Futuristisches Ökosystem
Thimo Franke und Steffen Jopp im Düsseldorfer Studio for Artistic Research

15. November 2022 • Text von

In friedlicher Koexistenz teilen sich futuristische Wesen verschiedener Arten den Lebensraum, bilden in einer Biozönose gemeinsam ein eigenes Ökosystem. Es sind seltsame Gebilde, Ausdruck einer künstlich erschaffenen Natur, einer Nachformung natürlicher Prozesse sowie sensibler Gefühlsregungen. Im Düsseldorfer Studio for Artistic Research treffen die künstlerischen Positionen von Thimo Franke und Steffen Jopp zusammen, lassen sich klar voneinander differenzieren, aber ergänzen sich in ihrer ambivalenten Erscheinung.

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SERUM, Steffen Jopp und Thimo Franke, STUDIO FOR ARTISTIC RESEARCH, Düsseldorf, 2022, Foto: Andreas Fechner.

Ein Kriechen, ein Schleichen, ein Winden. Technoide Wesen, kalt und scharfkantig, aber belebt. Mit dünnen Beinen tasten sie sich vorwärts, manchmal kommen sie auch ganz ohne aus. Es ist ein Streben – nur wohin? Manches hat Richtung, manches ist richtungslos. Spiegelnde, korrodierte Oberflächen brechen Gesichter, sind selbst Gesichter, sitzen wie Masken an der Wand. Jeder von ihnen ist ein ganz spezieller Ausdruck zu eigen, ein besonderer Charakter, im Titel benannt: „zufrieden und beseelt“ – „konzentriert und unentschlossen“.

Wer kennt es nicht? Diesen manchmal sich aus dem Innern regenden ungerichteten Schaffensdrang? Spuren des Werkprozesses sind sichtbar, zeugen von der Hand des Künstlers, sitzen wie Brandmale auf dem Edelstahl. Als irisierende Tribals ziehen sie sich über die mal lächelnden, mal aggressiven, mal neugierigen Gesichter der Masken.

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Steffen Jopp, nur kuscheln, 146 x 280 x 513 cm, Aluminium, Leder, Stahl, Edelstahl, 2022, Detail, Foto: Andreas Fechner.

Die metallischen Formen von Steffen Jopp sind fragil und gleichsam stark. Sensible Charaktere mit dünnen, suchenden Beinen, die wie gewachsene Luftwurzeln aus Mangroven sich winden, wie zuckende Fühler aus einem Körper finden, der nicht wirklich einer ist. Das seltsame Getier kann auch Gerät sein, futuristisches Fortbewegungsmittel mit zwei angedeuteten, aus dem Rücken ragenden Sitzschalen.

Die Nahtstellen sind offengelegt, haben mit ihren metallisch glatten Kanten etwas Fetischisierendes, sind in der Kombination mit Leder neue Evolutionsstufen innerhalb von Jopps Werk. Wie eine zweite Haut legt sich das farbige Leder auf die Objekte, verleiht harten Formen ein weiches Antlitz, bedeckt mosaikartig wie indigene Bemalungen manche der an Stativen befestigten Masken. Intuitiv zucken die Fingerspitzen, denn sie möchten spüren wie kalt oder warm sich der Werkstoff anfühlt, möchten über die Erhebungen, Einkerbungen und Gravuren tasten.

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Thimo Franke, Entwurf für C0RDYC5PS I, PMMA, Stahl, Textil, ca. 30 x 30 x 200 cm, 2022, Detail, Foto: Andreas Fechner.

Im Schatten des langbeinigen Spinnentiers weilt ein ganz anders geartetes Lebewesen, erinnert von der Form her an ein Spermium, könnte wie eine Kaulquappe im Wasser leben. Die geometrisch angelegte Oberfläche assoziiert eine Ansammlung weißer Soundboxen oder aneinander montierte LEDs. Aus dem kapselartigen Schwimmkörper könnte sich neues Leben formen, vielleicht ist es aber bereits der Vertreter einer neuen Spezies.

Markant ist das rhythmische Lochmuster, das im Sinne der sogenannten Trypophobie auch Angstzustände auslösen kann, unterbewusst vor Gefahren warnt, durch verletzte Haut, giftige Tiere und Pflanzen, Insektenbefall. Immer wieder tauchen solch geometrische Strukturen in der Ausstellung auf, muten bedrohlich und verlockend zugleich an. Innerhalb des größtmöglichen Kontrasts von Schwarz und Weiß gibt es Formen, die sich symmetrisch verteilen, dann zu einer Seite hin anhäufen, an Schwarmverhalten erinnern. Sie assoziieren Lebewesen, die sich näherkommen oder auf Distanz halten, sich anziehen und abstoßen, sich vereinzeln und ballen.

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Thimo Franke, B30B4CH+3R III, PMMA, Lack, 40 x 30 x 15 cm, 2022, Foto: Andreas Fechner. // Steffen Jopp, zufrieden und beseelt, Edelstahl, 131 x 90 x 38,5 cm, 2022, Foto: Andreas Fechner.

Aus den Bildern von Künstler Thimo Franke wachsen Gebilde in den Raum, Stacheln bedrohlich wie Dornen, dünne spitze Knochen oder aus ferngesteuerten Ameisenköpfen strebende parasitäre Lebensformen. Ähnlich dem Pelz eines Stacheltiers oder scharfen Elfenbeinzähnen leben kleine Mitbewohner darin, spannen sich in den Zwischenräumen Spinnennetze mit winzigen Birkensamen, die von einem früheren Ausstellungsort inmitten von Natur erzählen.

In einer anderen Arbeit züngelt weißer Kunststoff wie im Wasser tänzelnde Algen aus dem formgebenden Grund. In der Nähe findet sich zudem ein Treibhaus, das echte Pflanzen nach einer künstlichen Lichtquelle sich reckend bewohnen. Die schwarzen Architekturen, die dunklen Häuser von Franke, die als kleinformatige Modelle überall in der Ausstellung verteilt sind, kommen nun als Treibhaus durchfenstert daher, lassen den Blick ins Innere zu, assoziieren mit den weißen Stelen und großen Maschinenschrauben optisch fast einen nordischen Birkenwald. Hier verwebt sich ganz offenbar das Lebendige mit dem Künstlichen, das Organische mit dem Anorganischen.

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SERUM, Steffen Jopp und Thimo Franke, STUDIO FOR ARTISTIC RESEARCH, Düsseldorf, 2022, Foto: Andreas Fechner.

Es sind zwei sehr unterschiedliche künstlerische Positionen, die jedoch in ihrer Ästhetik gut zusammenpassen, wechselseitig ineinandergreifen. Denn die unter dem Titel „Serum“ im Düsseldorfer Studio for Artistic Research versammelten Arbeiten zeichnen sich durch ihre Ambivalenzen aus: alles ist scharfkantig, aber auch weich, fest und fluide, warm und kalt. Franke und Jopp eint nicht nur der kürzlich an der Düsseldorfer Kunstakademie erworbene Abschluss, sondern auch das Interesse für die Vereinigung organischer und anorganischer Strukturen, für das Belebte im Unbelebten, das Natürliche im Künstlichen.

Bei beiden Künstlern findet das Außen Eingang in die Arbeiten, ob als direkte Spiegelung der Besuchenden oder innerhalb der Leerstellen, den Durchblicken auf die räumliche Umgebung sowie durch die Integration von Insekten und Pflanzen. Der Gang durch die Ausstellung gleicht somit einem Blick in ein ganz spezielles Ökosystem, innerhalb dessen diverse, voneinander differierende Lebewesen in einer Biozönose in friedlicher Koexistenz zusammenwohnen.

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Freitag, den 18. November.
WO: STUDIO FOR ARTISTIC RESEARCH, Ackerstraße 33, 40233 Düsseldorf.

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