Wo ich bin, ist die Zukunft Cao Fei bei Sprüth Magers
22. Mai 2023 • Text von Gast
Das Metaverse und ein Park in Peking sind für Cao Fei gleichermaßen surreal und echt. Eine Grenzstadt zwischen China und Russland wird zur Spielstätte von Science-Fiction in einem ganz realen Disneyland. Die Medienkünstlerin zeigt bei Sprüth Magers, wie sich das Reale und das Fiktive als mäandernde Stränge verbinden. Ist die Dualität von real und fiktiv zu einem kunsthistorischen Anachronismus geworden? (Text: Nora Wölfing)
„Wo befindet sich das Metaverse?“ ist die einfache und zugleich provokante Frage, die Cao Fei im Video „Meta-mentary“ (2022) Passant*innen in Peking stellt. Das dokumentarische Video führt hinein in den Pekinger Alltag und stellt gleichzeitig die Hauptanliegen der Künstlerin vor: Wie gestaltet sich die Bezugnahme des virtuellen auf den physischen Raum und wie gehen die Menschen damit um? Wie wirkt das Virtuelle hinein in das Leben der Menschen? Ein Taxifahrer antwortet auf die Frage etwa: „Dort hinten rechts ums Eck“. Mit seiner Antwort verweist er auf die surrealen Züge, die sich in Cao Feis Kunst häufig finden, so auch in der Ausstellung „Duotopia“ bei Sprüth Magers.
Einen Blick in die jüngere Vergangenheit eröffnet die Arbeit „RMB City“ (2007 – 2011). Damals hatte Cao Fei auf der Plattform Second Life ihre Version einer futuristischen Stadt entworfen, bewohnt von ihrem Avatar China Tracy. China Tracy ist eine feminine Gestalt mit langen schwarzen Haaren, ein Cyborg im Mangastyle. Sie trat im Second Life in Talkshows auf und interagierte mit anderen virtuellen Personen und Objekten, war aktiv und gesprächig.
Die technologischen Entwicklungen, die zwischen 2011 und heute stattgefunden haben, werden visuell besonders deutlich im Vergleich von China Tracy und Cao Feis neuem Avatar Oz (2022) und ihrer neuen virtuellen Stadt „Duotopia“ (2022). „Duotopia“ schwebt um die eigene Achse kreisend im Metaverse. Installiert ist die Arbeit als ein großer, von der Decke hängender Bildschirm. Besucher*innen sind eingeladen, es sich auf der darunter liegenden Matratze bequem zu machen. Um den physischen Körper in Anbetracht der virtuellen Leichtigkeit besonders zu aktivieren, stehen Pilates-Rückengeräte zur Verfügung.
Oz, der neue Avatar, ist ein Wesen mit menschlichem Kopf und Oberkörper, lilafarbenen, geschmeidigen Tentakeln einer Krake und den durchscheinenden, silbrig glänzenden Linien ihrer Cyborg-esquen Körperlichkeit. Ihre Augen sich blau, ihr Blick abwesend und träumerisch, die Bewegungen ruhig und fließend. So schwebt Oz hochauflösend auf großen Monitoren durch einen endlos wirkenden, leeren virtuellen Raum.
Durch die Gegenüberstellung der Visualität der beiden Avatare China Tracy und Oz wird auch das Verhältnis zur Technik einem Update unterzogen: War der Umgang mit dem Virtuellen in den Jahren von 2007 bis 2011 noch von einer entdeckungsfreudigen Leichtigkeit geprägt, hat dieser heute eine düstere Tönung angenommen. Trotz der von Tech-Unternehmen angepriesenen Interaktivität hat eine konsumistische Passivität Einzug gehalten.
Was würden China Tracy und Oz wohl zueinander sagen, wenn sie sich treffen würden? Würden sie die gleiche Sprache sprechen? Was würden sie über ihre jeweiligen Wohnorte „RMB City“ und „Duotopia“ sagen?
Mit „Duotopia“ zeigt Sprüth Magers in Berlin eine große Einzelausstellung mit Cao Feis neuesten Arbeiten. Seit ihrer Retrospektive in der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen 2019 sind ein paar Jahre mit einschneidenden historischen Ereignissen verstrichen, die das Empfinden von Zeit und Welt neu orientiert haben. So sind die zahleichen neuen Arbeiten auch Zeitdokumente. Der Coronazeit sind gleiche mehrere Videoarbeiten gewidmet.
Der Titel der Ausstellung „Duotopia“ führt mitten hinein in Cao Feis Werk: das chinesische „duo多“ steht für viele, unzählige, das Plurale, das Multiple – auch das Uneindeutige und Vieldeutige ist mitgedacht. „-topia“ steht für einen Ort, eine Zeit, ein Konstrukt, das gewünscht, ersehnt oder gefürchtet werden kann, aber nicht erreichbar ist. In der Kunst Cao Feis findet dieses widersprüchliche Multiple der Gegenwart ihren Ausdruck. Gleichzeitig kann das chinesische „duo“ als Abkehr von binären Erklärstrukturen gelesen werden. Es ist nicht virtuell oder real, es ist nicht fiktiv oder dokumentarisch. Der große Vorwurf an die westliche Philosophietradition, alles in dualistische Bezüge zu setzten, ist erneut herausgefordert. Das ebenso häufig zitierte Klischee, dass chinesische Denktraditionen wie der Daoismus das Fließende hervorheben, erweist sich in Bezug auf Cao Feis Kunst allerdings in jedem Fall als das passendere Denkmuster.
In direkter Nähe zu den Arbeiten, die Einblicke in Cao Feis virtuelle Welt geben, werden während der Coronazeit entstandene Videoarbeiten gezeigt. „A Holiday“ (2023) zeigt eine Gruppe von Freund*innen im Park beim Picknick, beim Schwimmen, beim Sport-Treiben im Freien und beim Fischen in der Natur. Mit einer Handykamera fing Cao Fei die Alltagsgespräche ihrer Freund*innen über Corona, Essen, Familie und Beruf ein.
Dabei spiegelt „A Holiday“ hervorragend den Camping-Boom zur Coronazeit in China wider, wobei gerade das Fischen zum Trendhobby wohlhabender Städter*innen wurde. Unzählige neue Campingplätze wurden in allen Landesteilen eröffnet, der Absatzmarkt für hochpreisiges Outdoor-Equipment wuchs enorm und zeigte das dringende Bedürfnis der chinesischen Bevölkerung, sich in die Natur zu begeben, raus aus den geschlossenen Städten und den einengenden Regularien während der Coronazeit.
Installiert und gezeigt wird „A Holiday“ dann auch passend einem Environment, das das im Video Gesehene mit dem Ausstellungsraum verschränkt. „A Holiday“ wird in einem Camping-Set-Up gezeigt: Outdoor Equipment, Campingstühle, eine Plane, der Duft von Holz. Eine eigens aufgeschichtete Ziegelmauer trennt die Campingidylle ab und schafft mit einem ausgestopften Huhn eine fast bukolische Stimmung.
Im hinteren Teil des Camping-Settings steht ein Zelt, in dem auf einem Fernseher Cao Feis sehr persönliche Arbeit „Still Alive“ (2023) gezeigt wird. Die Künstlerin begleitet ihre Mutter beim Abschied von ihrem Lebensgefährten, der während der Corona-Pandemie verstarb. Cao Fei ist als Tochter und als Künstlerin anwesend, sie begleitet ihre Mutter mit der Kamera.
Beim Aufstellen des Hausaltares und in ruhigen Bildern fängt Cao Fei das traditionelle Verbrennen von Papiergeld ein, wie es in China für die Ahnenverehrung üblich ist. Man verbrennt Papiergeldnoten, aber auch alle anderen Objekte des täglichen Gebrauchs als Papiernachbildungen, zum Beispiel Handys, Waschmaschinen, Autos oder Kleidung. Der Rauch des Papiers soll die Objekte zu den Verstorbenen in die Welt der Toten tragen, sodass sie sie dort benutzen können.
Beim Betrachten von „Still Alive“ dringt das Gelächter, die alltäglichen Gespräche und Späße aus der benachbarten Arbeit „A Holiday“ ans Ohr. Alles passiert mit einer Gleichzeitigkeit, die nur das Leben abbilden kann.
Im oberen Stock der Galerieräume sind zwei längere Videoarbeiten zu sehen. Der Retro-Science-Fiction-Film „Nova“ (2019) sowie „Metroshkaverse“ (2023). Der Boden des Raumes ist mit einem Replikat des Fußbodens in Cao Feis Studio ausgelegt, das wiederum im historischen Hongxia Theater in Peking beheimatet ist. Das Hongxia Theater ist auch in „Nova“ ein wichtiger Fixpunkt und so verbinden sich Film, Fiktion und Galerieraum zu einem verwobenen Teppich der Narration.
„Nova“ (2019) spielt in einer fiktiven Stadt. Diese Stadt „Nova“ ist visuell in den 60er-Jahren in China zur Zeit Mao Zedongs verortet und erzählt gleichzeitig von futuristischer Technologie. Diese zeitliche Doppelbödigkeit zieht sich in Cao Feis neuen Film „Matroshkaverse“ (2023) hinein.
„Matroshkaverse“ zeigt die reale Stadt Manzhouli, eine Grenzstadt zwischen Russland und China in der autonomen Region Innere Mongolei gelegen. Die Stadt ist ganz dem ethnischen Tourismus verschrieben: Große Matroschkapuppen zieren die Kreisverkehrsinseln und leiten die Autos zu Hotels, die den Stil der Basilius-Kathedrale auf dem Roten Platz in Moskau aufnehmen und in Disneyland-Dimensionen steigern. Folkloristische Tänze, Jurten als Event-Restaurants und mittendrin treten einige Protagonist*innen aus dem Film „Nova“ auf. Diese Besucher*innen aus einer anderen Zeit, einer anderen Dimension, lassen durch ihre Anwesenheit Fiktion und Dokumentation zu einem Bild verschwimmen.
Die Ausstellung „Duotopia“ bei Sprüth Magers ist geprägt von immersiven Räumen, die Inhalte der Videos finden Pendants im Raum, das Verschränken der Realitätsebenen in den Arbeiten findet seinen Widerhall im Ausstellungsraum. In jedem Raum rieselt das Licht blau oder orange durch die Installationen und entrückt ihn den Sehgewohnheiten der Besucher*innen.
Cao Feis große Stärke ist das Verweben von Zeiten, Räumen, Narrativen und Geschichten zu dichten Konstrukten, die durch ihre Vertrautheit bei den Betrachter*innen Anknüpfungspunkte schafft. Der Ort ist in Cao Feis Kunst oft ein hybrides Konstrukt zwischen realem Raum, fiktiven Charakteren und dem virtuellen Bereich, der sich durch räumliche Referenzen wie die Sport- und Campingobjekte oder den nachempfunden Atelierboden im Ausstellungsraum vergegenwärtigt. Ihre Bilder sehen immer aus, als wären sie von morgen, auch wenn dieses Morgen manchmal aussieht wie die Vergangenheit – nur ein wenig in der falschen Zeit, knapp neben uns, in Reichweite und doch getrennt durch die Fantasie, aber doch immer so vertraut, dass wir der Geschichtenerzählerin gerne ihre Fabulierkunst abnehmen.
WANN: Die Ausstellung “Duotopia” von Cao Fei läuft bis zum 19. August.
WO: Sprüth Magers, Oranienburger Str. 18, 10178 Berlin.