Reißt sie nieder!
„Adjustable Monuments“ in der Sammlung Philara

28. Februar 2022 • Text von

Vor der Sammlung Philara steht ein leerer Sockel. Er trägt ein Gerücht wie eine nahegelegene Tafel verrät. Der Sockel aber ist nicht das einzige denkwürdige Denkmal im Düsseldorfer Privatmuseum. Woran wollen wir uns erinnern? Was soll ins kollektive Gedächtnis der Menschheit eingehen und exponiert auf Sockeln im öffentlichen Raum platziert stehen? Zehn internationale Positionen widmen sich mit „Adjustable Monuments“ der Frage, wie die Denkmale der Zukunft aussehen könnten.

Petrit Halilaj: Very volcanic over this green feather, 2021, Installation view, © the artist; ChertLüdde, Berlin; kamel mennour, Paris/London, Photo: Kai Werner Schmidt

Ein Baum, ein paar Vögel, ein Sonnenuntergang, ein bewaffneter Soldat schweben in wenigen Linien klar umrissen als großformatige Filzarbeiten in der Ausstellungshalle der Sammlung Philara in Düsseldorf. Als eine Art Chiffren für die bezeichneten Objekte wirken sie wie Kinderzeichnungen. Und tatsächlich stammen die luftigen Zeichnungen aus der Feder des 13-jährigen Künstlers Petrit Halilaj. Es sind Eindrücke, die er während des Kosovo-Krieges (1998-99) im Flüchtlingslager Kukës II in Albanien aufzeichnete. Den Wert der Bilder erfährt der junge Künstler schon früh, als dem damaligen UN-Sekretär Kofi Annan eine der Filzstift-Zeichnungen überreicht wird, sie zum zeithistorischen Dokument wird.

Michael Blum: The Rumour (Or How Samantha Fox Helped Čačak Reach Fame), 2007, Plynth and text on stand in front of cultural center, Čačak (Serbia), First produced by Memorial Museum of Nadežda and Rastko Petrović, Čačak, © the artist, Photo: Astrid Wege

Der vom mittlerweile erwachsenen Künstler selbst bezeichnete „Erinnerungswald“ ist nunmehr begehbares Monument geworden. Doch an dünnen, weißen Schnüren aufgehängt, ist er nicht starr und unveränderlich, sondern leicht und beweglich. Es sind gemalte biografische Bruchstücke, die sich im Luftzug bewegen, schwerelos wirken. Ganz ähnlich echten Erinnerungen sind sie zeitlich wie räumlich losgelöst, nur locker miteinander verbunden, im Kern beständig, aber in ihrer Form veränderlich. In dieser Zeit aktueller denn je, erzählen sie von Flucht, Vertreibung und Heimat aus oft vergessenen Kinderaugen. Auch wenn das Kunstwerk von Leichtigkeit in der Form lebt, wiegt der Inhalt schwer. Sind das nicht Erinnerungen, die kollektiv bewahrt werden müssen? Vielleicht sogar vor neuem Leid bewahren?

Zuzanna Czebatul: Daze, 2020, Installation view, © the artist, Photo: Kai Werner Schmidt

Eng umschlungen liegen sie da. Zwei Obelisken, monolithische Stelen, die seit dem Alten Ägypten als hochherrschaftliche Bauwerke das Irdische mit dem Himmlischen verbinden. Normalerweise aus Stein gefertigt, starr und unbeweglich, sind sie hier fluide geworden, schlingen sich die geschrumpften Monumente wie Schwanenhälse umeinander, sind auf zerwühlte Laken gebettet. Die intime Szenerie der Künstlerin Zuzanna Czebatul hat etwas anrüchiges, das auf den ersten Blick so gar nicht zu den kalten, ehrfurchtgebietenden Zeichen von Sieg und militärischer Überlegenheit passt. Doch die phallische Anmutung ist optisch wie inhaltlich nicht abwegig, sind hochstrebende Architekturen doch im Grunde Ausdruck männlicher Herrschaft, Dominanz und Macht.

Danielle Brathwaite-Shirley: WE ARE HERE BECAUSE OF THOSE THAT ARE NOT, 2020, Blacktransarchive.com, © the artist, Photo: Kai Werner Schmidt

Darüber hinaus ist eine kollaborativ angelegte Installation von Czebatul gemeinsam mit zehn ihrer Studierenden der Brno University of Technology in Tschechien entstanden, die nicht Monument gewordene Denkmale zeigt. Vielmehr sind es Miniaturen, die wie Entwürfe wirken, und dem klassischen Denkmalbegriff entgegenstehen. An der Wand finden sich zahlreiche schriftliche Erklärungen, warum grade dieser dargestellte Aspekt erinnerungswürdig ist. Zuletzt wird gleichwertig mit den Studierenden ein Werk der Professorin selbst präsentiert. Sie greift ein tatsächliches Denkmal von Arno Breker auf, einem von Hitlers „gottbegnadeten“ Künstlern. Die „Pallas Athene“ ist in Wuppertal zu finden, wurde jedoch von der Künstlerin durch einen minimalen Eingriff grundlegend in der Aussage verändert. Sie duplizierte das Denkmal, so dass Athene nun gegen sich selber kämpft, den Speer gegen sich selbst richtet.

Black Quantum Futurism, Installation view, 2022, © the artists, Photo: Kai Werner Schmidt

Noch beeindruckt von den in rotes Dämmerlicht getauchten Rauminstallationen von Künstlerin und Aktivistin Danielle Brathwaite-Shirley befinden sich die BesucherInnen der Ausstellung plötzlich in einer Art mitternachtsblauen Wunderkammer, in der allerlei Gegenstände zu finden sind. Alte Wanduhren, antike Möbel, Schallplattenspieler, Fotos scheinen als wären sie explodierten Zeitkapseln entsprungen. Welche Objekte wollen wir konservieren? Sind Gegenstände angesichts zunehmender Gentrifizierung und ständigem Wohnortwechsel repräsentativer als die Häuser, die vorherige Generationen stolz vererbten? Für das Kollektiv Black Quantum Futurism sind Zeit und Raum keine linearen Größen. Sie sind vielmehr fluide Variablen, die sich in beide Richtungen begehen lassen, wenn mittels Zeitkapseln aus dem Heute Botschaften ins Morgen entsendet werden. Eine großformatige Karte zeigt, in den Sockeln welcher Denkmale auf wundersame Weise solche Zeitkapseln geborgen wurden. In den USA ein letztes verbliebenes Exemplar einer Zeitung ehemaliger Sklaven. Eine Nachricht aus der Vergangenheit.

Black Quantum Futurism: Write No History, 2021, Video still, © the artists

Was ist der Erinnerung würdig? In einer Welt, in der durch Social Media alles festgehalten wird, alles erinnerungswürdig erscheint. Denkmale, Ehrenmale sind manifestierte, Form gewordene Erinnerung. Sie führen uns tagtäglich vor Augen, wer oder was dem Gedenken würdig ist, was die Grundfeste unserer Geschichtsschreibung sind. Unser kollektives Gedächtnis aber weist Lücken auf. Lücken, die mit der Ermordung von George Floyd 2020 offenbar wurden und man sich fragte, wieso ehemalige Kolonialherrscher und Kriegsherren noch immer auf Sockeln stehen. Ist es nicht Zeit, die überkommenen Denkmale umzustürzen? Und tatsächlich brach sich der Zorn Bahn und rund um den Globus fielen Denkmale, zerbrachen auf dem Boden der Tatsachen.

Maximiliane Baumgartner & Alex Wissel {in cooperation with Madeleine Bernstorff, Ewa Einhorn & Karolin Meunier, Timo Feldhaus}: Courtroom #1 – #3 2017/2018/2022, Installation view, © the artists, the authors, Galerie Max Mayer, Düsseldorf & Nagel Draxler, Berlin | Köln | München, Photo: Kai Werner Schmidt

Mit den Monumenten ist es wie mit dem kunsthistorischen Kanon grundsätzlich. Er ist vor allem weiß, männlich und westlich. Wo sind all die marginalisierten Gruppen in unserer Geschichte zu finden? Ist es nicht an der Zeit, die verdrängten und vergessenen Stimmen in die Geschichtsschreibung zu inkludieren? Denkmale sollten zur kritischen Reflexion unserer Gegenwart anleiten und nicht nur demokratiefeindlichen rechts-nationalistischen Gruppen als Kulisse dienen, um ihre menschenfeindlichen Ideologien zu legitimieren. Die Künstlerin Ülkü Süngün kämpft für eine solche lebendige und aktive Erinnerungskultur, indem sie BesucherInnen der Ausstellung in Form eines Videos oder einer partizipativen Performance die korrekte Aussprache der Namen der zehn Opfer der NSU-Mordserie beibringt. 

Azra Akšamija: The Future to Be Rewritten, 2019/2021/2022, Installation view © the artist, Contributors to the original Proposal for a monument: Azra Akšamija (artist concept, project direction). Mariana González Medrano, Jaya Eyzaguirre, Isadora Dannin, Thera Webb, (research and design development team), Dietmar Offenhuber (conceptual contributions), Photo: Kai Werner Schmidt

Denkmale stehen im öffentlichen Raum und gehen damit jeden von uns an. In ihnen manifestiert sich unsere Geschichte, unser Weltverständnis. Sie sind Ausdruck all dessen, was wir als wichtig und überlieferungswürdig erachten. Letztlich ist das Museum selbst ein Monument mit Ewigkeitsanspruch, will es doch bewahren, konservieren und Werke wohl klimatisiert in Zeitkapseln verschließen. Mit einer Reflexion der Erinnerungskultur drängt sich die entscheidende Frage auf: Was für eine Gesellschaft wollen wir sein? Unsere Gegenwart ist veränderlicher, flexibler, interaktiver, beweglicher denn je. Warum sind es nicht auch unsere Denkmale?

WANN: Die Ausstellung “Adjustable Monuments” läuft bis zum 26. Juni 2022.
WO: Sammlung Philara, Birkenstraße 47, 40233 Düsseldorf.

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