Der Silberglanz natürlicher Dinge Stefan Knauf und Manuel Stehli in der Livie Gallery
4. März 2024 • Text von Anja Grossmann
Mit “Nachts wach” präsentiert die Zürcher Livie Gallery eine erste gemeinsame Ausstellung von Stefan Knauf und Manuel Stehli. Neben einer engen Freundschaft verbindet die zwei Künstler das Interesse am Abbilden vermeintlich naturgegebener Wirklichkeit. Knauf schafft Stahlskulpturen und Stehli Ölgemälde. Ihre Arbeiten ergänzen sich zu einer surreal anmutenden Landschaft, in der anonymisierte Körper unter silberglänzenden Kakteen verweilen.
Neben einer fein reliefierten Säule wachsen unvermittelt zwei silberglänzende Kakteen in die Höhe. Sie sprießen aus einem grauen Filzteppich. Fast so hoch wie die Rundsäule ragen sie aufrecht in den Raum. Dabei scheinen sie sich den Neonröhren an der Decke der Livie Gallery entgegenzustrecken. Die harten Schatten, die sie auf den Boden werfen, entspringen allerdings nur vermeintlich der hellen Lichtquelle. Tatsächlich handelt es sich um Scherenschnitte aus dunkelgrauem Filz.
Stefan Knauf überlässt nichts dem Zufall. Er kennt sich aus mit Kakteen und erfasst ihre organischen Formen präzise. Dafür nutzt er anorganisches Material, gelöteten Stahl und Zink, das er unter starkem Wasserdruck aufbläst. So ergeben sich die an Ballone oder Luftpolster erinnernden Kanten und Knicke der Skulpturen. Ihre metallische Oberfläche reflektiert, ihre gelöteten Nähte sind sichtbar. Knaufs Arbeiten erzeugen eine fast hyperreal anmutende Landschaft im Ausstellungsraum, die ihr Gemachtsein selbst mit ausstellt.
Durch die Zusammenführung von üblicherweise als natürlich beschriebenen pflanzlichen Formen mit einem als unnatürlich assoziierten Material regt Knauf die Reflektion über unser Verständnis von Natur, Technologie und ihren Wechselbeziehungen zueinander an. Wo kann eine mögliche Grenzziehung zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen verlaufen? Inwieweit kann Natur überhaupt als natürlich beschrieben werden? Und was verstehen wir eigentlich unter diesen Begriffen?
Auch die Arbeiten von Manuel Stehli provozieren solche Fragen. Seine Gemälde zeigen menschliche Körper auf sachliche Weise. Stehli setzt sie aus Farbflächen in Braun-, Beige- und Grautönen mit klaren Konturen zusammen. Ihre Gesichter haben keine Augen und ihre Füße keine Zehen. Stehli stilisiert. Er setzt den Fokus nicht auf individuelle Porträts, sondern auf die Relation der gezeigten Körper.
In “Ohne Titel” von 2024 sind es drei Personen, die Stehli auf einem rostbraunen Untergrund erfasst. Halb liegend verweilen sie am Boden. Die Figuren sind um die Bildmitte arrangiert und in nur leicht kontrastierenden Erdtönen gemalt. Wie in einem Spiel versunken scheinen ihre Blicke auf einen Punkt in ihrer Mitte gerichtet. Ihre Körper stützen und lehnen sich aufeinander und vermitteln in dieser Bezugnahme Nähe und einen Eindruck von Verbundenheit. Doch die emotionale Qualität des Motivs verweigert sich letztlich einer genaueren Beschreibung.
Stehlis Arbeit vermittelt einen Schwebezustand, eine gleichzeitige Anbahnung und Verweigerung von Kommunikation. Dies spiegelt sich in seiner Arbeitsweise: Feine Linien und Farbverschiebungen auf der Leinwand zeugen von einem Malprozess, der ein Abwägen und Ausloten der Relation der dargestellten Figuren zueinander umfasst. Hinweise darauf lässt der Maler im Bild stehen. Ist das Bein angewinkelt oder ausgestreckt? In welchem Winkel ist der Kopf geneigt? Die Unschlüssigkeit bleibt sichtbar.
In der Ausstellung “Nachts wach” treffen Konturen ungefüllter Gesichter auf die glatten Kanten silberglänzender Kakteen. Die durch Reduktion aufgebrochene mimetische Wiedergabe von Wirklichkeit ist ein gemeinsames Thema der Arbeiten von Knauf und Stehli. “Die Werke beider Künstler scheinen traditionelle Dichotomien wie Künstlichkeit und Natur aufzulösen. Sie verwischen gegebene Polaritäten, mit denen wir die Welt um uns herum normalerweise einordnen und betrachten“, schreibt Marlene Bürgi im begleitenden Text.
Der Titel der Ausstellung greift dieses Thema mit auf. Die Nacht als dunkle Tageshälfte zwischen Sonnenuntergang und -aufgang stellt einen Gegenpol dar zur Taghelle und der damit einhergehenden Sichtbarkeit. Wird die Nacht nicht schlafend, sondern wach erlebt scheint diese Dichotomie aufgebrochen. Nachts wach zu sein, lässt sich als ein Zustand der Entgrenzung eindeutig erkennbarer Formen und Zuschreibungen deuten. Ein Zustand, der sich auch in den Werken Manuel Stehlis und Stefan Knaufs abzeichnet.
WANN: Die Ausstellung “Nachts wach” ist noch bis Donnerstag, den 21. März zu sehen.
WO: Livie Gallery, Claridenstrasse 34, 8002 Zürich.