Gespiegelte Wahrnehmungen
Kuratorin Tina Sauerländer über den VR Kunstpreis

14. April 2021 • Text von

Die international tätige Kunsthistorikerin Tina Sauerländer analysiert die Auswirkungen der digitalen Sphären auf individuelle Lebenswelten und die Gesellschaft insgesamt. Wir sprachen mit der künstlerischen Leiterin des VR Kunstpreises der DKB in Kooperation mit CAA Berlin über digitale Medien und die Schnittstellen von virtuellen und physischen Realitäten.

Patricia Detmering: Aporia, 2020, Screenshot.
Patricia Detmering: Aporia, 2020, Screenshot.

gallerytalk.net: Mehr als ein Jahr Pandemie hat auch zu einer Belebung der digitalen Kunst und der digitalen Kunstvermittlung geführt. Wie ist deine Zwischenbilanz?
Tina Sauerländer: Ich finde diese Entwicklungen wirklich sehr gut. Endlich passiert etwas. Das Internet existiert seit 30 Jahren, aber die Museen haben dessen Möglichkeiten leider größtenteils lange ignoriert. Digitale Kunst war immer beschränkt auf bestimmte Institutionen, die sich darauf spezialisiert haben: das ZKM, die Ars Electronica, das Edith-Russ-Haus, das Haus der elektronischen Künste Basel. Die digitale Kunst wurde sehr lange abgegrenzt von der zeitgenössischen Kunst, auch die Geschichte der digitalen Kunst wurde parallel zur Kunst generell erzählt. Das ändert sich jetzt. Dieser Prozess hat bereits vor einigen Jahren begonnen, seitdem wir über „Post-Internet“ sprechen und digitale Ästhetik auch auf physische Objekte übertragen wird. Im letzten Jahr haben nun auch Museen das Digitale als künstlerisches Medium und Tool erkannt und wahrgenommen.

Was blieb ihnen auch anderes übrig?
Nun wurde verstanden, dass eine Webseite mehr als lediglich ein Träger für einfache Informationen sein kann. Das digitale Umfeld kann Raum für Austausch sein, Raum für die Präsentation von Kunst. Davon unabhängig gab es natürlich auch andere Neuerungen. Selbst innerhalb der digitalen Kunstszene hat sich sehr viel getan im letzten Jahr. Die Plattform „Mozilla Hubs“ zum Beispiel hatte durch Corona ihren großen Durchbruch in der Kunstwelt. Der zentrale Aspekt dabei sind virtuelle Räume in denen Ausstellungen, auch unabhängig von der physischen Welt, gezeigt werden können. Was wir jetzt im Digitalen gelernt haben, das wird Post-Corona bleiben. Die Besucher*innen werden nach digitalen Formaten verlangen. Und die Institutionen haben verstanden, dass man so auch Menschen nicht nur lokal sondern auch global erreichen kann.

Armin Keplinger: THE ND-Serial, 2020/2021, Screenshot.
Armin Keplinger: THE ND-Serial, 2020/2021, Screenshot.

Du siehst einen bleibenden digitalen Effekt?
Das Digitale bietet Vorteile, die das Physische nicht hat. Und umgekehrt. Klar werden wir nach einem Jahr, kulturell und sozial ausgehungert, wieder in Museen gehen wollen. Aber die Vorteile des Digitalen bleiben bestehen. Auch Konferenzen haben sich verändert. Man muss für einen Vortrag nicht mehr zwingend weit reisen, das ist ökologischer und man spart Zeit. Auch für den Aspekt des Netzwerkens gibt es mittlerweile interaktive Plattformen, auf denen das gut funktioniert. Vor kurzem habe ich bei einem digitalen Event Leute kennengelernt, mit denen ich jetzt in Kontakt stehe und Projekte plane. Die habe ich also quasi auf einer Eröffnung getroffen, diesmal eben im digitalen Raum.

Schon vor Corona galt Virtual Reality (VR) als Technik der Zukunft, auch in der Kunst. Ich habe aber manchmal den Eindruck, diese Technik kommt bei den Nutzer*innen nicht so an, wie gehofft. Wie siehst du das?
Es dauert, bis sich eine neue Technik wirklich verbreitet. Wir sind jetzt viel weiter als noch vor fünf Jahren. Es müssen erst genug Inhalte geschaffen und auch gefunden werden können. Es ist klar, warum man sich ein neues Smartphone kauft. Für viele ist aber noch nicht klar, warum sie sich eine VR-Brille kaufen sollen. Es gab bereits in den 1990er-Jahren eine große VR-Welle, auch in der Kunst. Damals war die Technik noch extrem teuer und bei weitem nicht für den Massenmarkt nutzbar. Nintendo und Sega haben damals sogar Home-VR-Equipment entwickelt, das sich aber nicht auf dem Markt behaupten konnte. Die Technik war damals einfach noch nicht ausgereift genug. Heute ist das anders und wir sind zudem an digitale Technologien mehr gewöhnt. Sie bestimmen mittlerweile unseren Alltag, das sah Anfang der 1990er Jahre noch anders aus.

Evelyn Bencicova, Arielle Esther, Joris Demnard (Ikonospace): Artificial Tears, 2019.
Evelyn Bencicova, Arielle Esther, Joris Demnard (Ikonospace): Artificial Tears, 2019.

Für dich bleibt VR also die Technik der Zukunft?
Generell Mixed Realities würde ich sagen. Vor einiger Zeit wurde ich ins Fraunhofer-Institut in Berlin eingeladen. Dort gibt es Technologien, mit denen man Menschen erst dreidimensional scannen und diese Daten dann in digitale Avatare transformieren kann. In der virtuellen Realität sehen diese Avatare dann extrem real aus und bewegen sich auch so. Das war wirklich sehr beeindruckend. Natürlich wird es noch dauern, bis solche High-End-Technik für den Massenmarkt tauglich ist, aber da wird noch sehr viel kommen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten.

Du bist die künstlerische Leiterin des VR-Kunstpreises. Was ist das Ziel dieses Preises?
Der Preis dient dazu, das Medium der virtuellen Realität strukturell in der Kunstwelt zu etablieren und zu stärken. Zunächst hat eine Jury aus mehr als 100 Bewerber*innen fünf Stipendiat*innen ausgewählt. Das ist für ein Medium, das immer noch eine Nische ist, eine große Zahl. Ich war positiv überrascht, wie viele gute Positionen aus Deutschland sich beworben haben. Noch vor ein paar Jahren hätte ich gesagt, ich kenne viele in der Szene, aber da gibt es jetzt eine enorme Bandbreite, die wirklich spannend ist. Die ausgewählten Stipendiat*innen haben jeweils 4000 Euro bekommen, um gemeinsam mit mir eine Ausstellung zu realisieren, die jetzt am 16. April im Haus am Lützowplatz in Berlin eröffnet. Und am Freitag, den 7. Mai, verleihen wir dann drei VR Kunstpreise, die insgesamt mit 12.000 Euro dotiert sind.

Banz & Bowinkel, Poly Mesh, 2020, Screenshot.
Banz & Bowinkel, Poly Mesh, 2020, Screenshot.

Was präsentieren die Stipendiat*innen dort?
In der Ausstellung zeigen die fünf Stipendiat*innen Banz & Bowinkel, Evelyn Bencicova, Patricia Detmering, Armin Keplinger und Lauren Moffatt jeweils eine VR-Arbeit, die in eine große ortsspezifische Installation eingebettet ist. Dabei werden Ideen und Konzepte aus dem virtuellen Raum im physischen Raum aufgegriffen. Es geht darum, die Vorstellung und Wahrnehmung der „Realität“ in unterschiedlichen Medien und Umgebungen darzustellen und auch zu hinterfragen. Dabei grenze ich das Digitale nicht von der „echten“ Welt ab, sondern ich unterscheide zwischen physischer und virtueller Welt, die beide jeweils eigenen Bedingungen unterworfen sind. Diese gilt es in der Ausstellung zu erfahren und auszuloten.

Wie meinst du das?
Die Ausstellung hat den Titel „Resonanz der Realitäten“. Die unterschiedlichen Realitäten oder Welten resonieren miteinander, oder spiegeln sich gegenseitig. Im Kern geht es um Kommunikation. Wir haben alle unsere individuelle Wahrnehmung. Durch Kommunikation sind wir fähig, uns diese gegenseitig zu erklären und zu spiegeln. Dadurch können wir unser Gegenüber verstehen und Empathie empfinden. Das ist besonders in einer Zeit wichtig und relevant, in der viele Menschen durch die momentane Situation angespannt sind und unterschiedliche Auffassungen über das richtige Verhalten täglich aufeinander prallen.

Lauren Moffatt, Image Technology Echoes, 2020, Screenshot.
Lauren Moffatt, Image Technology Echoes, 2020, Screenshot.

Wie wird die Eröffnung stattfinden?
Die Eröffnung wird online stattfinden, wir planen einen hybriden Event. Das Publikum wird über Zoom zugeschaltet sein, die Redner*innen, Künstler*innen und ich sind, je nach den Bestimmungen, vor Ort. Es wird Reden geben und eine Führung mit mir und den Künstler*innen und auch die Möglichkeit für das Online-Publikum Fragen zu stellen. Im Laufe der Ausstellungsdauer bis 6. Juni wird es weitere Online-Vermittlungsformate geben, wie Gespräche mit den Künstler*innen. Die Online-Plattform „Radiance VR“, die ich mitgegründet habe, wird zudem parallel zur Ausstellung eine App launchen, mit der man mit dem eigenen VR Headset, der Oculus Quest, die Arbeiten als Videos auch zuhause erleben kann.

WANN: Die Ausstellung ist von Samstag, den 17. April, bis zum 6. Juni 2021 zu sehen.
WO: Haus am Lützowplatz, Lützowplatz 9, 10785 Berlin und hier.

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