Wie Misogynie salonfähig wurde
Laia Abril im C/O Berlin

14. Februar 2024 • Text von

Laia Abril widmet sich in ihrer Arbeit den unbequemen Themen in Gesellschaft und Politik: strukturell ermöglichte Vergewaltigung, Abtreibung, Essstörungen und Geschlechtergerechtigkeit. In “On Rape – An Institutional Failure” im C/O Berlin legt sie mit viel Empathie für die Betroffenen in Fotografien, persönlichen Geschichten, Zitaten, Artefakten und Videos frauenfeindliche Strukturen offen – ohne explizite Darstellungen sexualisierter Gewalt. Diese Ausstellung ist ein eindringlicher Appell. Unbedingt hinschauen.

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Laia Abril. On Rape – And Institutional Failure, Installationsansicht bei C/O Berlin, 2024 © C/O Berlin Foundation, David von Becker.

Mit “On Rape – And Institutional Failure” zeigt das C/O Berlin im Obergeschoss die erste Einzelausstellung der katalanischen Künstlerin Laia Abril in Deutschland. Ihre Themen sind das Unbequeme, Verborgene und Tabuisierte: von Sexualität über Essstörungen bis hin zur Gleichberechtigung der Geschlechter. “On Rape” ist das zweite Kapitel ihres Langzeitprojekts “A History of Misogyny”, in dem die Künstlerin auf die vielfältigen Formen systematischer Gewalt gegen Frauen reagiert. Vorausgegangen war das Kapitel “On Abortion”.

Die Ausstellung ist das Ergebnis einer mehrjährigen intensiven Recherchearbeit und zeigt sowohl eigene als auch gefundene Fotografien, persönliche Erfahrungsberichte, Zitate, Videos und Artefakte zu einem Thema, das Abril strukturell ermöglichte Vergewaltigung nennt. Ausgangspunkt der Recherche ist ein Vergewaltigungsfall in Spanien im Jahr 2018, bei dem fünf Männer eine junge Frau brutal vergewaltigten und gegen Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen wurden. Verurteilt wurden sie schließlich nicht wegen Vergewaltigung, sondern zu einer milderen Strafe wegen sexuellen Missbrauchs.

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Laia Abril. On Rape – And Institutional Failure, Installationsansicht bei C/O Berlin, 2024 © C/O Berlin Foundation, David von Becker.

Laia Abril bezeichnet diese und andere in der Ausstellung präsentierten Fälle als “institutionelles Versagen” und geht der Frage nach, wie es immer wieder dazu kommen kann. Welche historisch begründeten Überzeugungen, Traditionen, Kulturen, Mythen oder Gesetze führen letztlich dazu, dass bestimmte Machtdynamiken bis heute aufrechterhalten, Täter*innen geschützt und Misogynie noch immer legitimiert wird? Ein Begleitheft zur Ausstellung und englische Texte an den Wänden erzählen die Hintergrundgeschichten zu den einzelnen Exponaten. “On Rape” im C/O Berlin ist keine Ausstellung, die man schnell durchläuft, hier braucht man Zeit. Viel Zeit und Aufmerksamkeit.

Zu sehen ist im ersten Ausstellungsraum zum Beispiel ein historischer Stadtplan, der Aufschluss gibt über Stadtgrenzen. In biblischer Zeit galt eine Vergewaltigung nur dann als solche, wenn sie außerhalb der Stadtmauern stattfand – andernfalls hätte man ihre Schreie hören müssen. Nur bei einer Vergewaltigung außerhalb der Stadtmauern galt eine Frau als unschuldig und konnte dem Tod durch Steinigung entgehen. Wenn sie jedoch nicht bereits verlobt war, trat das “Heirate-deinen-Vergewaltiger-Gesetz in Kraft”, das bis heute noch in Ländern wie dem Irak, Russland, Tadschikistan und anderen, in Kraft ist.

Eine enge Öffnung im Intimbereich, so der spanische Sexualwissenschaftler A. Martin de Lucenay, verriet Männern vor rund 300 Jahren, ob ihre Braut noch Jungfrau war. Frauen entwickelten und benutzten mithilfe eines “Schrumpfungsrezepts” daher gefährliche Salben, um die Vagina zu verengen. Auch Praktiken wie die “Lakenprobe”, die “Feuerprobe” oder die “Zwei-Finger-Prüfung” werden im ersten Raum der Ausstellung unter die Lupe genommen. Dabei handelt es sich um fragwürdige Praktiken, die die Jungfräulichkeit oder sogenannten Unschuld von Frauen beweisen sollen, in Wirklichkeit aber einen weiteren Übergriff darstellen.

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Ala Kachuu (Bride Kidnapping), Kyrgyzstan, 2020 © Laia Abril, Courtesy Les Filles du Calvaire, Paris. // Shrinky Recipe, 2019 © Laia Abril, Courtesy Les Filles du Calvaire, Paris.

Im zweiten Ausstellungsraum werden großformatige Fotografien präsentiert, die auf den ersten Blick Kleidungsstücke zeigen. Hinter den Objekten verbergen sich persönliche Geschichten verschiedener Protagonist*innen. Alina aus Kirgisistan, eine 21-jährige Studentin, die Modedesignerin werden wollte, sah ihren Mann zum ersten Mal an ihrem Hochzeitstag. Sie wurde gezwungen, den Mann zu heiraten, der sie entführt hatte. Eigentlich liebte sie einen anderen Mann. Veeda aus Afghanistan wurde im Alter von 13 Jahren zunächst mit dem Sohn eines lokalen Taliban-Kommandeurs verheiratet, ließ sich aber wieder scheiden und engagierte sich als Aktivistin. Nach ihrem Studium ging sie eine zweite Ehe ein, in der sie sechs Jahre lang von ihrem Ehemann zu Hause gefangen gehalten und sexuell missbraucht wurde.

Auch wenn die ausgestellten Bilder diese schrecklichen Erlebnisse und Taten nicht zeigen, sondern nur einzelne Kleidungsstücke, so entfalten sich die Erzählungen der Betroffenen umso deutlicher vor dem inneren Auge. In allen Ausstellungsräumen werden die Exponate von Zitaten aus Politik und Gesellschaft begleitet. Worte wie “Es gibt 13-Jährige, die damit einverstanden sind und es sogar wollen; wenn man nicht aufpasst, provozieren sie einen sogar” (Bernado Álvarez, Bischof von Teneriffa) oder “Viele Frauen, die sich nicht züchtig kleiden… führen zu mehr Erdbeben” (Hojatoleslam Kazem Sedighi, hoher iranischer Geistlicher) sorgen für zusätzliche Erschütterung und Sprachlosigkeit.

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Laia Abril. On Rape – And Institutional Failure, Installationsansicht bei C/O Berlin, 2024 © C/O Berlin Foundation, David von Becker.

Der dritte und letzte Raum zeigt neben weiteren Zitaten wie “Fass ihr an die Muschi, du kannst alles machen” (Donald Trump, US-Präsident) und “Ich werde dich nicht vergewaltigen, du bist viel zu hässlich” (Jair Bolsonaro, brasilianischer Präsident) weitere Videos, Fotos und Audioaufnahmen eines trankribierten Gruppenchats, der Vergewaltigungen und Sexualverbrechen schildert.

Auch ein Keuschheitsgürtel ist zu sehen, der einem Mythos zufolge Frauen im Mittelalter angelegt wurde, um sie vor Ehebruch, Masturbation oder Vergewaltigung zu “schützen”, während die Männer auf den Kreuzzügen kämpften. Im späten 18. oder 19. Jahrhundert wurden sie tatsächlich angefertigt, ob sie jedoch auch Anwendung gefunden haben, ist unklar. Die Idee, Frauen müssten sich vor Vergewaltigungen “schützen”, zieht sich jedoch bis in die Gegenwart: zum Beispiel in Form von produzierten Antivergewaltigungsgürteln oder -slips. Das 1982 für die Konsole Atari 2600 entwickelte Sex-Videospiel “Custer’s Revenge” stellt explizit die Vergewaltigung einer an einen Pfahl gefesselten indigenen Frau dar.

Laia Abril macht in “On Rape” anhand einer Vielzahl von Exponaten – eines erschreckender als das andere – die jahrhundertelange systematische Gewalt gegen Frauen bis in die Gegenwart sichtbar. Die Ausstellung zeigt, wie Frauenfeindlichkeit gesellschaftsfähig wurde, immer noch reproduziert und akzeptiert wird. Im C/O Berlin präsentiert die Künstlerin eine bewegende und politische Erzählung, die komplexe Zusammenhänge greifbar macht und gleichzeitig Traumata sensibel und mit tiefer Empathie für die Betroffenen darstellt. Ästhetischer Kunstgenuss? Fehlanzeige. Keine angenehme, aber eine ungemein wichtige Ausstellung, die an unser aller Verantwortung appelliert.

WANN: Die Ausstellung “On Rape – And Institutional Failure” läuft bis zum 21. Mai.
WO:
C/O Berlin, Hardenbergstraße 22-24,10623 Berlin.

Falls ihr selber betroffen seid oder weitere Informationen zum Thema benötigt, findet ihr hier einige Anlaufstellen.

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