Wie geht Verschwinden?
Karolina Jabłońska bei Esther Schipper

12. Februar 2024 • Text von

Der Wunsch nach Unsichtbarkeit und gleichzeitigem Gesehenwerden ist ein Dilemma. In ihrer Einzelausstellung „How to be invisible“ erkundet Karolina Jabłońska malerisch die Sehnsucht nach dem Verschwinden – und ist dennoch sehr präsent. Die fiktiven Erzählungen der Künstlerin erzählen von emotionalen Ausnahmezuständen und sind erschreckend nachvollziehbar.

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Karolina Jabłońska: The crowd, 2023 / Covering, 2023. Courtesy the artist and Esther Schipper, Berlin/Paris/Seoul. Photo © Szymon Sokołowski / Mateusz Torbus

Vermummt und unzufrieden wirken die Protagonistinnen auf Karolina Jabłońskas Gemälden, die aktuell in der Ausstellung “How to be invisible” in der Galerie Esther Schipper zu sehen sind. Sie haben allen Grund dazu: Bei Wind und Regen stapfen sie durch den herbstlichen Wald, ärgern sich mit einer zerrissenen Nylonstrumpfhose herum oder kämpfen mit rutschenden Socken im Stiefel. Es sind bekannte Alltagssituationen, in denen die Künstlerin ihre Selbstporträts verortet. Zahlreiche Alter Egos blicken die Betrachter*innen aus geröteten, manchmal tränengefüllten Augen mit ausdrucksstarken Brauen an. Oft versuchen sie ihre ernsten Gesichtszüge zu verbergen, zum Beispiel hinter den eigenen Händen, einem Kleidungsstück oder den dünnen Ästchen eines kahlen Baumes.

Jabłońskas Bilder spielen mal im Innenraum und mal in trüben Landschaften. Wie in der Epoche der Romantik scheint die karge Umgebung das Innenleben der Dargestellten zu repräsentieren. Auch das häusliche Umfeld bietet keinen Schutz vor den Blicken, denen es auszuweichen gilt. Eine Protagonistin versteckt sich im Kleiderschrank, eine andere sucht Schutz im spärlich eingerichteten Kühlschrank.

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Karolina Jabłońska: How to be invisible, Esther Schipper, Berlin, Ausstellungsansicht, 2024. Courtesy the artist and Esther Schipper, Berlin/ Paris/Seoul. Photo © Andrea Rossetti

Notfalls verbirgt sie sich auch im Einmachglas: Das dreiteilige Werk “Red preserves” zeigt den Kopf der Künstlerin, der neben einer Reihe anderer Konserven in Gläsern eingelegt ist. Ein Einmachglas eignet sich wunderbar als Metapher für das Sammelbecken an Traumata, in dem so ein Kopf herumdümpeln kann. Gleichzeitig beschreibt die Abbildung eindringlich das Gefühl der stumpfen Lethargie. Dort wo er kann, ist der Kopf aber nicht zu sehen: Oft ist lediglich der Körper der Dargestellten sichtbar. Wie auch immer sie aber den Blicken zu entfliehen versucht, der Fokus liegt auf ihr. Auf jedem Bild ist sie, wenn auch nur in Teilen, zu erkennen.

Paradoxerweise wird die Präsenz der Figur durch den Versuch, sich zu verstecken, nur noch deutlicher. Obwohl der Wunsch des Unsichtbarwerdens klar zu erkennen ist, wird auch ein gegensätzlicher Aspekt deutlich: das Verlangen, gesehen zu werden. Eine vermeintliche Gegensätzlichkeit, die nicht nur für Künstlerinnen zum Dilemma werden kann. Durch das Abwechseln von sehr kleinen und sehr großen Bildformaten wird dieser scheinbare Kontrast besonders deutlich. Aber stehen sich die Sehnsucht nach dem Verschwinden und das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit wirklich so konträr gegenüber?

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Karolina Jabłońska: Red preserves, 2023. Courtesy the artist and Esther Schipper, Berlin/Paris/Seoul. Photo © Szymon Sokołowski

Karolina Jabłońska findet einen berührenden Weg, die Komplexität von Empfindungen malerisch festzuhalten. Die dargestellten Emotionen färben ab: Eisige Kälte, stumpfe Frustration und innere Zerrissenheit übertragen sich auf die Betrachter*innen, ehe sie sich darüber bewusst werden. Wie würde es sich eigentlich anfühlen, in trüber Essiglake zu treiben? Vielleicht ja gar nicht so übel.

Die zahlreichen Alter Egos der Künstlerin scheinen ihr Schicksal akzeptiert zu haben. Sie suggerieren eine gewisse Gelassenheit, oder zumindest Akzeptanz ihrer misslichen Situation. Es ist eine angenehme Abwechslung, der uneitlen Ehrlichkeit dieser Protagonistinnen zuzusehen. Ihr exponiertes Unwohlsein regt sogar dazu an, freiwillig den neugierigen Blick abzuwenden und sie in ihrer misslichen Lage in Ruhe zu lassen. Aber dafür guckt man sie leider viel zu gerne an.

WANN: Die Ausstellung “How to be invisible” ist noch bis zum 7. März zu sehen.
WO: Esther Schipper, Potsdamer Straße 81e, 10785 Berlin.

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