Viel Männerfantasie, wenig Feminismus
"Femme Fatale" in der Hamburger Kunsthalle

1. März 2023 • Text von

Loreley, Circe, Medusa, Medea – die Hamburger Kunsthalle zeigt das Klischeebild der Femme Fatale in nicht enden wollender Ausführung anhand von Frauenfiguren aus der Mythologie. Empowerment und Feminismus muss man hier leider lange suchen. (Text: Lea Woltermann)

John William Waterhouse Sylvia Sleigh Kunsthalle Hamburg gallerytalk
John William Waterhouse (1849–1917), Circe offering the cup to Ulysses, 1891 Öl auf Leinwand, 148 cm × 92 cm © Gallery Oldham. // Sylvia Sleigh (1916–2010), Lilith, 1967 Acryl auf Leinwand, 274,6 × 152,4 cm Rowan University Art Gallery, Glassboro, New Jersey © Estate of Sylvia Sleigh Foto: Karen Mauch Photography / Rowan University Art Gallery.

Die Hamburger Kunsthalle empfängt ihre Besucher*innen in der Ausstellung „Femme Fatale“ mit einer Flut sexualisierter Frauendarstellungen ab 19. Jahrhundert. Um das Motiv der Femme Fatale geht es Kurator Markus Bertsch – und darum, wie dieses sich im Laufe der Zeiten entwickelt hat. „Die Kunsthalle möchte dieses Klischee dekonstruieren, indem sie sich kritisch mit dem Bild der Femme fatale auseinandersetzt und ihm einen feministischen Blick entgegensetzt.“, heißt es im Online-Pressetext der Kunsthalle. Bevor es jedoch dazu kommt, dass das Klischeebild der Femme Fatale dekonstruiert wird, wird es zunächst in unzähligen Varianten ausgestellt.

Die Ausstellung ist chronologisch in einem Rundgang aufgebaut, der aus mehreren Räumen und Kapiteln besteht. Sie alle sind voll von historischen Darstellungen sexualisierter Frauenfiguren, die zumeist der Mythologie entliehen sind. So werden beispielsweise im ersten Raum sieben großformatige Gemälde der Loreley gezeigt, alle halb oder ganz nackt und mit wallendem Blondhaar am Wasser. Auch eine zeitgenössische Arbeit, „Das Schöne muss sterben“ von Gloria Zein aus dem Jahr 2004, ist hier zu sehen, Zwischen den historischen Darstellungen der Loreley geht sie jedoch glatt untergeht.

In den nächsten Räumen sieht es ähnlich aus. Große Formate und das immer wiederkehrende Motiv der sexualisierten und objektifizierten Frau beherrschen den Raum und lenken so die Aufmerksamkeit weg von den wenigen zeitgenössischen Arbeiten, die sich dem Thema aus kritischer Perspektive nähern. Die Abbildungen stammen vorwiegend aus dem 19. Jahrhundert und zeigen etliche Varianten von Frauenfiguren aus der Mythologie: Circe, Medusa, Medea, Lilith oder Helena. Sie alle sind zumeist nackt oder halb nackt und in verführerischer Pose dargestellt. Auch durch die beschreibenden Ausstellungstexte werden sie als verhängnisvolle Verführerinnen geframet.

In einem Raum, der mit „Körper im Fokus“ betitelt ist, steht zwischen riesigen historischen Gemälden von überästhetisierten, exotisierten und sexualisierten Frauendarstellungen ein kleiner Röhrenfernseher. Der Bildschirm zeigt Valie Exports „Tapp- und Tastkino“ von 1968 als Video mit etwas zu leisem Ton. Dies ist ein Beispiel für das unausgewogene Verhältnis, in dem den historischen Bildern hier eine kritische oder feministische Perspektive gegenübergestellt wird. Die Arbeit zeigt die Künstlerin mit einem offenen Karton vor der Brust. Passanten auf der Straße lädt sie ein, hineinzugreifen und führt so die voyeuristischen Sehgewohnheiten des Kinos vor.

Der Ausstellungsrundgang endet in einem Raum mit zeitgenössischen Arbeiten, die sich aus feministischer Perspektive Gender- und Körper-Themen annehmen. Hier findet endlich die angekündigte Dekonstruktion des Begriffs Femme Fatale statt, anstatt nur ein weiteres historisches Beispiel für das Klischeebild Femme Fatale zu geben. Einige der Arbeiten verweisen auf zuvor gesehene Frauenfiguren der Mythologie, die von den Malern des 19. Jahrhunderts als gefährliche Verführerin dargestellt wurden. Ein Beispiel hierfür ist Silvia Sleighs Gemälde „Lilith“, das binäre Geschlechtszuweisungen hinterfragt: In Lebensgröße zeigt es zwei überlappende Körper mit sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechtsmerkmalen in selbstbewusster Pose. Dies ist ein angenehmes Gegengewicht zur einige Räume zuvor gesehenen Darstellung der Lilith von John Collier von 1889, die sie als nackte junge Verführerin mit Schlange zeigt.

Als Videoprojektion ist Nan Goldins „Sirens“ zu sehen. Mit der Videoarbeit aus Found-Footage-Material thematisiert die Künstlerin Drogensucht und Rausch. Goldin hat diese Arbeit Donyale Luna gewidmet, die als erstes Schwarzes Supermodel gilt und mit nur 34 Jahren an einer Überdosis Heroin starb. Sie ist im Film auch selbst zu sehen. Das Video besteht aus Schnitten zwischen kaleidoskopartig gespiegelten Aufnahmen von Pferden und Models, es zeigt brüchige Schönheit und gefährlichen Rausch. Die Arbeit wirkt verwirrend, bedrückend und zugleich betörend. Die Tonspur erinnert an Sirenengesänge. Diese und der Titel wecken die Assoziation, dass Goldin die Sirene nicht mehr als verhängnisvolle Frau zeigen will, sondern als Sinnbild für Sucht verwendet.

Betty Tompkins „Women Words“ (2012-2016) besteht aus einer Vielzahl kleiner bunter Leinwände, auf die die Künstlerin Worte gedruckt hat, mit denen Frauen beschrieben werden. Zumeist sind sie abwertend. Tompkins hatte hierfür um Zusendungen gebeten und eine immense Menge an Reaktionen erhalten. In der Hamburger Kunsthalle hängt davon lediglich eine Auswahl, die aber bereits eindrucksvoll ist. Hintergrund für die Bezeichnungen bilden schwarzweiße Darstellungen von Vulven oder Zitate von Malstilen von Künstlern wie Jackson Pollock. Tompkins führt in dieser Arbeit vor, wie stark sich eine frauenverachtende Haltung in der Alltagssprache zeigt und verbindet dies mit einem Hinweis auf die männerdominierte Kunstwelt. Es stellt sich die Frage, warum nicht auch „Femme fatale“ unter den Bezeichnungen ist.

Es ist anstrengend, sich diese Ausstellung anzusehen. Die kritischen Arbeiten werden erst ganz am Ende, nach sechs energieraubenden Räumen voll Männerfantasien gezeigt. Das lässt die Frage aufkommen, wie sehr ein feministischer Blick von der Kuration tatsächlich priorisiert wurde.

Wo der Anspruch an Aufklärung und Empowerment glücklicherweise gelungen ist, ist im Begleitmaterial. Das „Missy Magazine“ hat in Zusammenarbeit mit der Hamburger Kunsthalle ein Begleitheft sowie ein Glossar zur Ausstellung herausgegeben. Diese liegen für alle Besucher*innen auf Englisch und Deutsch in gedruckter Form aus und sind auch online verfügbar.

Das Heft, so heißt es im Vorwort, sei ein Versuch, dazu anzuregen, sich „selbstständig und kritisch mit den gezeigten Werken auseinanderzusetzen“. Dieses Heft gibt tatsächlich wertvolle Denkanstöße. Im Glossar werden Begriffe wie White Supremacy, Male Gaze und Misogynie erklärt und so auf den Punkt gebracht, welche Problematiken diese Ausstellung mit sich bringt: Ein männlicher Blick auf sexualisierte Frauenkörper wird hier in ermüdender Menge reproduziert. Und obwohl der Versuch erkennbar ist, Gegenansätze zu zeigen, haben diese in der Hamburger Kunsthalle viel zu wenig Raum bekommen.

Diese Ausstellungsbesprechung ist im Rahmen eines von Mira Anneli Naß und Radek Krolczyk im Wintersemester 2022/23 geleiteten Praxisseminars zu Kunstkritik im Master Kunstwissenschaft und Filmwissenschaft der Uni Bremen entstanden. 

Weitere Artikel der Studierenden:

„Salz, Widerstand, Fluidität“: Anna Blahaut über Lucila Pacheco Dehne in der Kestnergesellschaft Hannover.

„Schwarze Existenzen in der Polykrise“: Nils Gloistein über „An Overture of Grief and Joy“ im Kunstverein.

„Zwei Hü und ein Brr“: Moritz Juhnke über Matthias Dornfeld im Oldenburger Kunstverein.

„Das Sankt-Florian-Prinzip“: Lia Brinkmann über Andrzej Steinbach in der Kunsthalle Osnabrück.

„Es war einmal und ist noch immer“: Hannah Walter über Cemile Sahin in der Kunsthalle Osnabrück.

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