Pathos vs. Ethos
Jeanette Mundt in der Galerie Société

26. September 2023 • Text von

Unter dem Titel „God Told Him to Wait“ zeigt die Amerikanerin Jeanette Mundt neue Malereien in der Galerie Société. Es entfaltet sich ein Konflikt zwischen der Ausdrucksweise des Religiösen und der Ausdrucksweise der zeitgenössischen Kunst- und Warenwelt. (Text: Michel Gomm)

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Installation view, Jeanette Mundt, God Told Him to Wait, Société, Berlin, 2023. Photo: Trevor Good.

Zwischen den Wolken bricht strahlendes Licht hervor und scheint auf die Erde hinab. Dieser ekstatische Moment, die angedeutete Offenbarung einer höheren Instanz, bildet das Leitmotiv zu Jeanette Mundts neuer Werkserie. Einzelne Arbeiten tragen Titel wie „Heavenly Bodies“, „The Crucified“ oder „Jesus as Wound“ –  von Berührungsängsten kann hier nicht die Rede sein.

Unter dem Titel „God Told Him to Wait“ wagt Mundt in der Galerie Société eine für den Zeitgeist ungewöhnliche, hochambitionierte Ausstellung. Am Beispiel des Christentums verhandelt sie den gesellschaftlichen Stellenwert der Religion in der Gegenwart. Dazu nutzt sie eine Vielzahl an kunsthistorischen Bildreferenzen aus dem vom Christentum untrennbaren Kanon der europäischen Kunstgeschichte.

Gleich zu Beginn der Ausstellung trifft man auf das Gemälde „The Sword of My Mouth“. Es zeigt eine Nonne mit stark eingefallenem Gesicht. Der Schädel zeichnet sich deutlich unter der fahlen Haut ab, die Nase ist verstümmelt. Auf den ersten Blick könnte man ihr Gesicht für einen Totenkopf halten. Das Gemälde erinnert deutlich an die Werke Georges Rouaults, der als Teil der Klassischen Moderne trotz seines avantgardistischen Stils zeitlebens an christlichen Motiven festhielt. Typisch für Rouaults Werke sind die im Bild naiv um das Motiv gemalten speckigen Rahmen.

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Installation view, Jeanette Mundt, God Told Him to Wait, Société, Berlin, 2023. Photo: Trevor Good.

Einzelne Pinselstriche werden bei Mundt wie bei Rouault zu Ornamentik. Anders als Rouault verwendet Mundt das angedeutete Innere einer Kirche als Rahmen. Die Kirchenarchitektur, das Motiv der Nonne und des Todes, lassen somit in Form einer zweiten Referenz auch an den Symbolismus Rouaults Professors Gustave Moreau denken. Die gesamte Ausstellung ist ein dichtes Geflecht aus Referenzen und Verweisen.

Mundt malt die vom Licht dargestellte Transzendenz mit grobem Gestus in grellem Rot und Gelb. Genauso malt sie auch das zweite Leitmotiv der Ausstellung: das Feuer. So liest sich das zwischen den Wolken hervorbrechende Licht zugleich als Hitze. In diesem Sinn erscheint zwischen den Wolken nicht die potenzielle Erlösung durch einen Schöpfer-Gott, sondern es droht eine sehr diesseitige Katastrophe in Gestalt der Erderwärmung.

In der gesamten Ausstellung sind ausschließlich weiblich gelesene Figuren zu sehen. Sie befinden sich meistens in unmittelbarer Nähe zum Feuer oder stehen sogar inmitten der Flammen, sodass nur mehr schwarze Silhouetten von ihnen zu erkennen sind. Die Gleichsetzung von Licht und Feuer hat zur Folge, dass jedes Feuer ebenso als Darstellung heiligen Lichts betrachtet werden kann. Im Feuer werden die Frauen vor dem christlichen Hintergrund der Werkserie zu vermeintlichen Hexen. Sieht man sich bei den Flammen stattdessen an das aus den Wolken hervorbrechende heilige Licht erinnert – wie im Fall des brennenden Dornenbuschs, so erhalten die von den Flammen unberührten Frauen etwas wahrhaft Magisches, Mächtiges und Furchteinflößendes.

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Installation view, Jeanette Mundt, God Told Him to Wait, Société, Berlin, 2023. Photo: Trevor Good.

Die meisten Bilder, insbesondere die Wolkenbilder, sind bewusst dilettantisch gemalt. In Hobby-Manier finden sich in wenigen einfachen Schichten grob gespachtelte und gepinselte Effekte. Auf eine nuancierte Darstellung verzichtet Mundt bewusst. Das hat den Nebeneffekt, dass sie vergleichsweise einfach die Gleichsetzung von heiligem Licht und Feuer vermitteln kann. Der Dilettantismus dieser Bilder hat also Sinn und Zweck. Das Problem, das sich diesbezüglich zunehmend herauskristallisiert, ist Mundts enormer Fokus auf die sprachlich konzeptuelle Seite der Werkserie.

Die konzeptuelle und narrative Kontrolle Mundts überschattet die Bilder nahezu. Viele Bilder erscheinen in ihrem applizierten Dilettantismus, als nutzten sie das Visuelle für die Sprache. Das führt dazu, dass einige Bilder mitunter zeichenhaft und darin austauschbar wirken. Sie erfüllen eine Funktion im Gesamtbild, haben aber Schwierigkeiten, als einfache Malerei die Aufmerksamkeit der Betrachtenden auf sich zu ziehen und zu halten.

Im rhetorischen Sinn fehlt es Mundt an genau dem Pathos, das sie in ihrer Themenwahl heraufbeschworen hat. Die Bilder sind in ihrer Logik zu steril. Es fehlt ihnen an malerischer Notwendigkeit in Form von Ergriffenheit und Leidenschaft. Die bewusst eindimensionalen Effekte sind zu zweckgebunden und limitiert, um in der bloßen Betrachtung Freude zu bereiten.

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Installation view, Jeanette Mundt, God Told Him to Wait, Société, Berlin, 2023. Photo: Trevor Good.

Dem Pathos wohnt ein Risiko inne, bei welchem es verständlich ist, dass Mundt sich distanziert. Es kann zu laut, zu selbstherrlich und zu großspurig daherkommen. Pathos ist eine Vokabel der akademischen Macho-Malerei. Statt das Risiko des Pathos auf sich zu nehmen und zu bewältigen, verharrt Mundt zu sehr in der kalten Logik ihrer konzeptuellen Bildgenese und einer damit einhergehenden Etikette.

Auf sprachlicher Ebene liegen Mundts Bilder komplett im Zeitgeist. Im Ausstellungstext ist dieser noch mal klar ausbuchstabiert: „Die Stimmung dieser Werke […] spiegelt die Wut und Entrückung einer kulturellen Epoche, die vom Klimawandel, dem Aufstieg religiöser Extremismen und der Beschneidung von Frauenrechten geprägt ist.“

Das Pathos weicht dem Ethos. Mundt unterscheidet nicht zwischen „Bad Painting“ und „Good Painting“. Vor dem Hintergrund dieser Beliebigkeit formulieren ihre Bilder zeitgenössische Kommentare entlang des großen Transzendenz-Themas. Eine wirkliche Bezugnahme kommt dabei weniger Zustande als eine fortwährende Abgrenzung.

Da klingt dann schließlich doch etwas Pathos an, denn neben der kunsthistorischen Bedeutung zeigt sich nach Besuch der Ausstellung kein wirklicher Grund für eben jene Themenwahl. Mundt bekennt sich nicht zum Macho-Pathos der ganz großen Fragen und kann deshalb nicht wirklich subversiv gegen jenes vorgehen. Die auf dem Papier gewagte Ausstellung scheitert letztendlich daran, sich zum Wagnis zu bekennen und von der eigenen souveränen Position abzulassen.

WANN: Die Ausstellung „God Told Him to Wait“ läuft bis Samstag, den 21. Oktober.
WO: Société, Wielandstraße 26, 10707 Berlin.

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