Julian Assange in Venedig Der 7. Internet-Pavillon der Kunst-Biennale
24. Juni 2022 • Text von Gast
Traurige Aktualität: Der diesjährige Internet-Pavillon der Kunst-Biennale in Venedig zeigt Miltos Manetas Portraits des Aktivisten Julian Assange. Mit seiner möglichen Auslieferung in die USA erhält die Ausstellung eine neue Relevanz. (Text: Christina-Marie Lümen)
Mal cool, souverän, mal nachdenklichen oder verwundbar – 1156 Tage (10. Juni 2022) im Gefängnis haben bei Julian Assange ihre Spuren hinterlassen. Die Ausstellung “AIIA: Assange ist Internet Internet ist Assange” im Internet-Pavillon in Venedig macht das deutlich. Die Atmosphäre der Schau soll jene eines Gefängnisses aufgreifen. Die Gitter vor den Fenstern und die Ruinen-Architektur des Gebäudes in der Nähe der Fondamente Nove weisen in diese Richtung. Die von dem Künstler Miltos Manetas in Blau, Rot oder Orange gefärbten Wände hingegen verheißen eine Art surreales Paradies. Die jüngsten Entwicklungen im Falle des Aktivisten geben der Ausstellung eine neue Dringlichkeit und ungewisse Weiterführung.
Kurz vor Beginn des ersten Lockdowns in Kolumbien im März 2020 begann Miltos Manetas, Portraits Julian Assanges zu malen. Zunächst als einmaliges Projekt intendiert, wurde eine anhaltende Serie daraus: Ein Portrait für jeden Tag, den Julian Assange im Gefängnis verbringen würde. Mit den Portraits wollte Manetas seinen Beitrag zur Sensibilisierung für das Schicksal Assanges leisten. Die fertigen Bilder zeigte er im Internet und gab sie an die erste Person, die danach fragte. Auch in Venedig hat Manetas einige Tage lang Portrait Assanges an das Publikum vor Ort verteilt.
Der Internet Pavillon wurde 2009 von Miltos Manetas und dem Kurtaor Jan Åman im Rahmen der von Daniel Birnbaum kuratierten 53. Biennale von Venedig gegründet. Titel der Eröffnungsausstellung war „The Embacy of Piracy“, eine Zusammenarbeit Manetas mit Vertretern von ThePirateBay.org, einer Webseite, welche sich der Bereitstellung digitaler Inhalte nach einem Peer-to-Peer-Format widmet. Zusammen wollten sie die Räume, Grenzen, Fragen des Internets erkunden.
„Internets today is not some virtual entity but a network that can materialize in everything, from court systems, parliaments and phone networks, to memes, music and art systems. … Our intention is to re-define and to we-write everything: all terms should be renewed, all systems should be destroyed and build again.” Mit diesem Anspruch zeigten die Künstler bereits damals Verbindungen zum Geiste Assanges und anderen Aktivist*innen auf. Wenige Stunden nach Veröffentlichung der Pressemitteilung des ersten Internet Pavillons erhielt die Verwaltung der Biennale von Venedig Anrufe der damaligen Regierung unter Silvio Berlusconi, die Zusammenarbeit mit ThePirateBay.org zu beenden.
Im Frühjahr 2020 sollten die Portraits Assanges im Palazzo delle Esposizioni in Rom gezeigt werden. Angesichts der anhaltenden Lockdowns in Italien eröffnete die Ausstellung lediglich online. Mit den durch die Pandemie bedingten globalen Lockdowns hatte die Situation der Isolation und des Eingesperrt-Seins eine kollektive Bedeutung erhalten: Assanges Situation war unsere geworden.
Die globalen Ausgangssperren sind derzeit glücklicherweise weitestgehend aufgehoben, und unsere Mobilität wiederhergestellt. Mit Blick auf die Auslieferung Assanges stellen sich dennoch folgende Fragen: Welche Gefängnisse bleiben? Und wohin liefern wir uns damit aus?
„Julian Assange is one of the strongest characters of the Internet. Today he is in Prison and soon will be extradited to the US to be silenced for good. Silencing Julian Assange is silencing the Internet.“
Derzeit ist das Schicksal Assanges noch ungewiss, Anwälte und Organisationen wie Reporter ohne Grenzen kämpfen weiterhin für die Freiheit des Aktivisten; und damit streitbar für unser aller Freiheit. Ein Missverhältnis zwischen der Bestrafung der einen, und der Schonung der anderen – Kriegsverbrecher, Maut-Verpatzer, Tankrabatt-Initiierer –, wie es der Fall Assange nahelegt, ist hingegen augenscheinlich.
Mit Bezug auf die „Gefängnisse“ lassen sich so jene Denk- und Handlungsräume ausmachen, welche eine Veränderung auf breiter Ebene verhindern. Die Kunst, nicht zuletzt auf der diesjährigen Biennale von Venedig, birgt hier viele Initiativen und Lösungsvorschläge. Ob diese im Falle Assanges ausreichen, ist zugegeben zweifelhaft. Die Qualität der Kunst als Indikator für drängende Themen und gesellschaftliche Schwachstellen ist dagegen offensichtlich.
WANN: Die Ausstellung “AIIA: Assange ist Internet Internet ist Assange” von Miltos Manetas läuft bis zum 27. November.
WO: Internet-Pavillon, Calle Lunga Santa Caterina, 4998, 30121 Venedig.