Digitale Utopien
VR-Kunstpreis im Haus am Lützowplatz

14. September 2023 • Text von

Wie wollen wir in Zukunft leben? Im Haus am Lützowplatz haben die fünf Stipendiat*innen des VR-Kunstpreises der DKB in Kooperation mit CAA Berlin digitale und analoge Utopien entwickelt. Hier deuten sie oftmals angstbesetzte neue Technologien positiv um und begreifen diese als Chance für eine gerechtere, tolerantere und vielfältigere Zukunft.

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Anan Fries [Posthuman Wombs], 2023, still, VR KUNSTPREIS der DKB in Kooperation mit CAA Berlin 2023 // VR ART PRIZE by DKB in Cooperation with CAA Berlin 2023, Creator, Director, Script: Anan Fries, Creator, Composition, Sound Design: Malu Peeters © Anan Fries.

Neue Technologien sind traditionell Treiber von Angst, Stoff für zahlreiche Dystopien. Anlässlich der Berlin Art Week 2023 werden im Haus am Lützowplatz mit dem VR-Kunstpreis längst überfällige, neue Perspektiven eingenommen. Wer allerdings glaubt, dass sich die Utopien allein in Virtual Reality entfalten, liegt falsch. Denn die fünf Stipendiat*innen des VR-Kunstpreises der DKB in Kooperation mit CAA Berlin zeigen neben mittels VR-Brille erlebbaren Kunstwerken auch AR- und Videoarbeiten sowie ortsspezifische Installationen. All das spiegelt die Bandbreite der Möglichkeiten zeitgenössischer Kunsterfahrung wider. Wie malen sich die fünf Nominierten des VR-Kunstpreises der DKB in Kooperation mit CAA Berlin also eine ideale Gesellschaft aus?

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Ausstellungsansicht // Exhibition view UNLEASHED UTOPIAS, Haus am Lützowplatz, 2023, Installation von Marlene Bart // Installation by Mohsen Hazrati © VR KUNSTPREIS der DKB in Kooperation mit CAA Berlin 2023 // VR ART PRIZE by DKB in Cooperation with CAA Berlin 2023, Foto: J. Pegman // Photo: J. Pegman.

Einer der Räume ist in tiefes Dunkel getaucht. Ein Brunnen steht in der Mitte, der sprudelnd giftig leuchtendes Wasser ausstößt. Es ist der Raum von Künstler Mohsen Hazrati, der in digitaler Welt auf seine Heimat, seine iranischen Wurzeln Rückgriff nimmt. Mittels Tablet lässt sich beispielsweise eine personalisierte Weissagung aus Versen des persischen Dichters Hafis kreieren, die Künstliche Intelligenz positiv umdeutet. Durch die Gläser der VR-Brille reicht der Brunnen plötzlich bis an den Himmel heran. Seltsame technische Kreaturen lassen ein eigentlich in digitaler Sphäre überflüssiges, mechanisches Knarzen verlauten. Der Blick zu den Controllern zeigt einen Wellensittich, der laut iranischer Tradition eine Weissagung aus einem Glas voll Zettel pickt, nur dass es sich hier um ein PDF handelt. Hazrati überträgt in seiner Arbeit jahrhundertealte Literatur und Kultur in die digitale Welt, lässt KI weniger logisch und mehr spirituell arbeiten.

GT VR Preis 7 min
Anan Fries [Posthuman Wombs], 2023, still, VR KUNSTPREIS der DKB in Kooperation mit CAA Berlin 2023 // VR ART PRIZE by DKB in Cooperation with CAA Berlin 2023, Creator, Director, Script: Anan Fries, Creator, Composition, Sound Design: Malu Peeters © Anan Fries.

Einen Raum weiter ist die Arbeit von Anan Fries in warmes Licht getaucht. Wer möchte, kann auf dem runden Sessel in der Mitte Platz nehmen. Über Bildschirme und VR-Brille lädt Fries dann in eine Zukunft ein, in der binäre Geschlechterordnungen aufgehoben sind. Hier kann jedes Wesen, sogenannte “Post-Humans”, schwanger in externen Uteri werden und sich die Care-Arbeit gerecht aufteilen. Denn aus dem Körper ausgelagert lassen sich Embryonen problemlos zwischen Personen weiterreichen. Zusätzlich haben sich die externen Uteri mit Nabelschnüren aus der VR-Arbeit skulptural im Raum materialisiert, übertragen die zärtliche Atmosphäre aus der digitalen Welt in die Realität. Schwangerschaft wird bei Fries auf diese Weise zum technologischen Hack, der auf alle Personen gleichermaßen anwendbar ist.

GT VR Preis 4 min
Ausstellungsansicht // Exhibition view UNLEASHED UTOPIAS, Haus am Lützowplatz, 2023, Installation von Marlene Bart // Installation by Marlene Bart © VR KUNSTPREIS der DKB in Kooperation mit CAA Berlin 2023 // VR ART PRIZE by DKB in Cooperation with CAA Berlin 2023, Foto: J. Pegman // Photo: J. Pegman.

Marlene Bart widmet sich in ihrer Arbeit künstlerischer Forschung, präsentiert ihr Promotionsprojekt, das naturwissenschaftliche Ordnungssysteme neu denkt. Bühnenartig angeordnet können sich Besucher*innen in “Theatrum Radix” auf einem Podest im Zentrum niederlassen. Rundherum sind gänzlich ohne hierarchische Zuordnung naturkundliche Exponate in hohe, weiße Regale einsortiert. Dabei handelt es sich um gescannte Artefakte aus dem Naturkundemuseum, die von der Künstlerin digital weiterbearbeitet wurden. In Muranoglas gegossen fängt sich das Licht in kristallin verschachtelten Hirschkäfern oder sezierten Fröschen.

GT VR Preis 1 min
Marlene Bart, Theatrum Radix, 2023, still, Directed by | screenplay by Marlene Bart, Produced as a cooperation of Marlene Bart, Ikonospace founder Joris Demanrd and 3D Artist Manuel Farre, Music by Daniel Benyamin, VR KUNSTPREIS der DKB in Kooperation mit CAA Berlin 2023 // VR ART PRIZE by DKB in Cooperation with CAA Berlin 2023 © Marlene Bart.

Zusätzlich ist jedem der Exponate ein Kapitel in VR gewidmet. So tauchen die Betrachter*innen in Knochen, Gehirne und das Innere von Tieren ein. Könnte dies nicht grundsätzlich eine Ergänzung zur Präsentation von historischen Ausstellungsstücken bilden? In VR ließe sich plötzlich hautnah der Alltag und der Lebensraum der jeweiligen Tiere erleben, mehr Verständnis für Natur schaffen. Die Idee und der Titel knüpfen an das Gedächtnistheater des italienischen Philosophen Giulio Camillo an, der bereits im 17. Jahrhundert von einem alles Wissen vereinenden Theater träumte.

GT VR Preis 5 min
Ausstellungsansicht // Exhibition view UNLEASHED UTOPIAS, Haus am Lützowplatz, 2023, Installation von Lauren Moffatt Installation by Lauren Moffatt © VR KUNSTPREIS der DKB in Kooperation mit CAA Berlin 2023 // VR ART PRIZE by DKB in Cooperation with CAA Berlin 2023, Foto: J. Pegman // Photo: J. Pegman.

Möwen kreischen, der Wind pfeift, das Wasser rauscht. Ein 3D-Modell kumulierter körperbezogener Landkarten schwebt als Felsformation frei in einem der Räume im Haus am Lützowplatz. Liegend können Neugierige an einzelne Abschnitte der blühenden Landschaft heranzoomen oder einfach die meditative Atmosphäre genießen. „Wie sieht deine innere Welt aus?“, fragte Künstlerin Lauren Moffatt neun Frauen aus der ganzen Welt. Ihren innerlichen Zustand beschrieben die Frauen anschließend anhand einer Therapietechnik zur körperlichen Achtsamkeit, dem Body-Mapping, in Form von Landschaften. Von KI ließ die Künstlerin die beschriebenen Landschaften schließlich als Bilder erzeugen, übersetzte sie eigens in Malerei und ließ diese in 3D gescannt zu einer neuen Welt zusammenfügen. Letztere steht mit ihrem kontemplativen Charakter im Gegensatz zum geplanten Metaverse der Tech-Giganten. 

GT VR Preis 3 min
Ausstellungsansicht // Exhibition view UNLEASHED UTOPIAS, Haus am Lützowplatz, 2023, Installation von Marlene Bart // Installation by Rebecca Merlic © VR KUNSTPREIS der DKB in Kooperation mit CAA Berlin 2023 // VR ART PRIZE by DKB in Cooperation with CAA Berlin 2023, Foto: J. Pegman // Photo: J. Pegman.

Im letzten Raum zeigt Rebecca Merlin queere Erinnerungskultur, entwickelt neue Formen von Feminismus und der LGBTQ+ und Drag-Gemeinschaft, wenn sie 49 sich selbst als queer bezeichnende Personen in digitale Avatare übersetzt. Durch die Linse des Tablets sind sie in der Realität verortet, lassen sich bis zur Monumentalität vergrößern. Woran wollen wir uns erinnern? Was soll von dieser Welt übrig bleiben? Für Merlin ist es Zeit für neue Denkmale, welche die Normen und Werte unserer derzeitigen Gesellschaft überliefern. Einerseits mittels AR in unsere Realität übertragen, zeigt andererseits ein interaktives Computerspiel in 49 Mikrokosmen die jeweilige Utopie der befragten Personen im Digitalen. So gibt es ganz unterschiedliche Level, in denen beispielsweise Autos, die eigenen Brüste oder eine apokalyptische Wüstenlandschaft im Fokus stehen.

GT VR Kunstpreis 7 min
Rebecca Merlic, GLITCHBODIES, 2023, still, VR KUNSTPREIS der DKB in Kooperation mit CAA Berlin 2023 // VR ART PRIZE by DKB in Cooperation with CAA Berlin 2023 © Rebecca Merlic.

Die von Tina Sauerländer kuratierte Ausstellung “Unleashed Utopias. Künstlerische Spekulationen über Gegenwart und Zukunft im Metaverse” zeigt, dass kein Grund zur Sorge bezüglich neuer Technologien besteht. Je nach Nutzung haben sie Vor- wie Nachteile und bergen sogar das Potenzial für eine gerechtere, tolerantere und offenere Zukunft. Eine Zukunft, in der sich physische und virtuelle Räume ergänzen, sich analog und digital gegenseitig bereichern. Vielleicht liegen eine Aufhebung tradierter Geschlechterordnungen, ein echtes Verständnis von Natur oder ein als meditativer Safe Space empfundenes Metaverse näher als gedacht. Auf geht’s also in eine bessere Zukunft!

WANN: Die Ausstellung “Unleashed Utopias” läuft bis zum 5. November. Zusätzlich eröffnet am Mittwoch, den 13. September, das Digital Art Lab. Dort finden bis Sonntag, den 17. September, Talks, Workshops und Performances rund um das Thema digitale Kunst statt. Das gesamte Programm findet ihr hier.
WO: Haus am Lützowplatz, Lützowplatz 9, 10785 Berlin.

In freundlicher Zusammenarbeit mit dem VR-Kunstpreises der DKB in Kooperation mit CAA Berlin.

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