Wo die wilden Würmer wohnen
Verena Issels "Pandora Papers"

25. November 2021 • Text von

Ist das ein Körper oder Kehrblech? Trichter oder Tatze? Föhn oder Wurm? Aktuell bespielt Verena Issel mit ihren neusten Filzarbeiten in Kooperation mit dem Haus am Lützowplatz den Ausstellungsraum der IG Metall. Der “Pandora Papers”-Lebensraum lässt neben lustigen Gedanken auch gesellschaftspolitische Fragen aufploppen. Er ist einerseits Spielwiese, andererseits mysteriöses Tunnelsystem. Wesen amüsieren sich an den Wänden, während Schlauch und Staubwedel um schwarze Löcher herumkriechen.

Verena Issel: "Nehmerqualitäten", 70 cm x 70 cm, Filz auf Leinwand, 2021.
Verena Issel: “Nehmerqualitäten”, 70 cm x 70 cm, Filz auf Leinwand, 2021. Foto: Helge Mundt.

Ausstellungsräume sind überwiegend clean, sie mischen sich nicht ein, lassen den Kunstwerken den Vortritt. So ist es bei Verena Issel nicht. Sie arbeitet den Raum mit ein, sodass Wände und Werke miteinander spielen und sich auch Besucher*innen zum Spiel aufgefordert fühlen. Eine kindliche Neugierde wird geweckt, ein bisschen wie bei Alice, die dem Hasen ins Wunderland folgt und in eine fantastisch verwirrende Parallelwelt fällt. Auch Issels Welt ist parallel und dazwischen. Bei ihr ist es unterirdisch, überirdisch und außerirdisch gleichzeitig. Hier wollen Besucher*innen imaginäre Rollerskates anschnallen und rosa Bubblegum kauen, aber lieber nichts überstürzen, denn viele Augen sehen zu, viele Absurditäten lauern in diesem wild wuchernden Filz-Garten.

Verena Issel, Pandora Papers, Filzarbeiten, Installation
Verena Issel: “Seilschaft VII”, 100 cm x 140 cm, Filz, Filzstift und Öl auf Leinwand mit Gummi, 2021, Installationsansicht, Verena Issel – Pandora Papers, IG Metal Haus, 2021; Foto: Helge Mundt.

Die vier Mitglieder der “Seilschaft VII” sind ein zweibeiniger rosa Karpfen, eine kleine orangene Schlange, ein braunes Stiefeltier mit grünen Tupfen und zwei kleine Nasenvögel. Sie versammeln und verfilzen sich auf einem blauen Grund, der wiederum von einer mit Öl und Filzstift bemalten Leinwand getragen wird. Die hintergründigen grau-weiß-schwarzen Flächen grenzen sich überwiegend von der bunten Filzfläche ab, nur an der unteren linken Ecke greifen die bunten Farben der Filzwelt auf die Leinwand über. Vor allem die Beinchen werden in ihrer Form auf der Leinwand wiederholt, fast als hätte sich ein weiteres Stiefeltier hinter der Filzfläche versteckt. Es geht einfach hinten rum. 

Verena Issel, Pandora Papers, Filzarbeiten, Installation mit Schlauch und Staubwedel
Installationsansicht: Verena Issel – Pandora Papers, IG Metal Haus, 2021; Foto: Helge Mundt.

Da drüben fingern grade drei Hände miteinander rum. Sie haben Augen und lackierte lange Fingernägel. Ein Lockenwickler ragt schnorchelartig aus der roten Hand heraus, die anderen beiden tragen Wischmopfransen als Accessoires. Zwei “Coole Boys” rauchen nebenan lässig vor sich hin und sind irgendwie in anderen Sphären unterwegs. Mit Sonnenbrille chillen die beiden Würmer auf dem Filz.

Alles ist verschachtelt, alles und jede*r, die*der diesen Raum bewohnt, hat eine Beziehung miteinander. Grenzen des Möglichen scheinen aufgeweicht und verwischt zu sein. Als hätten die im Raum skulptural inszenierten Schläuche und Staubwedel ihre Aufgaben in einem sozialpolitischen Haushalt ausgeübt. Sie haben zwischen den Bewohner*innen niedrige Schwellen herausgeputzt. Hier scheinen alle zufrieden und ganz gelöst zu sein. In diesen Momenten wird Issels Anliegen spürbar. Ihre Arbeiten sollen nicht nur bespaßen, sondern auch auf tieferer Ebene gesellschaftspolitische Gedanken anregen.

Verena Issel, Pandora Papers, Filzarbeiten, Installation, Außenansicht
Installationsansicht: Verena Issel – Pandora Papers, IG Metal Haus, 2021; Foto: Helge Mundt.

Gegenüber taucht grade ein weißer Unterwasserhasenhai aus seinem Tümpel auf. Er blickt etwas dümmlich, aber liebenswert in diese schwarz gefleckte Welt. Hinten rechts im Raum blickt ein Filz-Bild mit aufgerissenen Augen und kleinen Pupillen aus dem Fenster in die Kreuzberger-Realität. Um das Augenpaar herum taumeln und tanzen menschenähnliche Körper, die sich gerade aufzulösen scheinen. Hier wirken sich offensichtlich üble “Verstrickungen (Schlaflosigkeitsepidemie)” auf Körper und Geist aus.

Schlafmangel ist sicher ein Problem vieler Berliner*innen, aber Issel spielt viel mehr in ihrer Materialwahl auf eine Berliner Thematik an. „Berliner Filz“ beschreibt die problematische Nähe von Bauwirtschaft und Politik, die in der Stadt in den 1970er-Jahren eine Reihe skandalöser Affären zur Folge hatte. Issel fängt in den Schurwolle-Fasern ein dreckiges Kapitel aus der Berliner Vergangenheit ein. Künstlerisch interagiert sie auch mit dem realen Raum, der durch die große Fensterfront immer sichtbar ist. Sie thematisiert zwischen den feinen lustigen Fäden, und ganz plakativ in dem Titel “Pandora Papers”, die Wichtigkeit einer korruptionsfreien Wirtschaft, einer unabhängigen Justiz und freien Presse. 

Verena Issel, Pandora Papers, Filzarbeiten, Installation mit Schlauch und Staubwedel
Installationsansicht: Verena Issel – Pandora Papers, IG Metal Haus, 2021; Foto: Helge Mundt.

Auch wenn das große Auge der “Schattenwirtschaft” diese Welt über der Eingangstür hängend ununterbrochen bewacht, verdirbt es den trichternden “Saufbrüdern” nicht ihren Abend. Auch wenn sich die Schattenseiten nicht verstecken und offensichtlich ihre Löcher in den Boden reißen, leben um sie herum alle ein fluffig miteinander verwobenes Leben. Es scheint als hielten Wischmob und Schlauch zwischen fröhlichen bunten Filztierchen und bedrohlichen schattigen Flecken auf dem Boden die Balance. Sie zirkeln sich beschwichtigend in den Zwischenraum und sorgen für saubere Verhältnisse.

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Freitag, den 10. Dezember. 
WO: Ausstellungsraum im IG Metall Haus, Alte Jakobstraße 149, 10969 Berlin.

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