Sehnsucht nach Konsum
Zuzanna Czebatul im Rosa Stern Space e.V.

26. April 2023 • Text von

Eine gigantische Ecstasy-Pille füllt aktuell den Münchner Off-Space Rosa Stern. Die Berliner Künstlerin Zuzanna Czebatul hat eigens für die Einzelausstellung “Planet X” eine hyperrealistische Skulptur gestaltet, die sich tranceartig um die eigene Achse dreht. Es geht um Ravekultur, Drogenkonsum und Ekstase im Kapitalismus.

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Zuzanna Czebatul: “Planet X”, Rosa Stern Space, 2023. Foto: Dirk Tacke / Rosa Stern Space. // Zuzanna Czebatul: “Planet X”, Rosa Stern Space, 2023. Foto: Dirk Tacke / Rosa Stern Space.

Langsam dreht sich ein pinkfarbenes, aufblasbares Gebilde im Kreis. Der plötzlich sehr viel kleiner wirkende Ausstellungsraum des Rosa Stern Space ist fast komplett ausgefüllt von Zuzanna Czebatuls Installation. In großen Buchstaben ziehen sich jeweils die Worte “Worldwide” und “Error” über die runde Vorder- und Rückseite des gigantischen Objekts.

Es handelt sich um eine visuell eindrucksvoll gerenderte Pille, die mit ihrer dreidimensional anmutenden Oberfläche Assoziationen von Mondkratern hervorruft. Bei näherer Betrachtung jedoch weist sie eine glatte Hülle aus Polyvinylchlorid, einem amorphen Kunststoff, auf. Ästhetisch angelehnt ist die 300 x 300 x 150 Zentimeter große Skulptur an die kleinen bunten Ecstasy-Pillen, die normalerweise im Club und nicht im Ausstellungsraum zu finden sind.

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Zuzanna Czebatul: “Planet X”, Rosa Stern Space, 2023. Foto: Dirk Tacke / Rosa Stern Space.

Die Arbeit mit dem Titel “Micromolecule Exploiting some Biological Target III” kreiert ein ungewöhnliches Raumgefühl, das die Besucher*innen zum einen an die Wand drängt und zum anderen eine intime Atmosphäre schafft. Das sich langsam drehende Objekt verhindert eine freie Bewegung im Raum, entschleunigt und lädt dazu ein, sich im Rhythmus der Pille zu bewegen. Das white-noise-artige Geräusch des Gebläses, welches während der Aktivierung der Installation durchläuft, trägt zur meditativen Grundstimmung bei. Während einer längeren Betrachtung der sich drehenden Pille kann durchaus eine tranceartige Stimmung eintreten, wie es sonst beim Konsum von diversen anderen, etwas kleineren Pillen der Fall sein kann.

Drogen, Konsum und Rausch sind Begriffe, die einem bei der Betrachtung der übergroßen Pille in den Kopf kommen. Ecstasy ist seit den 1990er Jahren ein Symbol für die Ravekultur und steht für Endorphine und Beschleunigung. Die überproportionale Pille im Ausstellungsraum wirkt dagegen eher entschleunigend. Die langsame Rotation der aufgeblasenen Skulptur bremst aus, drückt die Besucher*innen an die Wand und versperrt den Blick auf das große Ganze.

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Zuzanna Czebatul: “Planet X”, Rosa Stern Space, 2023. Foto: Dirk Tacke / Rosa Stern Space. // Zuzanna Czebatul: “Planet X”, Rosa Stern Space, 2023. Foto: Dirk Tacke / Rosa Stern Space.

Was steckt hinter dem Drogenkonsum im Kapitalismus? Ist hierbei alles nur Friede, Freude, Ekstase? Czebatul spricht mit ihrer Arbeit eine vielschichtige Problematik an. Der Drogenhandel ist hinter fossilen Energieträgern und Tourismus der drittstärkste globale Wirtschaftssektor. Damit einher gehen Gewalt, Ausbeutung und sozioökonomische Ungleichgewichte, die die Konsument*innen bei ihrer Flucht in den Rausch nicht sehen können.

In einer neoliberalen Gesellschaft, in der Pharmaunternehmen Abhängigkeiten produzieren, muss dabei nicht mal der illegale Handel gemeint sein. Bedürfnisse werden erst produziert, dann mit Suchtmitteln gestillt. Der überproportionale Ecstasy-Planet der Künstlerin dreht sich derweil mit den Worten “Worldwide” und “Error” weiter um die eigene Achse. Ein ewiger Kreislauf, der wie die Konsumsehnsucht der Bevölkerung im Spätkapitalismus nicht zu bremsen ist.

WANN: Die Ausstellung “Planet X” von Zuzanna Czebatul ist noch bis zum 12. Mai zu sehen.
WO: Rosa Stern Space e.V., Belgradstraße 76, 80804 Munich

Zuzanna Czebatuls Ausstellung “Planet X” ist Teil eines umfangreichen Programms des Rosa Stern Space e.V. mit dem Titel  “After all ends: no new beginnings”. Ihre Arbeit fügt sich inhaltlich perfekt in das dramatisch betitelte Konzept ein, das noch bis Ende Juli 2023 ein breites Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm, rund um soziale und kulturelle Entwicklungen in einem (post-)apokalyptischen Szenario, beinhaltet.

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