Funktionlos, aber fun
Axel Loytved in der Galerie Mathias Güntner

6. März 2024 • Text von

In einer von Produktivität und Konsum geprägten Welt wird es zunehmend schwerer, zur Ruhe zu kommen. To-do-Listen sind endlos, die Grenzen zwischen Arbeit und echter Freizeit verschwimmen. In “Nie wieder Freizeit” in der Galerie Mathias Güntner entzieht Axel Loytved einfachen Alltagsgegenständen ihren ursprünglichen Nutzen und verfremdet sie bis zur völligen Funktionslosigkeit. Dabei entwickeln die Objekte ein merkwürdig-witziges Eigenleben mit wesenhaften Zügen, das Fragen aufwirft.

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Flaschen, 2021, Glas, Papier, Aluminium, Maße variieren, Foto: Martin Müller.

Gebogene Glasflaschen, ein in Einzelteile zerlegter Einkaufswagen, Heizkörper mit Ärmchen und Beinchen, ein Plastikstuhl mit Socken, Flachbildschirme aus Epoxidharz. Solch entfremdete Alltagsobjekte zeigt der Hamburger Künstler Axel Loytved derzeit in der Galerie Mathias Güntner in Berlin-Charlottenburg. In ihrer ursprünglichen Gestalt zwar noch erkennbar, werden sie ihrer originalen Funktion beraubt, auseinandergenommen, verformt oder neu zusammengesetzt, entwickeln ein Eigenleben und scheinen sich wie kleine funktionslose Wesen auf den Weg durch den Ausstellungsraum zu machen.

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Einkaufswagen, 2024, Stahl, Kunststoff, Epoxidharz, Glasfaser, 250 x 180 x 60 cm, Foto: Martin Müller.

Axel Loytved beschäftigt sich in der Ausstellung “Nie wieder Freizeit” mit gesellschaftlichen Phänomenen, der allgegenwärtigen Erschöpfung des Menschen durch den ständigen Drang nach Produktivitätssteigerung und Konsummaximierung, die auch vermeintlich ruhige Phasen der Erholung und Freizeit mehr und mehr in Beschlag nehmen. Höher, weiter, schneller lautet die Devise. Pauschalreisen oder Spa-Angebote versprechen Entspannung pur, die perfekte “quality time”, um sich danach wieder voller Tatendrang in die Lohnarbeit zu stürzen und noch mehr zu schaffen. Es ist ein Teufelskreis, wir sind Teil des Systems. Sich von Wirtschaft, Konsum und Kapitalismus befreien? Eigentlich unmöglich.

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NIE WIEDER FREIZEIT., 2024, Magazine, Maker, Maße variabel, Foto: Martin Müller.

Fragwürdige Klatschblätter mit Titeln wie “Freizeit für mich”, “Freizeit mit Herz” oder “Freizeit im Leben” liegen zu einem Haufen auf dem Galerieboden. Erstaunlich oft lächelt einem das Gesicht von Schlagerstar Helene Fischer entgegen. Die Worte “Nie wieder Freizeit.” zieren die weiße Wand, vom Künstler handschriftlich hinzugefügt. All diese Magazine stammen aus einem einzigen Laden in Hamburg-Altona. Im Grunde haben sie alle ähnliche Titel, Cover und Schlagzeilen. Nicht zu übersehen: Die Schlagzeilen sind vor allem negativ, dramatisch, schockierend, anklagend. Was verrät das über die “schöne Freizeit” der Konsument*innen? Bedeutet Freizeit, sich über Stars und Sternchen aufzuregen oder sich an den vermeintlichen Trennungsdramen der Menschen zu ergötzen? Was auf den ersten Blick so lustig erscheint, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als ein menschlicher Abgrund.

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Screen III, 2024, Glasfaser, Epoxidharz, TV-Halterung, 170 x 108 cm, Foto: Martin Müller.

Die Objekte des Alltags und der Konsumwelt, die Axel Loytved hier auf engstem Raum zusammenbringt, sind den Betrachter*innen vertraut, doch wird ihnen außerhalb des Kunstkontextes keine besondere Bedeutung beigemessen. Sie sind Mittel zum Zweck, unterstützen das Konsumbedürfnis. In ihrer neu präsentierten Erscheinung manifestiert sich die künstlerische Praxis von Axel Loytved – die Freude am Experimentieren mit Fundstücken, das Interesse an Materialien und das Aufbrechen alltäglicher Sehgewohnheiten kommen in den Arbeiten zum Ausdruck.

So humoristisch sie in ihrer äußeren Erscheinung auch daherkommen – den ausgestellten Werken wohnt eine nachdenkliche Note inne, eine gewisse Ratlosigkeit und Fragwürdigkeit in Bezug auf das Menschsein, auf unseren Umgang mit der vorhandenen Lebenszeit. Sie sind unterhaltsam und regen gleichzeitig zum Nachdenken an. Spaß und Ernst gehen Hand in Hand.

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Heizkörper, 2024, Metall, Lack, 60 x 35 x 120 cm, 60 x 35 x 130 cm, 70 x 70 x 30 cm, Foto: Martin Müller.

Die Ausstellung “Nie wieder Freizeit” verpackt ernste und große Fragen in ein lustiges Gewand. Wann hören wir eigentlich auf zu funktionieren? Wann sind wir mit dem Erreichten zufrieden, ohne gleich an den nächsten Schritt zu denken? Wann und wie gönnen wir uns Pausen? Wollen wir sie überhaupt oder finden wir Erfüllung und Daseinsberechtigung in der Auflösung von Arbeit und Freizeit? Oder haben wir verlernt, uns Grenzen zu setzen?

Die Objekte im Ausstellungsraum erscheinen funktionslos – aber mit Fun! Axel Loytved hinterfragt mit seinen Arbeiten auf humorvolle Art und Weise unseren gesellschaftlichen Umgang mit Arbeit, Zeit und Freizeitgestaltung, mit Zwang und Freiheit, verweist auf das kapitalistische System, in dem wir uns Tag für Tag bewegen und dem wir uns nicht entziehen können. Er verwandelt Alltagsgegenstände und Waren in kleine Wesen, mit Armen und Beinen, zieht ihnen Socken an. Fast spöttisch “blicken” sie ins Leere. Ihr dekonstruiertes Antlitz hält den Betrachter*innen einen Spiegel vor und ist Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Ermüdung, das Ergebnis von Dauerberieselung, Produktivitäts- und Konsumwahnsinn.

WANN: Die Ausstellung “Nie wieder Freizeit” läuft bis zum 13. April.
WO: Galerie Mathias Güntner, Knesebeckstraße 90, 10623 Berlin.

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