Ich und mein Holz Pablo Schlumberger bei etta
9. August 2023 • Text von Julia Stellmann
„Quattro Stagioni“ – wer da an Pizza denkt, liegt nicht ganz falsch. Denn das Sujet der vier Jahreszeiten, dem sich Pablo Schlumberger aktuell im Düsseldorfer Off-Space etta widmet, ist beliebt in Hoch- wie Popkultur. In der Ausstellung ist allerdings nicht alles, wie es scheint, ob es Disney, Papier oder in Kalenderblätter gegossene Belanglosigkeit betrifft. So lässt sich “quattro stagioni” auch als Aufruf lesen, die Dinge zuweilen aus einer anderen Perspektive zu sehen.
Künstliche Eisblumen wachsen am Fenster, rahmen die kleinen quadratischen Scheiben, gewähren Einblick in den Düsseldorfer Off-Space etta mitten in der Altstadt unweit der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Der Blick durch das Fenster fällt auf ein kleines Ölgemälde gegenüber und damit direkt ins private Schlafzimmer eines älteren Ehepaares. Nur im Nachthemd, mit Schlafmütze und Pantoffeln bekleidet geistern die Comicfiguren durch das pastellfarbene Zimmer, streben über den Rand des Gemäldes zu einem unbekannten Ziel hin.
Des Rätsels Lösung erschließt sich mit der Einladungskarte der Ausstellung, auf der ein kleiner, verzauberter Elf durchs Schlüsselloch schaut. Er repariert mit seinen Kollegen in der Werkstatt des Mannes unbesehen Schuhe in nächtlicher Dunkelheit. Dies ist die Belohnung für einen Akt der Selbstlosigkeit des Ehepaars, das ihr letztes Brot an Vögel verteilte. Eine typische Parabel für den Wert der Gemeinschaft in der darbenden Nachkriegsgesellschaft. Angesichts der Geschichte fühlt man sich an Disney-Märchen erinnert, scheint doch die Ästhetik seltsam vertraut zu sein. Das Bild aber ist dem 1950 erschienenen Comic-Film „The Peachy Cobbler“ entlehnt.
Heimelig ist die Atmosphäre in der Ausstellung „quattro stagioni“ von Pablo Schlumberger. Doch nicht nur an der Fensterscheibe wachsen Blumen, sondern auch im Innenraum. Diesmal als florale Elemente, die aus hölzernem Grund zu sprießen scheinen, jedoch vielmehr als Versatzstücke auf Sperrholz aufgebracht wurden. Zwischen Assemblage und Laubsäge-Arbeiten changierend reihen sich in Holz gedachte Kalenderblätter dem Ausstellungstitel entsprechend auf der Wand aneinander. Wie kleine Sandförmchen sitzen sie holzschnittartig auf der rauen Oberfläche, lassen bei genauerem Hinsehen kleinste Details erkennen. So rollen sich winzige Späne zu Voluten, muten an wie Blumenblätter, Verästelungen in Miniaturgröße.
Blumig ist auch das Sujet, dem Schlumberger sich widmet. Denn die vier Jahreszeiten sind ein kulturgeschichtlich beliebtes Thema, finden in Musik wie Kunst ungebrochen Anklang. Sie können genauso klischeebeladen wie tiefsinnig sein. Nicht nur biologische, sondern auch gesellschaftliche Prozesse von Wachstum über Blüte bis zum Verfall symbolisieren sie.
Was auf den ersten Blick unbedarftes Sujet zu sein scheint, wirft zudem Fragen bezüglich des Klimawandels auf. Lassen sich klare Grenzen zwischen den Jahreszeiten in Zukunft noch ziehen? Ein Thema, das sich auch in Schlumbergers Verwendung von recycelten Holzresten widerspiegelt. So vereinen die vier Jahreszeiten Hoch- wie Popkultur, deren Dichotomie sich im Schaffen des Künstlers auflöst.
Die Kalenderblätter kreieren zudem die Illusion einer anderen Materialität, werden von papiernen Abrisskanten am oberen Rand abgeschlossen, muten von der Seite wie Pappe an, bilden hölzerne Verflechtungen. Blumen ragen wie Ausstechformen aus dem Untergrund, scheinen Ergänzungen des am Kalender hängenden Rests zu sein. Gegenüber spielt ein hölzerner Komponist auf dem Klavier. Seine Augen gleichen den Blumen. Ist es Vivaldi oder Haydn?
Die Tasten des Klaviers wiederholen sich auf der Front des Schranks gegenüber, bilden formale Entsprechungen. Äste erzählen von Natur, ein gefallenes Blatt bildet ein Gefäß für eigene Gedanken. Hölzernes Denken in Schablonen formt sich bei Schlumberger zu blumiger Formsprache. Abbruchkanten, zeichnerische Markierungen, kleine Fehler bleiben dabei stets sichtbar erhalten. Die Varianz im Holz lässt auch Varianz im Denken zu, stellt den Unikatsgedanken von Kunst infrage, zwingt zu neuen Perspektiven.
WANN: Die Ausstellung läuft bis Samstag, den 19. August.
WO: etta, Bastionstraße 5, 40213 Düsseldorf.