Allein im Museum
Eine Nacht in der Städtischen Galerie Bremen

22. Juni 2023 • Text von

Wer schon immer mal wissen wollte, wie es sich anfühlt, eine Nacht alleine im Museum zu verbringen, kann diese außergewöhnliche Erfahrung jetzt erleben. Lukas Zerbst und die Städtische Galerie Bremen machen es möglich: Bis zu drei Übernachtungen lassen sich in der Installation “Home Sweet Home” des Künstlers, die Teil der aktuellen Ausstellung “out of body experience & horizontal heights” ist, über die Plattform Airbnb buchen. Das klingt aufregend und auch ein bisschen unheimlich ­– gallerytalk.net wagt den Selbstversuch.

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Installationsansicht “Home Sweet Home” von Lukas Zerbst in der Städtischen Galerie Bremen, Foto: Franziska von den Driesch.

Die Rauminstallation “Home Sweet Home” ist Teil der aktuellen Duo-Ausstellung “out of body experience & horizontal heights” in der Städtischen Galerie Bremen, die neben den Arbeiten von Lukas Zerbst auch Werke von Effrosyni Kontogeorgou zeigt. Die Ausstellung stellt Fragen nach Körperlichkeit, Entgrenzung, nach der Enteignung und Aneignung von Räumen und präsentiert die künstlerischen multimedialen Interventionen im Miteinander. Mal plätschert es oder kleine Motoren rattern vor sich hin, mal nimmt man von irgendwoher leise Schritte auf dem Glasdach wahr.

Im großen Ausstellungsraum des Obergeschosses wartet ein ganz besonderes Kunsterlebnis auf das Publikum – ein Bett, ein Regal, ein Samt-Sofa, ein Tisch mit zwei Stühlen, ein Kühlschrank, ein Spind, hier und da einige Pflanzen aus Plastik, die im Raum platziert wurden. Besonders wohnlich ist es hier nicht gerade, es bleibt ein recht spärlich eingerichteter Galerieraum mit hohen, weißen Wänden. Bei jedem Schritt oder Knacken hallt es.

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Performance in der Installation “Home Sweet Home” von Lukas Zerbst in der Städtischen Galerie Bremen, Foto: Martina Morger.

Tagsüber, zwischen 12-18 Uhr, betreten die Besucher*innen hier einen Ausstellungsraum, in dem die üblichen Verhaltensregeln gelten – bitte nichts anfassen, Kunst nur angucken. Nach Schließung der Städtischen Galerie verändert sich der Kontext, in dem die Installation gezeigt wird, völlig. Lukas Zerbst bietet “Home Sweet Home” während der Laufzeit der Ausstellung exklusiv als Gastgeber über Airbnb an: 100€ kostet eine Übernachtung, bis zu 3 Übernachtungen sind für Interessierte buchbar. Wer schon immer mal wissen wollte, wie es sich wohl anfühlt, in einem Ausstellungsraum zu schlafen: Dies ist eure Chance, Teil einer Intervention zu werden und wie in “Nachts im Museum” in den menschenleeren Räumen eure Runden zu drehen. Bei jeder Buchung der Unterkunft verändert sich die Städtische Galerie Bremen von einem öffentlichen Kultur- zu einem privaten Wohnraum.

Zwischen 18-10 Uhr können sich die Gäste in der Installation aufhalten, wie in jeder anderen Airbnb-Unterkunft auch. Auf dem Sofa ein Buch lesen, sich einen Tee kochen oder ein Gläschen Wein auf dem anliegenden Balkon genehmigen – gar kein Problem. Hinter einer Schranktür im Ausstellungsraum verbirgt sich etwas versteckt ein Waschbecken, das sich ideal zum Zähneputzen anbietet. Für alle anderen Geschäfte läuft man über eine Wendeltreppe ein Stockwerk höher. Das Mobiliar darf nach Belieben genutzt und herumgeschoben werden.

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Performance in der Installation “Home Sweet Home” von Lukas Zerbst in der Städtischen Galerie Bremen, Foto: Martina Morger.

Der Fensterfassade des Ausstellungsraums sind Wohnhäuser gegenübergestellt – ein gegenseitiges Hineinblicken von Privatraum in Privatraum wird möglich. Sich alleine durch die leere Installation zu bewegen, offenbart gewissermaßen ein Gefühl des Sich-Selber-Ausstellens, eine Idee davon, selbst Teil einer Inszenierung oder Performance zu werden, auch wenn vielleicht niemand genau hinschaut. Es schwingt irgendwo im Hinterkopf immer mit.

Im Nebenraum von “Home Sweet Home”, in dem Arbeiten von Effrosyni Kontogeorgou gezeigt werden, befindet sich eine Fluchttür aus Glas, hinter der sich ein weiterer kleiner Ausstellungsraum verbirgt, der zu jeder Tag- und Nachtzeit für die Öffentlichkeit vom Fußgängerweg aus über eine Treppe zugänglich ist. Die Fluchttür lässt sich von außen zwar nicht öffnen, theoretisch wäre es aber jederzeit möglich, dass ein*e Passant*in den Weg zu dieser Glastür findet und in die Ausstellungsräume blickt. Dieser Gedanke hinterlässt ein leichtes Gefühl von Unwohlsein. Man fühlt sich leicht abgestoßen, so als würden die weißen Wände zu einem sprechen, dass man hier einfach nicht hingehört. In diesem Szenario wird man gewissermaßen zu einem Eindringling – ein Gefühl, das tagsüber direkt wieder verfliegt.

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Ausstellungsansichten aus “out of body experience & horizontal heights” in der Städtischen Galerie Bremen, Fotos: Franziska von den Driesch.

Die Städtische Galerie Bremen wird in dem Moment einer Buchung über Airbnb als Kunstort ihrer Funktionalität und Exklusivität beraubt und hält denen, die das Angebot nutzen, direkt den Spiegel vor. In dem kapitalistischen System, in dem wir leben, trägt eine Plattform wie Airbnb maßgeblich dazu bei, bezahlbaren Wohnraum zu verdrängen und die Privatisierung von Gewinnen zu begünstigen. Diese erschreckende gesellschaftliche Entwicklung bringt Lukas Zerbst mit der wohl direktesten Geste in den Ausstellungsraum. Ganz ähnlich wie in der künstlerischen Praxis von Lukas Zerbst, der seine Ursprünge in der Performance-Kunst hat, basiert Airbnb auf einer Vielzahl von Daten, die die Nutzer*innen freiwillig mit der Plattform teilen. Sein politisches Statement erfüllt sich genau dann am stärksten, wenn das Angebot möglichst oft genutzt wird und Gewinne für den Künstler generiert.

Wie war sie nun, die Nacht alleine im Museum? Auch wenn die Nacht eher kurz war und durch die Geräuschkulisse von draußen mehrfach unterbrochen wurde, war das ohne Zweifel ein einmaliges Kunsterlebnis. Der Raum ist spärlich eingerichtet, nahezu alles ist farblos und unpersönlich gehalten. Wie in so manch anderer Airbnb-Unterkunft spürt man, dass hier keine Wohlfühloase geschaffen wurde, sondern sich ein Raum angeeignet wurde, der für kommerzielle Zwecke genutzt wird und genau darin die Kritik übt. Wohnen mit leicht bitterem Beigeschmack also. Der Raum dominiert den Menschen. Sich aus diesen Zwängen zu befreien und sich den Raum zu eigen zu machen, ist die große Challenge in “Home Sweet Home”. Um gar nicht erst Gefahr zu laufen, sich eventuell alleine zu fühlen in der weitläufigen Installation, empfiehlt es sich, vielleicht eine nette Begleitung mitzunehmen – auch wenn es durchaus seinen Reiz hat, diese Erfahrung ganz alleine für sich zu machen und sich Zeit zum Nachdenken zu gewähren.

WANN: Die Ausstellung “out of body experience & horizontal height” läuft nur noch bis Sonntag, den 2. Juli. Auch die Unterkunft “Home Sweet Home” ist noch bis zum 2. Juli für eine Übernachtung buchbar.
WO: Städtische Galerie Bremen, Buntentorsteinweg 112, 28201 Bremen.

Vielen Dank für die Presse-Einladung nach Bremen und die Übernahme der Reise- und Übernachtungskosten.