Wer sagt noch Liebe dazu?
"Gestures of Affection" in der Neuen Galerie Innsbruck

21. Juni 2023 • Text von

Vier Positionen junger Künstler:innen setzen dem Publikum in der Neuen Galerie Innsbruck die rosarote Brille ab. Liebe ist nicht nur romantisch, sondern politisch und an Bedingungen geknüpft, die dem eigentlichen Akt des Liebens zuwiderlaufen. „Gestures of Affection“ eröffnet mit künstlichen Brustdrüsen, Care-Robotern und Seifenstücken aus destilliertem Schweiß durchwegs spannende, weil alterative Sichtweisen auf eine Liebe, die sich von ihren Altlasten befreit. (Text: Florian Gucher)

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Ausstellungsansicht “Gestures of Affection”, Neue Galerie Innsbruck, 2023. Foto: West. Fotostudio.

Anders als es der Ausstellungtitel vermuten lässt, gibt es hier weder kitschige Liebespaare noch biedere Ehemänner: In der Ausstellung „Gestures of Affection“ haben die Hauptprotagonist*innen der Liebe in Romeo-und-Julia-Manier ein schweres Spiel. Knallig-bunte Nebenakteur*innen queerer, alternativer und marginalisierter Liebesvielfalt machen dem Liebespärchen von nebenan mächtig Konkurrenz. Sie bringen frischen Wind in ein Verständnis der Liebe fernab von Ungleichheit, Inbesitznahme und Dominanz.

Bereits am Eingang zur Neuen Galerie Innsbruck sperrt sich dazu eine große, weiße Wand in den Weg. Auf ihr zu sehen sind Arbeiten aus der Serie „In between. The warmth“ oder besser gesagt fünf Umarmungen als fotografisch festgehaltene Performanceakte von Laura Cemin. Zärtlich begrüßen sie Besucher:innen der Ausstellung. Die Schau will Liebe als radikale Zärtlichkeit ohne Wenn und Aber in die Gegenwart holen. Man könnte meinen, die zentrale Positionierung der Wand zeuge bereits davon, dass einer Revision des Begriffes der Liebe nicht weiter auszuweichen ist.

Die Fotoarbeiten selbst stehen – und das im wörtlichen Sinne – in Verbindung mit Objekten auf aus der Wand herausragenden Erhebungen und werden emotional fassbar. Einer Fotografie ist ein Schwamm beiseitegestellt, links unten wiederum sticht ein kleiner Glaskubus heraus, weiche, an Wolle und Wachs erinnernde Materialien wechseln sich ab mit steifem Holz. Die Miniaturobjekte, die für Cemin „embodied memories“ sind, sollen auf haptische Weise beschreiben, wie sich die jeweils zehn Sekunden andauernden Umarmungen der Künstlerin mit vertrauten Personen angefühlt haben soll.

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Ausstellungsansicht “Gestures of Affection”, Neue Galerie Innsbruck, 2023. Foto: West. Fotostudio.

In dem Zusammenhang gilt es zu wissen, dass Cemin von Kindheit an ein Unbehagen bei körperlicher Nähe empfindet und sich dem stellen wollte. Ungezwungen und befreit, ordnet sich diese fotografische Performance eben nicht jener bürgerlichen Liebe ein, die bis weit ins 20. Jahrhundert den Wertekanon bestimmt hat. Hier ist es eine Intimität, die keine Gegenleistungen in Form von Unterordnung oder Selbstverzicht verlangt.

Cemins Fotografien sind auf den Akt der Umarmung zentriert. Da ist nichts, das ablenkt. Selbst die Hintergründe kreieren eine stimmige Bildkomposition, ohne sich in den Vordergrund zu schaukeln, weil lediglich dezente Vorhänge oder Teile von Wänden oder Fensterscheiben zu sehen sind. Manchmal geht das Fundament in komplettem Weiß auf, dann wieder lösen leichte Gardinenstreifen in Orange-Rot-Grün oder Büge, Knicke und Falten ein Gefühl von Wärme aus. Immer aber wird das, was sich vorne abspielt in der Grundierung aufgefangen, um dann auf die den Fotos beigefügten Gegenstände zu reflektieren.

Weil Liebesakte Auswüchse von Ungleichheit sind, macht sich hier ein alternatives Modell breit. Es bleibt allein als die intime Erfahrung übrig, wodurch die klassische Vorstellung bürgerlich-patriarchaler Liebe konterkariert wird und sich von negativen Konnotationen befreit.

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Ausstellungsansicht “Gestures of Affection”, Neue Galerie Innsbruck, 2023. Foto: West. Fotostudio.

Die Ausstellung konfrontiert mit der Tatsache, dass selbst der so unschuldige Begriff der Liebe etwas Heikles bergen kann. Es gibt da ein grundsätzliches Problem mit der klassischen Liebe, die auf dem Fundament bürgerlicher Wertprinzipien des 19. und 20. Jahrhunderts aufgebaut ist. Da diese an Unterdrückung und Geschlechterungleichheit sowie Neoliberalismus, Kapitalismus und eigene Kommerzialisierung sowie an patriarchale Gesellschaftsmuster denken lässt, scheint „Gestures of Affection“ den belasteten Begriff vielleicht nicht entlasten, aber jedenfalls einen Gegenentwurf dazu bilden zu wollen.

Theoretische Hauptquelle bietet Şeyda Kurts Buch „Radikale Zärtlichkeit“. Die Autorin streicht darin den von Ungleichheit durchzogenen Terminus bedingungslos aus dem Wortschatz und ersetzt ihn gegen jenen der Zärtlichkeit. Kurt war nicht die erste Schriftstellerin, die die Liebe aus ihren bürgerlich-patriarchalen Fesseln zu lösen versuchte, es gab bereits vor Kurt eine Reihe derartiger Bestrebungen, etwa von bell hooks, Alva Gotby oder Audre Lorde. So findet die Ausstellung in der Neuen Galerie genügend Unterfutter zur künstlerischen Argumentation.

„Wenn wir uns stark zu einer Person hingezogen fühlen, kommt es zur Kathexis oder Besetzung, das heißt, wir verknüpfen Empfindungen oder Emotionen mit der oder dem anderen“, stellt hooks in ihrem Buch „Alles über Liebe. Neue Sichtweisen“ fest. „Wir alle kennen Beispiele, dass eine Person, die sich durch den Vorgang der Kathexis mit einer anderen verbunden fühlt, darauf besteht, diese Person zu lieben, obwohl sie sie verletzt oder vernachlässigt. Aufgrund der Kathexis beharrt man darauf, dass es sich bei diesem Gefühl um Liebe handelt. (Doch) Liebe und Misshandlung passen nicht zusammen.“

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Ausstellungsansicht “Gestures of Affection”, Neue Galerie Innsbruck, 2023. Foto: West. Fotostudio.

Die Ausstellung nimmt den Gedanken auf. Wenn es beispielsweise um Cemins Fotoarbeiten geht, ist nicht mehr von einer Kathexis zu sprechen, da die Liebe existentieller, fairer und zwischenmenschlicher erscheint.

Den Autorinnen ist dabei gemein, dass sie beim eigenen Körper ansetzen, der nicht mehr durch andere vereinnahmt werden soll. Auch ist nicht mehr von der Liebe im Singular zu sprechen, weil wir es längst mit einem Verständnis dieser im pluralen Sinne zu tun haben sollten. An dieser Stelle kann, referierend auf Şeyda Kurt, diskutiert werden, ob Liebe überhaupt noch das richtige Wort für das ist, was sie beschreibt.

Verworren, aber bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die reliefartige Installation der Werkserie „My country, my blood“ von Robert Gabris. Den Besucher*innen schwebt ein von Seilen herabbaumelnder Tisch als Landkarte entgegen, auf deren Oberfläche weiße Fähnchen mit 260 verschriftlichen, in Rot getünchten Emotionen versehen sind. Auch Gabris nimmt auf die Kathexis Bezug, nur geradezu in Kontradiktion zu Cemin. Die Struktur der Karte verrät bereits einiges, sie lässt an Blutgerinnsel und Aufnahmen menschlichen Fleisches denken, durchschlägt die scheinbare Idylle. Krieg, Tod und Schändung leuchten plötzlich im Paradies auf.

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Ausstellungsansicht “Gestures of Affection”, Neue Galerie Innsbruck, 2023. Foto: West. Fotostudio.

In gewisser Hinsicht versinnbildlicht Gabris hooks These über die Inbesitznahme: Er lässt das Territorium, in diesem Falle auch menschlicher Körper, durch Flaggen vereinnahmen und zeigt es als großen Kriegsschauplatz und Gemetzel. Das liebliche Rot der Installation führt hinters Licht, ganz in Analogie zu einer Liebe, die sich nur nach außen hin als eitle Wonne gibt. Parallelen zu hooks poppen vordergründig als weiße Flaggen auf, während im Inneren das Blut weiterrinnt: „Wie oft hört man von einem Mann, der seine Frau und seine Kinder schlägt und dann in der Eckkneipe behauptet, er liebe seine Familie“, so ein durchaus treffendes Zitat aus hooks Werk.

Noch mehr ist die Intention des Werkzyklus aber gesamtgesellschaftlich angelegt: Vor diesem Hintergrund gilt es zu wissen, dass Gabris queere Person ist, sich zeitgleich der Roma-Community zugehörig fühlt und damit selbst Opfer von Ausschluss und Diskriminierung wurde. Nicht weit ist der Schwenk von „My emotional landscape“ zu dem was Alva Gotbys als „emotionale Reproduktion“ beschrieb. So wie der kapitalistische Markt laut Gotby die Art bestimmt, wie Menschen über emotionale Bindungen denken, ja wie soziale Hierarchien konstruiert werden, kartografiert Gabris diesen Prozess als Dystopie und befreit sich durch emotionale Aneignung von Territorien zeitgleich von ihm.

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Ausstellungsansicht “Gestures of Affection”, Neue Galerie Innsbruck, 2023. Foto: West. Fotostudio.

Mysteriös sind auch die Babywippen und Babyschaukeln der Künstlerin Anna Lerchbaumer, die sich im folgenden Raum wie aus einem Future-Science-Fiction-Movie entlehnt ausbreiten. Fasziniert von den technologischen Gerätschaften in ihrer Schwangerschaft hat sich die Künstlerin mit der Verwobenheit von Technik und Körper in Bezug auf Intimität auseinandergesetzt. Auch wenn die Formen der Installationen Kühle suggerieren, stecken sie in ihrer Funktionalität in einem Dilemma fest: Sollen technologisch adaptierte Babywippen, die durch rhythmisches Rumoren den Anschein erwecken, als könnten sie Babys in den Schlaf wiegen, Abhilfe schaffen oder bleibt man doch beim analogen, selbst gesungenen Wiegelied?

Die Installation mit dem Titel „Drei verpasste Anrufe am Babyphone“ widmet sich überspitzt der Frage, wie Liebe und Zuneigung gesellschaftlich definiert werden. Weil es allesamt Care-Roboter sind, die sich hier als große Fürsorger aufspielen, geht es um die Frage, was überhaupt als Liebe wahrgenommen wird, inwiefern sie überhaupt an Mitgefühl und Menschlichkeit gebunden ist. Bei Lerchbaumer sind Mensch und Maschine ineinander übergegangen. Abstrahierte, an der Wand hängende Brustdrüsen treiben das Problem auf die Spitze: Wenn der als natürlich geltende Prozess des Stillens technisch optimiert wird, was bleibt dann noch von der Ursprünglichkeit des gegenseitigen Liebens übrig?

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Ausstellungsansicht “Gestures of Affection”, Neue Galerie Innsbruck, 2023. Foto: West. Fotostudio.

Den Abschluss der Ausstellung bildet „Tools for anarchiving“, eine von caner teker zwischen Objekt- und Performancekunst stehende Arbeit, die mit Irritationsmomenten spielt. Im Vergleich zu dem vorher Gesehenen wirkt sie fast schnöde. Der Raum selbst, eine in monochrones gelbes Licht einer Natriumdampflampe getünchte Örtlichkeit mit Klubatmosphäre, der den Anschein eines Safe-Space der Queer-Community hegt, geht dann ganz in Analogie zu Cemins Fotografien zur Körperlichkeit zurück. Jedoch ist hier paradoxerweise gar keine zu sehen, sondern lediglich Objekte wie Seifen aus Olivenöl-Basis und Aluminium, die wohlgemerkt auf den Körper zurückverweisen.

Die Objekte sind Relikte einer Performance, die einen türkischen Öl-Ringkampf nachspielte, von ihrem typischen männlichen Gebaren befreite und in zärtliche Gestik überführte. Aus diesem Akt wurde der Schweiß herausdestilliert, um ihn in Seifenstücke zu gießen. Ganz unscheinbar wird dieser Prozess zu einer Reinigung, der sich in weitere Folge auf die Funktion der Objekte, sprich der Seifen selbst überträgt. „Katharsis goes future“ scheint aus tekers Installation zu sprechen.

Die Ausstellung ist klein, aber fein, doch zu kurz gedacht wird das Thema Liebe trotz Beschränkung auf vier Positionen nicht: Bemerkenswert ist, wie sich dann die einzelnen Werkkomplexe trotz eigenem Fokus ineinander verzahnen. Die Ausstellung zelebriert alles andere, nur nicht die bürgerliche Liebe. Sie hat Sendepause. Besucher*innen werden gewahr, wie sie – zumindest im Kontext von „Gestures of Affection“ – in ihren letzten Atemzügen steckt und verzweifelt um ihre Existenzberechtigung ringt.

WANN: Die Ausstellung „Gestures of Affection“ läuft bis zum 5. August.
WO: Neue Galerie Innsbruck, Rennweg 1, 6020 Innsbruck.