Sehen und Staunen
"Circles of Light" von Nancy Holt im Gropius Bau

16. April 2024 • Text von

Mit “Circles of Light” zeigt der Gropius Bau derzeit eine Retrospektive der Künstlerin Nancy Holt. Licht, Schatten, Formen und wechselnde Blickwinkel sind prägende Elemente ihrer künstlerischen Praxis. In ihren Arbeiten beschäftigt sie sich intensiv mit dem, worauf Kunst und Kunstbetrachtung basieren: der Wahrnehmung. Die Ausstellung präsentiert das umfangreiche Werk der Künstlerin, das von Installationen, Land Art, Fotografien bis hin zu Video- und Soundarbeiten reicht.

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Nancy Holt, Electrical System, 1982, Installationsansicht, Gropius Bau 2024 © Holt/Smithson Foundation, VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Courtesy: Sprüth Magers, Foto Luca Girardini.

Nancy Holts künstlerisches Schaffen ist vielfältig und umfangreich – mit unterschiedlichsten Medien hat sie verschiedene Wahrnehmungsebenen erforscht und festgehalten. Ihr Gesamtwerk umfasst Konkrete Poesie, bei der die typografische Wirkung mehr im Vordergrund steht als die Bedeutung der Sprache, Installationen, großflächige Land Art, Skulpturen im öffentlichen Raum, Fotografien sowie Video- und Soundarbeiten. Vor ihrer künstlerischen Laufbahn studierte sie Biologie. Aus diesem Entschluss, wie aus ihrem Kunstschaffen, spricht eine besondere Verbindung zur Natur sowie der Antrieb von Holt, komplexe Zusammenhänge besser verstehen und wahrnehmen zu wollen. Für die Bewegung der Erd-, Land- und Konzeptkunst wurde sie zu einer wichtigen Schlüsselfigur. Mit “Circles of Light” zeigt der Gropius Bau die bisher größte Überblicksausstellung der US-amerikanischen Künstlerin in Deutschland.

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Nancy Holt, Electrical System, 1982, Installationsansicht: Nancy Holt: Locating Perception, Gropius Bau 2024 © Holt/Smithson Foundation, VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto: Luis Kürschner.

Beim Betreten des Lichthofs im Gropius Bau begegnen die Besucher*innen direkt der zentralen raumgreifenden Arbeit von Nancy Holt in der Ausstellung “Circles of Light”: dem “Electrical System”. Die Installation besteht aus gebogenen Metallrohren und Glühbirnen, die sich durch den gesamten Lichthof ziehen und eine gedämpfte Lichtstimmung erzeugen. Die Besucher*innen sind dazu eingeladen, sich durch das Geflecht von Rohren und Licht hindurch zu bewegen und Teil der Installation zu werden.

Das Stromnetz ist vielerorts eine Selbstverständlichkeit und fester Bestandteil des täglichen Lebens geworden. Stromnetzwerke liegen meist im Verborgenen, sind für den Menschen nicht sichtbar. Mit ihrer Arbeit verleiht sie diesen unsichtbaren Verbindungen Ausdruck, gibt ihnen Raum und entwickelt eine große Lichtskulptur aus ihnen. Nancy Holt visualisiert hier unsere menschliche Abhängigkeit, die wenig betrachtet oder hinterfragt, sondern einfach hingenommen wird. Ebenso verschwimmen die Grenzen zwischen Innen und Außen beim Durchqueren der Installation.

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Nancy Holt: Light and Shadow, Photo Drawings, 1978, Installationsansicht, Gropius Bau 2024 © Holt/Smithson Foundation, VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Courtesy: Sprüth Magers, Foto: Luca Girardini.

In der Fotoserie “Light and Shadow” experimentiert die Künstlerin mit Licht und Schatten und hält die dabei entstehenden Formen visuell fest. Diese Arbeit steht stellvertretend für viele weitere Lichtstudien, die Nancy Holt im Laufe ihrer Karriere unternommen hat. Sie regen die Betrachtenden dazu an, sich auf das Zusammenspiel verschiedener Lichtkonstellationen und -formen einzulassen und sich ganz auf den Prozess der eigenen Wahrnehmung zu konzentrieren. Die Wahrnehmung, auf der Kunst und Kunstbetrachtung basieren, spielt im Werk der Künstlerin eine zentrale Rolle. Sie wird zum Ausgangs- und Endpunkt jeder Arbeit. Hier schließt sich der Kreis.

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Nancy Holt: Electrical Lightning Reading Room, 1985 © Holt/Smithson Foundation, VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Courtesy: Sprüth Magers.

Neben der Faszination für das Licht begleitet die Künstlerin das Interesse am gesprochenen Wort und dessen Klang. So lassen sich in den Ausstellungsräumen immer wieder Tonaufnahmen entdecken, die Zustände und persönliche Wahrnehmungen der Künstlerin beschreiben. Nancy Holt befindet sich in einer ständigen Auseinandersetzung mit den eigenen Sinnen, sie wird zur Forscherin des eigenen Sehens, aber auch des Hörens und der eigenen Stimme.

In der Arbeit “Boomerang” beispielsweise kollaboriert sie mit dem Künstler Richard Serra. Sie filmen sich dabei, wie sie sich unterhalten, aber das eigene Echo immer wieder in den Kopfhörern ertönt. Durch die Rückkopplung der eigenen Stimme wird der Gesprächsfluss erschwert und manchmal kurz unterbrochen. Häufig müssen die beiden Künstler*innen vor Anstrengung lachen und zu ihrer eigenen Konzentration zurückfinden. In der Videoarbeit wird die verwirrende, desorientierende Erfahrung, die beide Protagonist*innen in dem Moment durchleben, für die Betrachtenden deutlich.

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Nancy Holt, Mirrors of Light II, 1974, Installationsansicht, Gropius Bau 2024 © Holt/Smithson Foundation, VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Courtesy: Sprüth Magers, Foto: Luca Girardini.

Besonders spannend an den Arbeiten von Nancy Holt ist der künstlerische Umgang mit dem Ausschnitt, der immer wieder thematisiert wird. Häufig werden in den Arbeiten verschiedene Blickwinkel gezeigt oder der Blick durch zahlreiche Löcher oder Betontunnel, wie die “Sun Tunnels” gelenkt, was bei näherer Betrachtung viel mit der eigenen Wahrnehmung machen kann. Die Künstlerin zeigt auf subtile Weise, dass der Mensch dazu neigt, Dinge zu kategorisieren, sie direkt einzuordnen und zu benennen, ohne zunächst die Form einer Sache oder eines Zustandes wahrzunehmen und auf sich wirken zu lassen.

Diese Beobachtung lässt sich auch auf Kunst oder einen Museumsbesuch übertragen: Besucher*innen gehen im Museum oft direkt auf die Beschilderung von Kunstwerken zu, um zu erfahren, aus welchem Material das Werk besteht, wie es heißt oder was es gerade darstellt. Der eigenen Wahrnehmung wird wenig vertraut, der Zustand, ein Werk einfach auf sich wirken zu lassen und einen Moment abzuwarten, welche Assoziationen und Gedanken bei der Betrachtung ohne Kontext entstehen, scheint manchmal unerträglich. Die vielfältigen Arbeiten, die in der Ausstellung “Circles of Light” im Gropius Bau gezeigt werden, sind eine Rückbesinnung auf die individuelle menschliche Wahrnehmung und eine Einladung, sich mit vermeintlichen Lücken, dem Unsichtbaren, sowie der eigenen sinnlichen Wahrnehmung auseinanderzusetzen, dem persönlichen Prozess Raum und Zeit zu geben.

WANN: Die Ausstellung “Circles of Light” läuft bis zum 21. Juli.
WO: Gropius Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin.

gallerytalk.net ist Medienpartner des Gropius Bau für die Ausstellung “Nancy Holt: Circles of Light”.

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