Magie trotzt Schwellenangst
Tarek Lakhrissi im Migros Museum für Gegenwartskunst

16. Februar 2024 • Text von

Mit “Bliss” zeigt das Migros Museum für Gegenwartskunst eine Ausstellung von Tarek Lakhrissi. Der französische Künstler schafft drei immersive Räume, in denen er Skulpturen und die Filmarbeit “Bright Heart” zeigt. Die Besuchenden sind dazu eingeladen, sich vergleichbar einer theatralen Inszenierung durch die drei Akte der Ausstellung zu bewegen. In ihrer Erfahrung liegt die Aussagekraft von Lakhrissis Arbeit.

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Ausstellungsansicht Tarek Lakhrissi – Bliss, Migros Museum für Gegenwartskunst ( 10.2.2024-20.5.2024 ). Courtesy the artist und Galerie Allen, Paris. Foto: Studio Stucky © ProLitteris, Zürich.

Erster Akt: Die Besuchenden betreten einen violetten Raum. In seiner Mitte kreist ein großes schwarzes Pendel unaufhörlich um die eigene Achse. Seine gläserne Oberfläche spiegelt den Umraum. Das Pendel bewegt sich lautlos. Seine Betrachtung erzeugt einen meditativen Effekt.

Üblicherweise wird die regelmäßige Schwingungsperiode eines Pendels für das Messen von Zeit, etwa in Pendeluhren genutzt. Dieses von Tarek Lakhrissi geschaffene Pendel schwingt jedoch nicht hin und her, sondern bewegt sich kreisförmig. Damit markiert es eine andere Form von Zeitlichkeit, die nicht durch eine lineare, sondern eine zirkuläre Bewegung angezeigt wird.

Seine dunkle an einen Kristall gemahnende Form lässt zudem an ein Fadenpendel denken. Dieses wird in esoterischen Praktiken eingesetzt, um unbewusste Inhalte sichtbar zu machen. Der Titel “pending”, zu Deutsch “ausstehend”, der Arbeit beschreibt einen Zwischenzustand, der gespannt seine Auflösung erwartet. Dieser Aspekt der Installation überträgt sich auch auf den Ausstellungsraum: Den Besucher*innen stellt sich vor dem Pendel die Entscheidung, ob sie zunächst den linken oder rechten daran angrenzenden Raum betreten.

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Installationsansicht Tarek Lakhrissi, Coeur Brillant (or Bright Heart), 2022 , HD-Video, Farbe, Ton. Courtesy the artist and Galerie Allen, Paris. Foto: Studio Stucky © ProLitteris, Zürich.

Zweiter Akt: Hinter einem roten Vorhang öffnet sich ein runder, mit rotem Textil ausgekleideter Raum. Darin liegen drei Kissen in Form eines Sterns, eines Herzes und eines Monds. Auf einer Leinwand wird die Filmarbeit “Bright Heart” gezeigt. In einer Spielzeit von 14 Minuten erzählen fantastische Szenen von dem Protagonisten Jahid und einer Reise zu seinem Herzen.

Bereits zu Beginn des Films wird Jahid von einem in schwarze Motorradkleidung gehüllten Mann verfolgt und rettet sich in einen rätselhaften Raum. Hier begegnet er magischen hexenähnlichen Wesen, die sich in vielsagenden Worten an ihn wenden. Sie rufen ihn auf zur Selbstermächtigung, seine Ängste zu überwinden und so seine eigene Magie zu finden. Jahid tanzt mit einem dinosaurierköpfigen Wesen. Aus diesem schlüpft sein Geliebter und vereint sich mit ihm in einem langen Kuss.

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Ausstellungsansicht Tarek Lakhrissi – Bliss, Migros Museum für Gegenwartskunst ( 10.2.2024-20.5.2024 ). Courtesy the artist und Galerie Allen, Paris. Foto: Studio Stucky © ProLitteris, Zürich.

Lakhrissi schafft aus einer surrealen Szenerie und autobiografischen Erzählelementen eine magisch anmutende Bildwelt. In einem Interview von 2021 mit Hans Ulrich Obrist berichtet der Künstler von “Buffy the Vampire Slayer” als eine seiner liebsten Fernsehsendungen. Dabei interessiert ihn nicht nur das Element der dunklen Magie, sondern auch wie soziopolitische Narrative durch Übersinnliches dargestellt werden. In Lakhrissis Arbeit werden von gesellschaftlichen Normen entfernte übernatürliche Wesen, zu queeren Figuren. Das Übersinnliche vermittelt nicht Bedrohung und Unheil, sondern wird zum Tor in eine Welt anderer Möglichkeiten.

Dritter Akt: Ein blauer Raum namens “the monster’s resolution”, die Auflösung des Monsters. Der Kopf eines überdimensionalen Teufelemojis auf einem blauen Teppich wirkt als tauche er aus einer unbewegten Wasseroberfläche hervor. Darauf zu sehen sind weitere halbtransparente Skulpturen aus Plexiglas in der Form eines Sterns, eines halben Herzes und zweier Teufelshörner.

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Tarek Lakhrissi, SHAPING LOSS / GLAMOROUS BB, 2024, 3D-Druck basierend auf Polystyrol, Epoxidharz, Metalllackierung. Courtesy the artist and Galerie Allen, Paris. Commissioned by Centre d’art Le Confort Moderne. Foto: Studio Stucky © ProLitteris, Zürich.

Zudem liegt da ein grün gefärbter Abguss des Arms des Künstlers mit langen künstlichen Nägeln auf dem Boden. Die gezeigten Wesen erscheinen bedrohlich und fragil zugleich. Ihnen gegenüber erfahren sich die Besuchenden als kleinformatige Avatare in der wundersamen Kammer des vermeintlichen Monsters. Seine Auflösung schafft eine mystische Atmosphäre, die durch den sphärischen Sound elektronischer Musik zusätzlich verstärkt wird.

Drei Räume bilden ein großes Ganzes. Rot und Blau verschmelzen zu Violett. Elemente aus dem Film tauchen in den Skulpturen wieder auf. Melancholie und Wonne macht sich breit beim Durchschreiten der Ausstellung “Bliss”. Denn Magie wird in der Inszenierung nicht nur abgebildet, sondern vermittelt sich auch beim Begehen des Ausstellungsraums: Lakhrissi vermittelt die transformative Mehrdeutigkeit einer fantastischen Welt.

Wann: Die Ausstellung “Bliss” ist noch zu sehen bis Sonntag, den 5. Mai 2024.
Wo: Migros Museum für Gegenwartskunst, Limmatstrasse 270, 8005 Zürich.

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