Früchte der Urlaubsreife
Aktuelle Positionen im Hotel Tiger

27. Juni 2023 • Text von

Der Sommer in der Stadt ist heiß. Schulkinder gehen in die Ferien, Arbeitnehmer*innen fahren in den Urlaub. Wie verbringen Kunstschaffende diese mit Erholung verbundene Zeit? Und gibt es die für freischaffende Kreative überhaupt? Der Zürcher Off-Space Hotel Tiger geht diesen Fragen in neuen Ausstellungsräumen nach.

Hotel Tiger Iouri Podladtchikov
Iouri Podladtchikov: Arrowed, 2023. Cyanotype on paper, 200 x 60 cm. Courtesy by Iouri Podladtchikov and Hotel Tiger.

Nur wenige Meter vom Zürcher Luxushotel Baur au Lac am Bürkliplatz entfernt liegen die neuen Räumlichkeiten von Hotel Tiger. Es handelt sich um einen privaten Wohnraum, der zum Off-Space umfunktioniert worden ist. Ein Hotel im herkömmlichen Sinn ist ein Beherbergungs- und Verpflegungsbetrieb für Gäste. Das Hotel Tiger ist Kunst-, Wohn- und Ausstellungsraum in einem.

Gezeigt wird die Ausstellung „I Need A Holiday”. Neun Schweizer Künstler*innen setzen sich darin mit der Grenzziehung zwischen kreativer Arbeit und entspannter Urlaubszeit auseinander. Der Ausstellungsort passt zum Thema. Seine Mehrfachnutzung thematisiert die Abgrenzungsproblematik.

Die Dreieinhalbzimmerwohnung ist nicht als White Cube gestaltet. Sie wirkt durchaus bewohnt. Das Bett ist bezogen, die Kleiderstange hängt voll, die Lampen sind staubig. Zur Eröffnung der Ausstellung gibt es Drinks und Erdbeeren in der Küche. Die ausgestellten Arbeiten liegen auf dem Boden, hängen an den Wänden oder fügen sich in das Mobiliar ein. Die Kunstwerke sind Teil des Interieurs. Manche von ihnen scheinen selbst im Hotel zu logieren.

Hotel Tiger Elisa Féraud
Elisa Féraud: Salomé, 2023. Mixed Media, dimensions variable. Courtesy by Elisa Féraud and Hotel Tiger.

Direkt hinter der Wohnungstür liegt eine Arbeit von Elisa Féraud. Wie ein Wurm schlängelt sich die textile Skulptur auf dem Boden. Die feinteilige Oberfläche der Arbeit vermittelt einen aufwändigen Herstellungsprozess in Handarbeit. Féraud hat gefüllten Feinstrumpf, bestickten Stoff und bemalte Seide zu dem surreal anmutenden Gebilde verarbeitet. Die Farbigkeit in Weiß, Beige, Rot und Lila weckt Assoziationen zu organischem Innenleben wie Gedärm. Die längliche Form lässt an ein Kriechtier denken. Fast scheint es, als bewege sich die verschlungene Arbeit vorwärts.

Féraud nennt die Arbeit „Salomé“ und leiht ihr damit den Namen einer christlich-mythologischen Figur. Der biblischen Erzählung zufolge brachte die schöne Tänzerin Herodes dazu, Johannes den Täufer zu köpfen. Die christliche Erzählung vermittelt die Anziehungskraft und Grausamkeit der schönen Frauengestalt. In Férauds Arbeit betont der Titel die bedrohliche Kraft weiblichen Schaffens. Der vermeintliche Wurm wird zur Schlange. Er scheint unvermittelt in der Lage zu sein, seine Betrachtenden zu überfallen.

Hotel Tiger Murielle Gräf
Murielle Gräff: I Can Buy Myself Flowers, 2023. A2 prints, laptop, rendering, smartphone, TV, dimensions variable. Courtesy by Murielle Gräff and Hotel Tiger.

Im Wohnzimmer von Hotel Tiger ist Murielle Gräffs Arbeit „I Can Buy Myself Flowers” zu sehen. Im Wandschrank steht ein Macbook, das per Kabel mit einem Flachbildfernseher verbunden ist. Auf der Sofalehne liegt ein Smartphone, darüber hängt ein Print in sechsfacher Ausführung. Alle Medien zeigen das gleiche: eine Schale mit durchsichtigen Sextoys vor fliederfarbenem Hintergrund.

Die glatte Oberfläche der Bildschirme entspricht denen der gläsernen Dildos aus länglichen Kugelformen. Wie ein florales Bouquet oder eine Fruchtschale arrangiert, laden die gläsernen Objekte zum Zugreifen ein. Ästhetisch verspielt und humoristisch wird hier Masturbation als Selfcare inszeniert.

Im Schlafzimmer sind neben einer bunt bestückten Kleiderstange zwei Fotoarbeiten von Gaia Del Santo zu sehen. „Peach Daiquiri Swoon in the Lagoon“ Nr. 1 und 2 zeigen rote und pinkfarbene Nagellacke der Drogeriemarke Essie. Del Santo setzt die Titel der Farben „72 peach daiquiri“ und „820 swoon in the lagoon“ ins Zentrum der Aufnahmen. Die Produktnamen vermitteln Ferienstimmung und Urlaubsvorfreude auf eine entspannte Zeit in tropischen Gefilden. Die Szenerie der Handyaufnahme des Plexiglasregals hingegen vermittelt ein entgegengesetztes Bild. Statt von Urlaubssonne im Süden stammt das Aufnahmelicht von kalten Neonröhren im Drogeriemarkt.

Lackierte Nägel sind auf der Leinwandarbeit von Jason Rohr zu sehen, die ebenfalls im Schlafzimmer hängt. Darauf abgebildet sind drei Aktfiguren auf einer grünen Wiese. Sie tragen nichts außer dem Lack auf ihren Nägeln. Betrachtet werden die drei Müßiggänger*innen nicht nur von den Ausstellungsbesuchenden, sondern auch vom Künstler selbst.

Hotel Tiger Jason Rohr
Jason Rohr: Looking at Painting (Meadow through Horn-Rims), 2023. Oil and acrylics on canvas, 140 x 200. Courtesy by Jason Rohr and Hotel Tiger.

Rohr hat seine braune Hornbrille quer über das Landschaftsbild gemalt. In den Gläsern der Brille spiegeln sich seine Augen. Mit „Looking at Painting, Meadow through Horn-Rims” thematisiert der Künstler einen voyeuristischen Blick auf Malerei, der auch ihm selbst eigen ist. Rohr betrachtet die nackten Körper auf seinem Bild. Dabei fallen Arbeits- und Rezeptionssituation in eines.

Die Situation der Produktion künstlerischer Arbeit hebt sich ab vom Bild der sich erholenden Akte. Betrachtet werden kann die Malerei vom Bett aus, das im Hotel Tiger steht. Das Möbel ist Teil der Rezeptionssituation. Spätestens an dieser Stelle fragt man sich: Wer wohnt hier eigentlich?

Der Titel der Ausstellung passt zum Titel des Off-Spaces. Hotel und Holiday kommen zusammen. Wohn- und Ausstellungsraum fallen in eins – genau so, wie auch für die meisten Kunstschaffenden Arbeit und Leben ineinandergreifen. Ihre Arbeitszeiten und Urlaubstage sind unreguliert. Der Ausgleich zur künstlerischen Arbeit ist jedoch genauso notwendig wie bei einem geregelten Bürojob. „I Need a Holiday“ zeigt keine schwelgerischen Bilder von exquisiten Urlaubsaufenthalten. Die Ausstellung zeigt Arbeiten, die aus dem Gefühl entstanden sind, reif für Urlaub zu sein.

WANN: Die Ausstellung “I Need A Holiday” läuft bis Sonntag, den 16. Juli.
WO: Hotel Tiger, Börsenstrasse 26, 8001 Zürich.

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