Hinter verschlossenen Türen Julie Legouez in der Galerie Kollaborativ
18. März 2024 • Text von Carolin Kralapp
Das eigene Zuhause ist ein Refugium. Für Julie Legouez war es das lange Zeit nicht. Und damit ist sie nicht allein: Häusliche Gewalt ist allgegenwärtig – Tendenz steigend. In der Ausstellung “My Happy Place” in der Galerie Kollaborativ hat die Künstlerin einen heimelig anmutenden Ikea-Wohntraum eingerichtet, der sich bei näherer Betrachtung als beklemmender Angstraum entpuppt und die traumatische Erfahrung toxischer Beziehungen widerspiegelt.
Ausgangspunkt für die Ausstellung “My Happy Place” der Künstlerin Julie Legouez in der Galerie Kollaborativ ist ihr persönliches Trauma einer toxischen Liebesbeziehung, in der sie physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt war. Ihre Geschichte ist kein Einzelfall. Die Zahl an Betroffenen von häuslicher Gewalt steigt stetig. In “My Happy Place” verwandelt die Künstlerin den Galerieraum in eine minimalistische, mit Ikea-Möbeln ausgestattete Wohnung, und hinterfragt die Erzählung vom Zuhause als angstfreiem Wohlfühlort.
Das Zuhause ist per Definition der Ort, an dem ein Mensch lebt und sich wohl fühlt. Die eigenen vier Wände sind ein “safe space”, ein sicherer Hafen, der Schutz und Ruhe vor der Außenwelt bietet, wo wir abschalten und unsere Batterien wieder aufladen können. Könnte man meinen. Die Zahlen in Deutschland sprechen leider eine alarmierende Sprache: Im Jahr 2022 meldeten die Behörden 240.547 Opfer häuslicher Gewalt. 157.818 von ihnen lebten in einer Partnerschaft – insgesamt ein Anstieg um 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 80 Prozent der Betroffenen sind Frauen, die Gewalt durch ihren aktuellen oder ehemaligen Partner erfahren haben. Dies sind nur die registrierten Fälle, die Dunkelziffer bleibt unbekannt.
Beim Betreten des Ausstellungsraumes springen einem die großen Buchstaben im leicht verzerrten Ikea-Branding förmlich ins Auge: “Safety is just a word” (“Sicherheit ist nur ein Wort”) – geschrieben auf der Bettwäsche eines an der Wand montierten MALM-Bettes von? Klar, Ikea. Die gesamte Einrichtung der Ausstellung stammt von dem großen schwedischen Möbelhersteller. Das Bettmodell MALM ist ein klassisches Doppelbett, wie es in vielen Schlafzimmern des Landes zu finden ist. Ausgestellt wird ein prototypisches Eigenheim mit durchschnittlichen Bewohner*innen in einer heterosexuellen Partnerschaft. Die Besucher*innen finden sich direkt in dem Readymade von Julie Legouez wieder – einem Ikea-Wohntraum, der auf den ersten Blick Ruhe und Frieden verspricht, sich aber nicht als solcher durchsetzen kann.
Ein bunter Musikmix aus verschiedenen Kuschelrock-CDs beschallt den Ausstellungsraum und unterstützt das Gefühl des Unbehagens, das sich bei näherer Betrachtung der Rauminstallation einstellt. Generische Stockfotos, die heterosexuelle Paare in unterschiedlichen Posen und Stimmungen zeigen, wurden von der Künstlerin mittels Fototransfer auf Leinwand gezogene Ikea-Bettwäsche gedruckt und mit plakativen Kalendersprüchen wie “Home Sweet Home” (“Heim süßes Heim”) oder “My favorite place” (“Mein Lieblingsplatz”) versehen. Die Ironie ist nicht zu übersehen. Dem steht die bittere Realität gegenüber, mit der die Betroffenen konfrontiert sind: “There is no safe space” (Es gibt keinen sicheren Ort“). Wenn selbst das eigene Zuhause kein sicherer Ort mehr ist, wohin dann?
Drei VICKLEBY-Stehlampen stellen die verschiedenen Stadien einer toxischen Beziehung dar. Am Anfang steht das Lovebombing mit vielen Liebesbekundungen und Versprechungen wie “It’s you and me forever” (“Du und ich für immer”). Im nächsten Schritt folgen emotionale Erniedrigung und Manipulation mit Ausdrücken wie “You are trash” (“Du bist Müll”) oder “If you really loved me, you would do it” (“Wenn du mich wirklich liebst, würdest du das tun”). Die letzte Stufe bringt vermeintliche Entschuldigungen und Rechtfertigungen des fiktiven Täters hervor: “I did it cause I love you” (“Ich tat es aus Liebe”) oder “You are too sensitive” (“Du bist zu empfindlich”). Beim Umqueren der beschrifteten Lampenschirme können sich Desillusionierung und Schwindelgefühle einstellen, ähnlich der beklemmenden Gefühlslage innerhalb einer Gewaltbeziehung.
Was hinter verschlossenen Türen geschieht, bleibt oft auch dort – im Verborgenen. Die Betroffenen bleiben traumatisiert zurück, sollen schweigen, weitermachen. Doch wie, wenn jeder Tag in den eigenen vier Wänden ein Kampf ums Überleben ist und die Betroffenen von ihrem Umfeld isoliert werden? Ausgehend von ihrer eigenen Geschichte bringt Julie Legouez das Thema häusliche Gewalt in den öffentlichen Ausstellungsraum, macht das Schicksal vieler sichtbar und schafft ein Bewusstsein dafür, dass Zuhause nicht immer gleich Zuhause ist. Wo “My Happy Place” draufsteht, muss noch lange kein “Happy Place” drin sein. Mit Humor, Ironie und einer massentauglichen Bildsprache führt sie den Betrachter*innen die Abwärtsspirale toxischer und gewalttätiger Beziehungen vor Augen. Julie Legouez Geschichte ist kein Einzelfall. Häusliche Gewalt kann jede*n treffen. Wo sonst meist weggeschaut wird, bietet sie Raum zur Auseinandersetzung.
WANN: Die Ausstellung “My Happy Place” läuft noch bis zum 8. April.
WO: Galerie Kollaborativ, Saarbrücker Str. 25, 10405 Berlin.
Parallel zur Ausstellung ist die Publikation “The Cure” von Julie Legouez bei SHIFT BOOKS erschienen, die den persönlichen Heilungsprozess der Künstlerin aufzeigt. Die Buchpräsentation findet am Mittwoch, den 20. März um 18 Uhr im C/O Berlin statt. Falls ihr selber von häuslicher Gewalt betroffen seid oder weitere Informationen benötigt, findet ihr hier einige Anlaufstellen.