Trautes Heim, Glück allein?
Wandarbeiten in der Galerie Haas Zürich

23. November 2023 • Text von

Das Heim Kunstschaffender ist zumeist nicht nur ein Privatraum, sondern auch ein Raum für Kunst. Teilweise fallen Wohnraum und Produktionsstätte in eins, und selbst wenn nicht: Das eigene Zuhause inspiriert, wird abgebildet, wird zum Motiv. Die Galerie Haas Zürich widmet sich mit der Ausstellung „Homestories“ vermeintlich privaten Einblicken von Künstler*innen. Gezeigt werden Wandarbeiten, deren Motive sich zwischen persönlicher Realität und Fiktion verorten. Das Heim gibt intime Einblicke oder wird zur Bühne, zum Ort der künstlerischen Selbstinszenierung.

Homestories Installationsansicht
Galerie Haas Zürich: Homestories, Installationsansicht, 2023. Courtesy by the artists and Galerie Haas Zürich.

Eine junge blonde Frau spiegelt sich in einer Fensterscheibe. Der Blick hinaus zeigt dicht aneinander gedrängte Hochhäuser. Doch dieser Ausblick wird überlagert von der Spiegelung der Dargestellten. Sie trägt ein T-Shirt mit buntem Aufdruck, Shorts, hellblaue Socken und spitze Lederschuhe. Mit den Füßen stützt sie sich auf den Heizkörper unter dem Fenstersims, sodass die Spitzen ihrer Schuhe mittig in den Bildraum ragen. Ihr Gesicht ist nicht zu sehen. Es verschwindet hinter dem Handy in ihrer Hand, denn gerade ist sie dabei, ein Foto zu machen. Diesen fotografisch eingefangenen Bildausschnitt gibt das Gemälde von Romane de Watteville „All my great plans get blurred” wieder.

Die Künstlerin arbeitet mit Acryl auf Leinwand. Ihre figurativen Gemälde geben private Situationen wieder. Oft zeigt sie sich selbst in ihrem Zuhause. Ihre Malerei entsteht nach der Vorlage selbst angefertigter Handyfotos. Dabei bildet sie wiederkehrend ihren Körper und ihre Kleidung ab. Auf diese Weise entspinnt de Watteville assoziative Geschichten über mehrere Bilder hinweg.

Homestories Watteville
Romane de Watteville: All my great plans get blurred, 2023. Acrylic on canvas, 80 x 60 cm. // Do you want to read your horoscope?, 2023. Acrylic on canvas, 80 x 60 cm. Courtesy the artist and Ciaggia Levi, Paris-Milan.

Das bedruckte T-Shirt, das die Dargestellte in „All my great plans get blurred” trägt, findet sich auch in der zweiten von de Watteville in der Galerie Haas Zürich ausgestellten Arbeit wieder. In „Do you want me to read your horoscope“ liegt die junge blonde Frau auf einem Bett. Sie zieht sich mit Blick in einen runden Handspiegel den Lippenstift nach. Im Spiegel ist ein Mann in dunklen Boxershorts zu erkennen. Eine zweite junge Frau befindet sich im abgebildeten Raum. Sie blättert durch eine Ausgabe des Playboymagazins.

In den buntfarbigen Bildkompositionen überlagern sich mehrere Bildebenen, die Blicke verstellen und freigeben. De Watteville zeigt Situationen des Müßiggangs, Momente des süßen Nichtstuns, die zur Selbstbefragung einladen. Wie stehen mir die neuen Schuhe? Was zeigt mein Spiegelbild? Wie lautet mein Horoskop? Die Betrachtenden ihrer Arbeiten werden zu Voyeuren intimer Momente, die sich in den eigenen vier Wänden verorten.

Homestories Schwontkowski
Norbert Schwontkowski: Studio nachts, 2008. Oil on canvas, 180 x 1995, cm. Credits © Lea Gryze, Courtesy by Galerie Haas Zürich. // Atsushi Kaga: Seeing God Through You, 2008. Acrylic on linen, 70 x 50 cm. Courtesy by the artist and mother’s tankstation Dublin.

Norbert Schwontkowski zeigt sein „Studio nachts“. Auf einem großformatigen Gemälde von 180 x 199,5 cm ist ein dunkler Raum zu sehen. Der Mond scheint als einzige Lichtquelle durch ein breites Sprossenfenster und spiegelt sich auf dem glatten Dielenboden. Links im Bildraum steht ein verlassener Barhocker. Rechts im Bildraum hängen vier schwarze Boxsäcke von der Decke. Wie gesichtslose Figuren besiedeln sie den verlassenen Raum.

Schwontkowskis Komposition kommt mit wenigen Mitteln aus. Die Farbigkeit ist reduziert, die vereinzelten Gegenstände sind skizzenhaft dargestellt. Seine Arbeit gibt einen vermeintlich intimen Einblick in die private Welt des Studios des Malers. Doch handelt es sich hierbei tatsächlich um sein Atelier? Hingen hier jemals vier Boxsäcke? Handelt es sich nicht viel eher um einen imaginierten und damit psychologischen Raum? Das Gemälde erzeugt eine geheimnisvolle, surreale Atmosphäre, die Fragen erzeugt, statt sie zu beantworten.

Von gegenteiliger Farbigkeit sind die Arbeiten von Christina Forrer. Sie zeigt eine bunte Zeichnung mit dem Titel „Zumperdrulle“. Darauf sind Figuren abgebildet, die an Märchen denken lassen. An einem Himmel aus bunten Blumen scheint eine Grimasse schneidende Sonne. Neben einem Bären und eine schreienden Hahn beugt sich eine Hexe mit blauem Haar. Sie blickt auf zwei Kinder – handelt es sich um Hänsel und Gretel? –, die vor einem bunten Abgrund stehen. Leuchtenden Farben, spielerische Formen und Anklänge an Volkserzählungen ergänzen sich zu einer vielteiligen Komposition.

Homestories Forrer
Christina Forrer: Gesottenes und Gebratenes (Boiled), 2023. Cotton and wool, 219,7 x 185,4 cm. // Zumperdrulle, 2023. Watercolour on paper, 35,5 x 43,2 cm. Credits © Jersey Walz, Courtesy by Luhring Augustine, New York.

Forrers Arbeit „Gesottenes und Gebratenes“ verwendet ähnliche Mittel. Es handelt sich um eine Tapisserie, die die Künstlerin aus drei am Webstuhl gefertigten Teppichen zusammennähte. Im linken oberen Drittel abgebildet ist eine Wohnnische mit Bett, Sims, Buch und Blumen. Darin steht eine weibliche Figur. Mit erschrockenem Ausdruck neigt sie sich nach hinten und weicht vor zwei vielköpfigen Wesen zurück, die aus der rechten Bildhälfte in den Wohnraum dringen. Das kleinere Wesen steht auf dem Rücken einer gebeugten Figur, die sich zu einem Kind in einer blauen Pfütze neigt.

Die expressive Mimik und Körpersprache der cartoonesken Figuren deuten auf ein Konfliktmoment, das Forrer hier zur Darstellung bringt. Innenraum und Außenraum verschmelzen, während diese fantastischen Wesen grell aufeinander treffen. In ihren Arbeiten zeigt Forrer Konflikt, irrationale Ängste und Vorurteile, die die Narrative unserer Welt durchziehen. Spielerisch und zugleich bedrohlich kollidieren Wohnwelt und Märchenwelt.

Das auf der Tapisserie sichtbar gemachte Heim ist keines, das allein Wohnlichkeit und Wärme ausstrahlt. Damit kann es programmatisch für die Wirkung der in der Galerie Haas Zürich gezeigten Arbeiten stehen. Die Ausstellung „Homestories“ beschreibt Grenzbereiche zwischen Innen- und Außenräumen, zwischen heilen und verwundeten Welten.

WANN: Die Ausstellung „Homestories“ läuft bis Freitag, den 22. Dezember.
WO: Galerie Haas Zürich, Rämistrasse 35, 8001 Zürich.

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