Unter digitaler Haut Tishan Hsu bei Max Mayer
3. Oktober 2023 • Text von Julia Stellmann
Tishan Hsu macht in der Düsseldorfer Galerie Max Mayer mit einer großformatigen Installation digitale Haut haptisch erfahrbar. Mit einer eigens für die Galerie geschaffenen Installation lässt Hsu digitale Körper auf reale Körper treffen.
Im Innern des Schmela-Hauses führt eine Treppe bis unter die Erdoberfläche. Hier befinden sich die Ausstellungsräume der Düsseldorfer Galerie Max Mayer. Unterirdisch fühlt man sich plötzlich wie in eine Tropfsteinhöhle hinabgestiegen. Zwischen hohen Säulen finden sich amorphe Formen, die aus orangefarbenem Grund erwachsen. Ein halbdurchsichtiges Geländer aus grünem Silikon, ein kleiner Krater und Objekte, die gleich Bildschirmen auf den Wänden aufsitzen, fügen sich zur Ausstellung “double-breath-green-2” von Tishan Hsu.
Das erste Bild lässt sich etwas versteckt links von der Treppe entdecken. In Holzoptik hängt es vor dem steinernen Hintergrund, weist eine Art Astloch auf, das gleich einem Wurmloch in unbekannte Gefilde führt. Was lauert unter der Oberfläche? Wessen fremde, gerasterte Gestalt schaut den Betrachter*innen unmittelbar entgegen? Auch hinter dem zweiten Bild scheint sich mehr als zunächst angenommen zu verbergen. Sieht es doch aus, als ob Körper hinter der Oberfläche lagern, einzelne Extremitäten das Material von Innen her ausbeulen. Undefinierte Gestalten, formlose Formen, die wie unter einer Membran auf Befreiung aus dem Massedunkel warten. Ein letztes zweidimensional anmutendes Objekt ist durch ein verzerrtes, blaues Gitternetz, ein Räume kartierendes Raster gekennzeichnet, das der taktilen Textur von Haut gleicht.
Ein hybrides Etwas zwischen analog und digital, zwei- und dreidimensional lässt sich mit den Augen ähnlich wie mit den Fingern berühren. So meint man, die Oberfläche könne seltsam glatt und zugleich rau wie die Haut eines Reptils sein. Genau so ließe sich womöglich auch ein formloses, künstlich generiertes Gebilde anfassen. Sieht es so aus, wenn Technologien Körper erhalten? Knochen, kleine Narben, Erhebungen wuchern aus organischer Oberfläche. Menschlich anmutende Gestalten scheinen hinter milchigem Glas gefangen zu sein. Ganz so, als würden sie jeden Moment die Barriere durchstoßen und in die Realität vordringen.
Tishan Hsus Arbeiten beschäftigen sich mit den alltäglichen Auswirkungen von Technologien auf unser Leben. So macht sich Hsu den entschleunigten Blick auf traditionsbewährte Medien wie Malerei und Skulptur zunutze, um Illusionen von Körpern und Bildschirmen aufzurufen. Abgerundete Ecken simulieren dabei die Optik von App-Icons, von Smartphone-Displays, haben tatsächlich bereits in den 1980er Jahren Einlass in Hsus Werk gefunden. Der Titel der Ausstellung erinnert an die Beschriftung einer Bilddatei, überführt den Doppelklick als zweimaliges Atmen in den physischen Raum, meint Körper auf zweierlei Bedeutungsebenen. Denn längst ist das Smartphone, der Laptop Teil des eigenen Körpers geworden, fungiert als eine Art technische Prothese in der Wirklichkeit.
Als wichtigstes Kommunikationsmittel über lange und kurze Distanzen hinweg suggeriert der Bildschirm ein Gefühl von Nähe und Intimität, wo eigentlich nur kalte, dunkle Oberfläche ist. Manchmal werden wir gar zu Gefangenen unserer Bildschirme, wenn wir sehnsüchtig auf die nächste Nachricht, die nächste Bestätigung durch Likes warten, uns ohne Smartphone plötzlich ganz alleine fühlen. Oder im Gegenteil die kleine rote Zahl in der Ecke von App-Icons überfordert, weil die Ansender*innen auf diese Weise unangenehm nah an die Empfänger*innen heranrücken. Angesichts von Avataren in Sozialen Medien, Computerspielen und Metaverse wird die eigene Körperlichkeit zum Teil ausgelagert, ein zweiter Körper abgespalten und werden Erfahrungen zunehmend zweiter Klasse gemacht. VR-Brille und Sensoren lassen Körper immer tiefer in die digitale Sphäre eintauchen.
Eigens für das Schmela-Haus entwickelt beschäftigt sich die großformatige Installation des Weiteren mit Fragen von Fläche und Raum. Ein Raster findet sich beispielsweise als modulares, wiederkehrendes Element, das mit Vernetzung und Räumlichkeit assoziiert ist. Gerasterte, digital generierte Oberflächen, im Sinne eines computergestützten Mappings, entwickeln sich zu echten organischen Formen, irgendwo zwischen Tier und Mensch verortet. Digitale Gitterstrukturen vermessen mittlerweile auch Körper in der realen Welt, wenn sie beispielsweise für Gesichtserkennung genutzt werden. Hsus digitale Häute führen eindringlich vor Augen, wie sehr beide Sphären bereits miteinander verwoben sind, eins werden und doch getrennt bleiben.
WANN: Die Ausstellung läuft bis Samstag, den 21. Oktober.
WO: Galerie Max Mayer, Schmela Haus, Mutter-Ey-Straße 3, 40213 Düsseldorf.