DOUBLE TAP #17
Qualeasha Wood

24. Dezember 2020 • Text von

Qualeasha Wood macht Wandteppiche – und zwar besonders aufregende. Wilde Collagen mit der Künstlerin selbst im Zentrum sind übers Jahr reduzierteren Szenen mit einer comic-artigen Heldin gewichen. Der Qualität der Arbeiten hat der Motivwechsel keinen Abbruch getan. Wir sprechen mit Qualeasha Wood über klare Grenzen, freundliche Umgangsformen und falschen Celebrity-Kult.

Wandteppich von Qualeasha Wood, auf dem steht "God is a young hot ebony and shes on the internet".
Qualeasha Wood: “Cult Following”, 2019. Jacquard woven with glass seed beads, 51″ X 74″ / 129.54cm X 187.96cm. Image: Courtesy of the artist and Cooper Cole.

gallerytalk.net: Es gibt von dir eine Arbeit mit dem Schriftzug „Only I can judge you“. Über wen richtest du denn?
Qualeasha Wood: Über jeden, auch über mich. Als ich jünger war, habe ich andauernd die Aussage „Only God can judge me“ gehört. Die wurde völlig überstrapaziert. Ich verstehe schon die buchstäbliche Referenz zum Jüngsten Gericht, aber so einfach ist die Sache in einem modernen Kontext nicht. Klar, wenn man an ein höheres Wesen glaubt, ist das wichtig für die eigenen Moralvorstellungen. Vor allem aber urteilen wir doch über einander. Instagram ist mit seinen Likes und Views das perfekte Beispiel! Die Leute schauen dir zu und entscheiden, ob sie dich anerkennen oder nicht.

Mir sind verschiedene religiöse Referenzen in den Titeln deiner Arbeiten aufgefallen – „See God In The Mirror“, „No Church in the Wild“, „Cult Following”. Welche Rolle spielen Religion oder Spiritualität in deiner Praxis?
Ich wurde christlich erzogen, aber ich selbst begreife mich nicht als Christin. Ich bin auch mit Mitgliedern der Five-Percent Nation aufgewachsen, einer muslimischen Gruppierung, die an der Ostküste der USA beliebt ist, vor allem zwischen New York, New Jersey und Pennsylvania. Das Christentum hat mich das Konzept eines Gottes gelehrt, die Five-Percent Nation hat mir die Idee des Selbst als Gott nähergebracht. In beiden Fällen ging es allerdings immer um Männer. Die Rolle der Frau war in beiden Religionen im Wesentlichen darauf reduziert, Männer zu unterstützen – auch wenn es gern anders behauptet wurde. Ich fand das frustrierend. Als Schwarze Frau fühlte ich mich keiner der beiden Gruppen zugehörig, also habe ich mich als Teenager immer weiter davon entfernt und meine eigene spirituelle Praxis entwickelt.

Links: Wandteppich von Qualeasha Wood mit Comic-Figur. Rechts: Qualeasha Wood in einem roten Kleid.
Qualeasha Wood: “Meek Mill’s Dreams and Nightmares”, 2020. Tufted wool and acrylic, 30 x 30 inches || 76 x 76 centimeters. // Qualeasha Wood. Foto: privat.

Wie sieht die aus?
Früher habe ich in meiner Arbeit andauernd Gefühle der Wut verhandelt oder Traumata verarbeitet. Das hatte ich irgendwann satt. Ich wollte mich mächtig fühlen, die Kontrolle haben. Ich wollte die wichtigste Person auf der Welt sein – und wer ist wichtiger als Gott? Erstmal ganz schön dreist. Mich als Gott abzubilden, hat es mir jedoch ermöglicht, gängige Annahmen darüber, wer oder was Gott ist beziehungsweise sein kann, infrage zu stellen. Es war eine Form der Kritik nicht nur gegenüber der Religion, sondern gegenüber bestimmten gesellschaftlichen Überzeugungen und einem System der Unterdrückung. Es sollte keine große Sache sein, wenn eine Schwarze Frau das Göttliche für sich beansprucht und doch ist es das, weil es für die meisten Menschen schier unvorstellbar ist.

Installationsansicht mit Textilkunst von Qualeasha Wood.
Installationsansicht Kendra Jayne Patrick at NADA Miami Beach (in New York), 2020: Presenting a Solo Show of New Tuftings by Qualeasha Wood. Foto: Courtesy of the artist and Kendra Jayne Patrick.

Auf Instagram hat jüngst um bestimmte Umgangsformen gebeten und ich könnte mir vorstellen, dass viele Diskussionen rund um Kunst von deinem Impetus profitieren könnten. „Talk to me nice“ – was meinst du damit und wieso ist es so wichtig?
Man kann „talk to me nice” (zu deutsch “sprich nett mit mir”; Anm. d. Red.) auf unterschiedliche Weise interpretieren – das hängt vom Tonfall ab. Es kann ein romantischer Ausspruch sein oder es kann bedeuten: „Pass auf, was du sagst!“ Im Kern geht es um respektvollen Umgang, aber es ist auch eine Warnung. Wenn ich mich auf eine Konversation mit jemandem einlasse, möchte ich, dass beide Seiten verstehen, dass sie gleichwertige Menschen sind. Unsere Lebensumstände haben Gewicht. Vielleicht sind deine ganz anders als meine. Wer sich darauf nicht einlassen kann, mit der*dem möchte ich mich nicht unterhalten. Wenn wir nicht anerkennen, dass es Dinge gibt, die wir noch nicht begriffen haben, ergibt ein Gespräch keinen Sinn.

Links: Wandteppich von Qualeasha Wood mit der Künstlerin und Wolken darauf. Rechts: Wandtteppich von Qualeasha Wood mit schwarzen Comic-Figuren.
Qualeasha Wood: “See God In The Mirror”, 2020. Jacquard Woven Tapestry, Glass Seed Beads 51”x74”. Courtesy of the artist. // Qualeasha Wood: “Float, Sink, Drown”, 2020. Tufted wool and acrylic, 76 x 61 inches || 193 x 155 centimeters. Foto: Courtesy of the artist and Kendra Jayne Patrick.

Was hat dich dazu gebracht, deine Forderung so klar zu formulieren?
Es ist so oft vorgekommen, dass Leute bestimmte Aussagen über meine Arbeiten getroffen haben, die einfach respektlos waren. Ich bin 24 Jahre alt, also gehen viele davon aus, dass ich uninformiert wäre und nicht wüsste, was ich tue. Mir werden permanent Vorträge über Rassismus und Sexismus gehalten. Die beginnen immer mit „Versteh mich nicht falsch, aber …“. Ich werde mich zu 100 Prozent jedes Mal angegriffen fühlen und die Leute wissen das. Wenn ich sage, „talk to me nice“, markiere ich damit eine Grenze, die die Leute daran erinnern soll, dass ich mir nichts anhören muss, was ich mir nicht anhören will. Es bedeutet nicht, dass die Leute nicht ehrlich sein sollen. Es gibt aber einen Unterschied zwischen Ehrlichkeit und schlechtem Benehmen.

Du beschützt deine Arbeit. Ist das auch ein Grund dafür, wieso du nur selten Einblicke in den Entstehungsprozess deiner Werke gewährst?
Der Prozess ist mir genauso wichtig wie das Ergebnis. Die beste Kunst ist aber wie ein Zaubertrick – klar, man kann vermutlich herausfinden, wie es funktioniert, aber das Beste ist doch, dass man es nicht genau weiß. Ich schaue mir am liebsten Arbeiten an, die ein Hauch von Mysterium umgibt. Ich staune gern und frage mich: „Wow, wie wurde das wohl gemacht?“ Wenn man genau weiß, wie etwas hergestellt wurde, killt das jegliche Fantasie. Dann ist es nur noch Tapisserie, nur noch Tufting. Das ist langweilig!

Zwei Wandteppiche von Qualeasha Wood.
Qualeasha Wood: “_______ in the Big Blue House”, 2020. Tufted wool and acrylic, 58 x 48 inches || 147 x 122 centimeters. Foto: Courtesy of the artist and Kendra Jayne Patrick. // Qualeasha Wood: “The Itis”, 2020. Tufted wool and acrylic, 30 x 30 inches || 76 x 76 centimeters. Foto: Courtesy of the artist and Kendra Jayne Patrick.

Deinen Bachelor-Abschluss hast du in Printmaking erlangt. Gerade studierst du im Master Fotografie, aber Tapisserie scheint das Medium deiner Wahl geworden zu sein. Wie kam das?
Printmaking hat mich gelehrt, alles als vielschichtig zu begreifen und abstrakt zu denken. Davon profitiert auch meine gegenwärtige Arbeit. Ich habe mich dann für Photographie immatrikuliert, weil ich besessen von Bildern bin. Letztlich bin ich Bilder-Macherin. Tapisserie bietet mir die Möglichkeit, meine wilden Photoshop-Bilder so umzusetzen, dass sie nicht nur in Galerieräumen funktionieren, sondern auch bei Menschen zu Hause. Ich wollte immer Arbeiten machen, denen sich Leute verbunden fühlen, die mit der Kunstwelt sonst nichts zu tun haben. Ein Wandteppich, eine Decke oder ein Überwurf sind Objekte, mit denen wir alle etwas anfangen können.

In deinem Lebenslauf beschreibst du dich als „kreatives und fähiges Individuum, das künstlerische Fähigkeiten und Denkweisen einbringen möchte – nicht nur in, sondern auch außerhalb des Kunstkontexts“. Das finde ich insofern interessant, als es den Fokus auf den Beitrag der Kunst zur Gesellschaft verschiebt in Richtung des Werts von künstlerischem Denken und Handeln an sich. Wie denkst du darüber?
Lol – darüber denke ich eigentlich gar nicht nach. Ich war einfach auf der Suche nach einem Job und dachte, dass Nicht-Künstler*innen das hören wollen.

Qualeasha Wood: “No Church in the Wild”, 2020. Jacquard woven tapestry and glass seed beads 130 x 188 cm / 51 x 74 in. Courtesy of Gaa Gallery.

Ausgangspunkt deines künstlerischen Schaffens ist dein Körper. Hat die Arbeit als Künstlerin deine Selbstwahrnehmung verändert?
Ich vermute, das bedingt sich. Ich würde keine Kunst machen, wenn ich nicht die Person wäre, die ich eben bin. Aus meiner Kunst sprechen meine Erfahrungen, manchmal buchstäblich, manchmal metaphorisch. Seit ich mich als Künstlerin begreife, fühle ich allerdings intensiver. Ich bin im Umgang mit mir sehr fokussiert, selbstkritisch und bewusst. In meiner Praxis zählt jedes Detail und auch ich als Person denke wahnsinnig viel darüber nach, welchen Einfluss unsere Interaktionen miteinander auf uns haben. Vielleicht hat mich die Kunst weniger ich-bezogen und weniger wütend gemacht.

Du benutzt Instagram anders als andere Künstler*innen. Mir gefallen vor allem die Fragerunden in deinen Stories. Im Vorfeld der US-Wahlen hast du dich beispielsweise erkundigt, wie deine Abonent*innen mit der Situation umgehen und ob sie sich sicher fühlen. Immer wenn ich die Antworten und deine Kommentare dazu lese, habe ich das Gefühl, dass du einen wichtigen Raum für Emotionen, Meinungen und Zweifel schaffst. Das ist bestimmt auch anstrengend. Wieso machst du es?
Das passt zu deiner vorigen Frage. Ich beschäftige mich permanent mit Zugang, Inklusion und Hierarchien – sowohl in meiner Kunst als auch in meinem täglichen Leben. Instagram kreiert aufgrund seiner Funktionslogik automatisch eine völlig falsche Form von Celebrity-Kultur rund um Personen und ihre Follower*innenschaft. Ich hasse das. Niemand von uns ist wichtiger als irgendein anderer Mensch. Wenn ich eins nicht will, dann ist es unerreichbar und elitär zu erscheinen. Es erdet mich, mit anderen eine Gemeinschaft zu kreieren, mir Zeit zu nehmen, Eindrücke und Empfindungen zu teilen.

Links: Schwarz-weiß-Foto von Qualeasha Wood. Rechts: Wandteppich von Qualeasha Wood.
Qualeasha Wood. Foto: privat. // Qualeasha Wood: “Test of Faith”, 2019. Jacquard, sequins, durag, feathers, 74″ X 51″ / 187.96cm X 129.54cm. Foto: Courtesy of the artist and Cooper Cole.

Wie meinst du das?
Oft verbringe ich den Tag über in akademischen Kontexten. Das verzerrt die Wahrnehmung. Es ist eben nicht alles theoretisch, Dinge betreffen Leute persönlich. Mir ist es wichtig, zu erfahren, was andere gerade durchmachen. Manche dieser Gespräche haben mein Leben verändert. Ich wünsche mir, dass mich die Leute mögen – nicht nur aufgrund meiner Kunst, sondern auch für das, wofür ich als Person stehe. Manchmal poste ich ganz bewusst nicht meine Kunst in meiner Instagram-Story, weil ich möchte, dass meine Abonnet*innen mich als Mensch genauso unterstützen wie als Künstlerin. Wir sind schließlich ein und dieselbe Person.

Mehr von Qualeasha Wood gibt es auf ihrer Website oder bei Instagram.

In unserer Interview-Reihe DOUBLE TAP zeigen wir euch, in welche Instagramer wir uns beim Scrollen im Bett verguckt haben.

#17 Bianca Nemelc
#16 Peter Frederiksen
#15 Maja Djordjevic
#14 Emma Pryde
#13 Rene Wagner
#12 Erin M. Riley
#11 Lydia Blakeley
#10 Jill Senft
#9 Arno Beck
#8 Tim Berresheim
#7 Aaron Scheer
#6 Louis-Philippe van Eeckhoutte
#5 Andy Kassier
#4 Amber Vittoria
#3 Richie Culver
#2 Leah Schrager
#1 Esteban Schimpf