Die Diffusion der Bilder Hedda Roman und Marina Bochert im Weiden Space
20. Juni 2023 • Text von Julia Stellmann
Künstliche Intelligenz begegnet uns mittlerweile gefühlt überall. Doch was bedeutet das eigentlich tatsächlich für die Zukunft? Eine Frage, mit der sich das Künstler*innenduo Hedda Schattanik und Roman Szczesny mittels KI generierter Bilder in der Ausstellung “Cradling Specters” im Düsseldorfer Weiden Space kritisch auseinandersetzt. In Kombination mit den Skulpturen von Marina Bochert entwerfen Hedda Roman, so ihr gemeinsamer Künstler*innenname, Visionen von einer fremd vertrauten Realität.
Gezielt platzierte Spots malen Schatten an die Wand, setzen die gezeigten Bilder im Düsseldorfer Weiden Space perfekt in Szene. Bilder, die von einer Welt erzählen, welche die unsere ist und doch auch nicht. Menschliche, tierische, dingliche Formen werden zu hybriden Charakteren zwischen Illusion und Realität, Utopie und Dystopie. Da sind Gesichter, die aus dem Formchaos treten, deren Züge sich zu architektonischen Gebilden fügen oder einäugige Kreaturen, die sich aus flammendem Grund lösen. Jedem der im Licht schimmernden Bilder von Hedda Roman wird darüber hinaus ein KI generiertes Gedicht zur Seite gestellt, das auf der Instagram-Seite der beiden einsehbar ist.
Im hinteren Raum tritt eine auf fließenden Hintergrund projizierte Zeichnung aus diffuser Dunkelheit, auf der sich einer der im Werk von Hedda Roman wiederkehrenden Charaktere findet. Die sogenannte Struwwelpetra, eine aufrührerische Gestalt weiblicher Kraft mit überstilisierten Körperproportionen. Sie kann unangepasste Kräfte freisetzen, die fern jeglicher Norm scheinen, Ordnungen und Strukturen zu sprengen vermögen. Doch kann die Figur nicht immer agieren, wie sie es vielleicht möchte, um ihre chaotische Kraft bestmöglich freizusetzen. Eine solche, die uns allen innewohnt, sich manchmal ungerichtet, in ungelenker Weise Bahn bricht.
Die Bilder gruppieren sich um die organischen Skulpturen von Marina Bochert, die wie versteinerte Insekten auf metallischen Gestellen hocken, prähistorischen Fundobjekten gleich an Seilen in der Luft inmitten des Ausstellungsraums hängen oder prominent angestrahlt in Form menschlicher Organe interessante Schattenspiele werfen. Seltsame Objekte, die zugleich technoid wirken und aus Marmor gefertigt den Inbegriff von künstlerischem Handwerk, einem autonomen, in sich gekehrten Schaffensprozess, meinen. Sie stehen vermeintlich im Gegensatz zu den mittels KI generierten Arbeiten von Hedda Roman, welche diesen jedoch in nichts nachstehen, sich viel eher wechselseitig ergänzen. Was bedeutet eigentlich künstlerische Autor*innenschaft in der heutigen Zeit? Kann eine Künstliche Intelligenz tatsächlich Kunst produzieren?
Ausgangspunkt für die ausgestellten Arbeiten von Hedda Roman ist ein genuin hergestellter Inhalt, eine Fotografie, eine Zeichnung, ein 3D-Rendering, das mittels KI kontinuierlich verändert wird, bis es dem in einem ästhetischen Spektrum angesiedelten erwünschten Endzustand entspricht. Der ursprüngliche Inhalt aber bleibt im Kern erhalten. Vergleichen lässt sich das mit den Überlegungen des Regisseurs Sergei Eisenstein, der ein fluides, metaphorisches Potenzial innerhalb gezeichneter Figuren feststellte. In Kunst und Animation besitzen Charaktere die Fähigkeit, gleich Gestaltwandlern von einem essenziellen Kerninhalt ausgehend, jede beliebige Form anzunehmen. Das entspricht einer Diffusion von Bildern, die mittels KI nun virtuell im großen Stil möglich wird.
Darüber hinaus hat auch die Pathosformel des Kunsthistorikers Aby Warburg im Grunde einen ähnlichen Charakter wie eine KI. Versuchte Warburg doch innerhalb seines Bilderatlas Muster, Analogien, Emotion anzeigende Motive in einem Strom aus Bildern zu erkennen. Nur, dass die Menge der verarbeitbaren Bilder durch den menschlichen Verstand zwangsläufig begrenzt ist. Somit wäre KI Warburg wohl eine große Hilfe bei der Entwicklung der Mnemosyne gewesen.
Künstliche Intelligenz lässt sich in diesem Sinne als eine Art pervertierte Mnemosyne beschreiben, die sich aus einem unvorstellbar großen Fundus aus Bildern und Texten speist, immer weiter mit menschlichen Gefühlen, Gedanken und Kreativität gefüttert und trainiert wird. Das bezieht neben bewusst digital geteilten Inhalten auch Muster und Strukturen ein, die sich zwar aus bekannten Inhalten ergeben, aber derer wir uns im Zweifelsfall gar nicht bewusst sind.
Über zeitliche und kulturelle Grenzen hinweg kann KI Pathosformeln in Datensätzen erkennen, die viel zu subtil und komplex sind, um vom menschlichen Geist überhaupt erst wahrgenommen zu werden. Ohne Körper und Geist folgen die Maschinen dabei blind mathematischen Algorithmen, haben kein Gespür für die Natur menschlichen Ausdrucks, welche sie allein erkennen und kartieren können. Im Gegensatz zu einem Menschen wie Warburg, der ein tiefes Verständnis für die von ihm ausgemachten Übereinstimmungen besaß.
Hedda Roman fassen die genannten Einflüsse als ein Konzept von “Pathosplasma” zusammen, als die Bündelung von Kreativität in ständig veränderlicher Gestalt. Sie verwenden statt des Begriffs der Künstlichen Intelligenz lieber “Savant” oder “Alien Artifact”, da die Maschinen eine Art Inselbegabung ohne Überblick besitzen oder wie fremde Wesen von einem anderen Planeten nicht menschlich sozialisiert wurden. So oder so haben sie keine echte Einsicht in die Daten, mit denen sie trainiert werden, sondern sind blind für tiefere Bedeutungen. Trotzdem kann KI auf paradoxe Weise Kunst schaffen, die uns tief im Innern berührt, uns ins Staunen versetzt oder zum Nachdenken bringt. Als Input-geber*innen wandelt sich die Rolle der Kunstschaffenden zu einer Art Gentechniker*innen, welche den außerirdischen Intellekt trainieren.
Es ist also eine bewusste Kollaboration, die Hedda Roman mit KI eingehen. Sie bleiben jedoch stets die Initiator*innen des generierten Endprodukts, basiert doch alles auf eigens geschaffenem Input, trainieren sie eigenhändig die selbstlernenden Maschinen, lenken sie in ein bestimmtes ästhetisches Spektrum und erhalten so einen in gewisser Weise gerichteten Output. Sie trainieren die Maschine allerdings nicht zu stark, da der Output dynamisch bleiben soll. Dabei verwenden sie keine cloudbasierten Programme wie Mid Journey oder Dalle, sondern ihre lokale Hardware.
Gemeinsam mit Marina Bochert zeigen sie in der Ausstellung “Cradling Specters” innerhalb und außerhalb ihres eigenen Werks das Spektrum künstlerischen Schaffens, erzeugen eine fremd vertraute Realität, die aus gegebenem Input eine Zukunft malt, die genauso sein könnte oder auch ganz anders. Eine solche, in der KI nicht mehr wegzudenken ist oder die eine Rückbesinnung auf ursprüngliche Kräfte erfordert – oder aber sich nicht gegenseitig ausschließen muss. Egal wie, heißt es umgehen lernen mit neuen Technologien, sie als Werkzeug betrachten, das weder positiv noch negativ besetzt ist, wenn es vielmehr um das kritische Hinterfragen der programmierenden Strukturen dahinter geht.
WANN: Die Ausstellung läuft bis Sonntag, den 25. Juli.
WO: Weiden Space, Ackerstraße 34, 40233 Düsseldorf.