Ein Ding, ein Bild Christoph Hänsli bei Peter Kilchmann
23. Januar 2024 • Text von Anja Grossmann
In der Zürcher Galerie Peter Kilchmann zeigt Christoph Hänsli Gemälde von Gegenständen. Ein Bild pro Ding. Teilweise handelt es sich um medizinische oder technische Gegenstände, teilweise um Schriftstücke oder um im Alltag vergessene Gebrauchsutensilien. Der Schweizer Maler schafft maßstabsgetreue Objektdokumentationen in Eitempera und Acryl. Die Ausstellung nennt er “Stützpunkt”. Seine Motive sind Stützpunkte in der Organisation menschlichen Lebens.

In einem Glas liegt ein fleischfarbener Gegenstand. Zahlreiche Verzweigungen, Einbuchtungen und netzartige Verwachsungen überziehen seine unebene Oberfläche. Es handelt sich um Muskelstränge, Venen und Kranzgefässe. Christoph Hänsli zeigt die wirklichkeitsgetreue Abbildung eines menschlichen Herzens. Eine durchsichtige Flüssigkeit umgibt das Organ. Ein schwerer Glasdeckel schließt das Präparat nach oben hin ab.
Der Titel der Arbeit Hänsli lautet “Feuchtpräparat Aneurysma arteriae coronariae”. Der lateinische Begriff bezeichnet ein Aneurysma am Herzen, eine Arterienerweiterung, die zum Tod führen kann. Hänsli malte das erkrankte Organ mit Eitempera und Acryl auf Leinwand. Die sachliche Bestandsaufnahme des eingelegten Körperteils zieht den Blick an, fasziniert und stößt ab.

Denn das Organ verweist auch auf den toten Körper, dem es entnommen wurde, auf dessen Entfernung, auf den Vorgang des Präparierens und Etikettierens. In seiner fast altmeisterlichen Umsetzung lässt die Arbeit zudem an ein Vanitas-Stillleben denken. In dieser, vor allem im Barock verbreiteten Bildform, wird die Darstellung lebloser Gegenstände zu Sinnbildern der Vergänglichkeit. So auch Hänslis Herz im Glas.
Im Ausstellungsraum der Galerie Peter Kilchmann reiht sich das Präparat ein in eine Serie von insgesamt acht Organpräparaten. Zudem wird eine Reihe mit Nasspräparaten in vergleichbaren Gläsern gezeigt. In dem Fall handelt es sich um eingelegtes Gemüse, Rettich, Lauch und Kürbis. Das Format der abgebildeten Präparate entspricht in allen Fällen nicht ganz dem der Leinwände. Jedes Bild weist einen schmalen weißen Untergrund und einen braunen Hintergrund auf.

Die bildliche Isolierung der Gegenstände und ihre serielle Zusammenstellung entsprechen dem künstlerischen Konzept Hänslis. Der schweizer Maler beschreibt es als ein “buchhalterisches Erfassen”. Dass er dabei Motive wie Einmachgläser, Präparate oder auch ein Herbarium wählt, ist kein Zufall.
Seine Motive reflektieren auf das Medium der Malerei selbst. Präparate erhalten die Form von Gegenständen und bewahren sie vor dem Verfall. So auch die Gemälde von Hänsli. Teilweise zeigt er Vergängliches und leicht zu Übersehendes: etwa eine Elektroabdeckung, einen Milchkasten, die verblasste Vermisstenanzeige einer unbekannten Katze. Teilweise zeigt er Überreste und Hinterlassenschaften: einen mit Senfsauce verschmierten Pappteller nachdem die Wurst gegessen wurde, zwei Kabel, die ungenutzt aus der Wand ragen, ein Testament auf einem Zettel, die Asche von “Marlis”.

Hänsli richtet unseren Blick auf Dinge, die im Alltag unserer bewussten Wahrnehmung entgehen. Sie gewinnen eine eigene Präsenz im Bild und werden zu einem Gegenüber auf Augenhöhe, das seine Betrachtung geradezu einfordert. Zugleich entfalten die für diese Schau ausgewählten Arbeiten eine allegorische Dimension. Sie verweisen auf die Zeitweiligkeit ihrer Form sowie ihrer Besitzenden. In ihrer Rezeption wecken sie Hänslis Arbeiten eine gewisse Melancholie – wie beim Durchschreiten eines Archivs vergessener Objekte. Die Ausstellung “Stütztpunkt” kann als ein Aufruf gelesen werden, die Dinge in unserem Alltag bewusster wahrzunehmen und den Blick für ihre Bedeutsamkeit nicht zu verlieren.
Wann: Die Ausstellung “Stützpunkt” läuft bis Samstag, den 9. März.
Wo: Galerie Peter Kilchmann, Zahnradstrasse 21, 8005 Zürich.