Lanzenvergleich Agnes Scherer bei ChertLüdde
14. März 2024 • Text von Lara Brörken
Mit “Savoir Vivre” bei ChertLüdde bricht Agnes Scherer eine Lanze für die Gleichberechtigung der Geschlechter. Nicht, indem sie beispielhafte Missstände aufzeigt, die Gendergaps heutiger Zeit verdeutlicht, sondern indem sie zeigt, wie wenig sich seit dem Mittelalter verändert hat. Zudem wird schnell klar, wie stark sich auch die natürlichen Ressourcen an Machtspielchen erschöpfen. Die Männer buhlen, die Frauen pulen – lasset die Spiele beginnen!
Das Bett ist bestenfalls eine Metapher für Geborgenheit, ein Möbelstück, das gleichzeitig Ort der Ruhe, des erholsamen Schlafes und der Sicherheit ist. Ein intimer Ort, den dauerhaft zu teilen nur den Vertrautesten vorbehalten sein sollte. Der Konjunktiv deutet bereits an, dass sich eine Utopie in den Satz geschlichen hat. Das mit der Vertrautheit und Sicherheit ist ein fragiles Konstrukt, das Agnes Scherer im ersten Raum ihrer aktuellen Ausstellung “Savoir Vivre” bei ChertLüdde thematisiert.
Das Bett aus Papier, das Agnes Scherer ihrem eigenen Bett nachempfunden hat, deutet nicht nur in seiner Materialität an, dass die Stabilität vorgetäuscht ist. Auch die Figuren und Objekte, die sich in dem gänzlich mit Filzstift bemalten Bett entdecken lassen, könnten Himmel oder Hölle bedeuten. Sie deuten auf eine Braut hin, die hier neben ihrem Gatten gebettet werden könnte. Ein Kleid, Haare, Engel und Götter, die als Referenz auf Botticellis “Geburt der Venus” als der Wind des Zephirs, der eng umschlungen mit Aura oder der Nymphe Chloris der schönen Nackten Fruchtbarkeit einhaucht, identifiziert werden können.
Ein Himmelbett in jeglicher Hinsicht, doch nur so lange wie die Ehe, die hier vollzogen wird, eine glückliche ist. Genauso gut könnte dieses antikanmutende Bett, dessen Vorbild jedoch aus den 00er-Jahren ist, auch Reliquie sein. Ist die Ehe ein Fluch oder Segen? Deutet man die Hinweise dieses Bettes, stehen die Chancen fifty-fifty.
Um die Chancen auf eine gute Ehe zu erhöhen, hilft der Tjost oder auch Lanzenkampf genannt. Seit dem frühen Mittelalter duellieren die potenziellen Ehemänner dabei um die Gunst einer Frau ihrer Wahl. Im zweiten Raum des “Savoir Vivre” kann einem solchen Kräftemessen beigewohnt werden. Zwei Ritter zu Pferde in voller Pappmaché-Rüstung duellieren sich eindrucksvoll im Raum. Zwar statisch und hohl und doch scheint das Wiehern der beiden angespornten Papp-Pferde kurz hörbar zu sein. Gerade reingestolpert aus dem Schlafgemach in diesen lebensgroßen Moment der Machtdemonstration, kann man sich ihrer einschüchternden Wirkung kaum verwehren.
Der Stoß wurde soeben erfolgreich vom Ritter in Grün gesetzt, seine Lanze ist gebrochen und der Sieger steht somit fest. Er wirft nun einen triumphierenden Blick nach oben auf die Empore, auf der eine Auswahl an Zukünftigen verzückt bis beschämt den ritterlichen Blick erwidert. Die leicht gesenkten Köpfe aller zwölf Frauen zeigen, dass ihnen der Lanzenbruch imponiert hat. Eine zückt ihr Smartphone und fotografiert den Sieger, die nächste winkt verschüchtert, eine andere zupft an ihrer Zuckerwatte herum. Sie alle erscheinen maskenhaft, da ihnen die Rückseite fehlt, sie sind zweidimensional als Referenz auf weibliche historische Charaktere, die in der Lektüre oft ebenso buchstäblich flach gezeichnet wurden.
Gleichzeitig spannt Agnes Scherer im Integrieren moderner Attribute wie dem Smartphone oder einem abstürzenden Flugzeug auf dem Helm des grünen Ritters eine Verlinkung zur Gegenwart, zu heutiger Partner*innenwahl die nicht selten immer noch mittels vorgewiesener Macht getroffen wird. Mit der Unterschrift unter dem Flugzeug “Je suis prêt a m’écraser” (dt.: Ich bin bereit zu stürzen) und der Inschrift “Tout pour les dames” (dt.: Alles für die Damen), die auf dem Wappen des blauen Verlierers steht, werden die ritterlichen Absichten der Kämpfer untermauert. Echte Gentlemen eben, was will man mehr?!
Entscheidend ist damals wie heute nicht nur die eindrucksvolle Risikobereitschaft der Buhlenden, die Größe ihrer Lanze – auf keinen Fall! – sondern auch die enormen Ressourcen, die sie für ihren Erfolg bereit sind zu verbrauchen. So vollzieht Agnes Scherer auf einer 10-Meter-Wand, die der Kampfszenerie Hintergrund ist, die Produktionskette der Lanzen nach, während die Frauen nebenbei Gänsen Essen eintrichtern, um dem Hof stets ihre Gänsestopfleber servieren zu können.
Links noch der saftige Wald, dann gestapelte Baumstämme und ganz rechts farblich angepinselte Lanzen wie überdimensionale Mikadostäbchen, deren Produktion das fragile Konstrukt Natur zu stürzen droht. Ein schicker Anzugträger steigt aus seinem blutroten Tesla, um das prächtige Endprodukt in Augenschein zu nehmen. Ein weiterer Link zur heutigen Zeit, den Agnes Scherer mit den Worten “Die Lanze von damals ist der Tesla von heute” beschreibt.
Das unterhaltende Moment der Installation entwickelt sich mit der Besuchszeit hin zu einer Erkenntnis, die einen trifft wie ein Lanzenschlag: Die Verzahnung von veralteten Rollenbildern mit der Erschöpfung natürlicher Ressourcen sollte dringendst gestoppt werden! Keine Lanze, kein schneller Wagen sollte doch über einen zweidimensionalen Charakter hinwegtäuschen können! Wer bricht denn nun endlich eine Lanze für die Natur und uns alle? Mit dieser Nachricht startete das “Savoir Vivre”-Turnier im August 2023 im Heidelberger Kunstverein, zog weiter über Sankt Gallen nach Berlin. Der Kampf muss weitergekämpft, die Erkenntnis wie ein Wanderpokal weitergereicht werden, das ergibt im Falle dieser Ausstellung sehr viel Sinn. Es muss nicht immer alles neu, wenn das, was da ist, schon so gut ist.
WANN: “Savoir Vivre” ist noch bis Donnerstag, den 28. März zu sehen.
WO: ChertLüdde, Hauptstraße 18, 10827 Berlin