauer immer weiter abnimmt, sind mittlerweile zur Normalität geworden. Mit der Verformung des kleinen Fingers vom ewigen Halten des Smartphones, einer verkürzten Aufmerksamkeitsspanne, dem Lechzen nach der flüchtigen Befriedigung durch Social Media hat das Digitale längst handfeste körperliche und seelische Auswirkungen. Inna Levinson überträgt diese mittlerweile gewohnte Ästhetik in Form digitaler Collagen in Ölgemälde, lässt mittels Spachtel rasterartige, wie Pixel wirkende Strukturen entstehen. Erst in gewissem Abstand zu den Bildern formen sich abstrakte Gebilde, Körper, Gesichter – zerfallen, sobald die Betrachter*innen nähertreten.
Nicht nur die äußere Form des Digitalen greift ins Analoge aus, auch Medienbilder sind Teil des kollektiven Gedächtnisses geworden. Margret Eicher formt gefundenes analoges wie digitales Material zu sogenannten “Medientapisserien“, großformatigen Wandteppichen. Ein museales Medium, das früher zur Machtdemonstration, zur Überlieferung von Geschichten, zum reichen Dekor von Adelsgeschlechtern diente. Statt mythologischen und historischen Narrativen bedient sich Eicher jedoch zeitgenössischen Figuren wie Julien Assange oder den Ninja Turtles, die in übermächtigem Format, eingewoben in ein die Zeit überdauerndes Medium Herrschaft zu beanspruchen scheinen. Was früher in langwieriger Handarbeit hergestellt wurde, lässt Eicher entsprechend dem Bildinhalt in einer digitalen Weberei in Belgien produzieren.
Nicht zuletzt sind es Algorithmen, die bewusst und unbewusst in unser Denken eingreifen. Kaum zu durchschauen sind dabei die Bilderpools, aus denen sich Mustererkennung von künstlicher Intelligenz speist, mit denen der außerirdisch anmutende Intellekt trainiert wird. Eine Black Box, deren Inhalt für die meisten Menschen gänzlich undurchsichtig bleibt. Befremdlich wirken die auf Aluminium gedruckten Silhouetten eines Tintenfisches und eines Chamäleons von Katja Novitskova, ziehen mit ihren glänzenden Oberflächen die Blicke auf sich und zeigen auf welche Art Maschinen Informationen verarbeiten. Im großen Stil kann KI Analogien und Unterschiede ausmachen, Lebewesen, Proteinstrukturen und Viren anhand ihrer Umrisse identifizieren. Novitskova führt die Macht der Bilder vor Augen und macht zugleich auf damit einhergehende Gefahren durch Manipulation aufmerksam.
In die Fläche gepresste Dreidimensionalität drängt zurück in den Raum, wenn Pieter Schoolwerths vielgliedrige Körper aus nur einem Blickwinkel gesehen, ihre physische Substanz zu verlieren scheinen. Irreal und verzerrt wirken sie, als ob die Körper im Drogenrausch betrachtet würden. In einem solchen Rausch, in den Lena Schramms farbenfrohe Ecstasy-Tabletten normalerweise entführen. Auf dunklem oder hellem Grund sind die hier gezeigten Tabletten allerdings fein säuberlich in Rastern geordnet, in der beiliegenden Publikation mittels einer Auflistung seit den 1990er-Jahren inklusive Motiven lexikalisch indiziert. Ein bewusster Gegensatz zum für die Partydroge kennzeichnenden Gefühl der völligen Entgrenzung. Auf den Tabletten finden sich dabei allerlei Logos von bekannten Marken, Autoherstellern, Designer Labels, aber auch kulturellen Institutionen wie der Kunstmesse Art Basel in pastosem Farbauftrag. Bei genauer Betrachtung lassen sich jedoch Risse, Einkerbungen, rote Sprenkel ausmachen, die wie doppelbödige Hinweise an den Marken haften.
Halluzinationen – aber im politischen Sinne – lösen auch die Leinwände und Zeichnungen von Pavel Pepperstein aus. Der Mythologie entnommene Figuren setzt Pepperstein neben geometrische Flächenformen avantgardistischer Kunst der frühen Sowjetunion. Im KAI 10 findet sich eins der Bilder in gleicher Weise positioniert wie das “Schwarze Quadrat” von Kasimir Malewitsch, das zum ersten Mal im Dezember 1915 im Rahmen der Ausstellung “Letzte futuristische Gemäldeausstellung 0,10” im damaligen Petrograd der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Radikal ungegenständliche Kunst ersann ebenfalls ein Flächenland, gilt als Nullpunkt der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts und löste unter den zeitgenössischen Kunstkritikern Empörung aus. Die Utopien der Avantgarde kommen bei Pepperstein aber wie mit Tinte bekleckert daher, werden mit Elementen sozialistischer Propaganda und westlicher Pop Art kombiniert.
Bezug auf die Kunstgeschichte nimmt ebenfalls Roy Mordechay, dessen vielfigurige Bildkosmen an Hieronymus Bosch erinnern. Bereits anhand der Bildwelten des letzteren lassen sich Fantasy-Filme oder Computerspiele assoziieren. Durch den Einsatz von Farbverläufen als Hintergrund verstärkt Mordechay diesen Effekt noch und ahmt mittels abgerundeter Rahmen zudem die Konturen eines Smartphones nach. So bedient er sich wie alle Künstler*innen in der von Ludwig Seyfarth kuratierten Ausstellung digitaler Ästhetik, auch wenn die gezeigten Arbeiten im physischen Raum verortet sind, gänzlich ohne Bildschirme und VR-Brillen auskommen. “Bodies, Grids and Ecstasy” veranschaulicht, wie durch Digitalisierung bedingte Entkörperlichung und Entmaterialisierung im realen Raum konterkariert wird und die gesellschaftlichen, ökologischen sowie ökonomischen Folgen des Digitalen ganz physisch spürbar werden.
WANN: Die Ausstellung läuft bis Samstag, den 20. April 2024.
WO: KAI 10 | ARTHENA FOUNDATION, Kaistraße 10, 40221 Düsseldorf.