Wolkenmeer und Big Data "Songs of the Sky" im C/O Berlin
26. Januar 2022 • Text von Carolin Kralapp
In der Gruppenausstellung “Songs of the Sky. Photography & the Cloud” thematisiert das C/O Berlin derzeit den Umbruch der Fotografie mit dem Aufkommen der Digitalisierung und ihre weitreichenden Folgen. Das Wolkenmotiv, das schon in vergangenen Tagen für Faszination sorgte und heute durch das Datenspeichermedium der Cloud eine neue Bedeutungsebene erlangt, steht im Zentrum der künstlerischen Arbeiten.
Im Jahr 1922 begann der Fotograf Alfred Stieglitz seine Himmels-Foto-Serie, zunächst unter dem Namen “Songs of the Sky”, die später in “Equivalents” umbenannt wurde und unter diesem Titel zu großer Bekanntheit kam. Die Faszination für Himmels- und Wolkenmotive reicht weit zurück in die Anfänge des 20. Jahrhunderts und läutete den Beginn der Abstraktion in der Fotografie ein. Auch im 21. Jahrhundert finden sich Unmengen an Wolkenbildern im Internet und auf Smartphones. Sie landen in Clouds, die mit Glasfaserkabeln über den gesamten Globus verteilt sind, mit künstlichen Intelligenzen operieren und das Medium zur Speicherung all unserer Daten der Gegenwart darstellen. Auch das Medium der Fotografie ist allgegenwärtig – Schnappschüsse aus dem Urlaub, Selfies, Aufnahmen der Überwachungskameras an öffentlichen Orten, Archivbilder oder Satellitenaufnahmen sind stets präsent und begleiten das gesellschaftliche Leben.
In seiner Desktop-Videoarbeit “Cool clouds that look like they should be spelling something, but they don’t” von 2016 bedient sich der Künstler Stefan Karrer an unzähligen Bilddateien, die von Laien ins Internet gestellt wurden und überführt diese in eine Ordnerstruktur, die in einer Endlosschleife über den Bildschirm läuft. Eine leicht befremdliche computergenerierte Frauenstimme verliest dabei die Bildunterschriften mit denen die Wolken-Schnappschüsse der anonymen Nutzer*innen versehen wurden. Das Werk stellt eine ironische und humorvolle Reflexion unseres gesellschaftlichen Gebrauchs der Fotografie dar und unterstreicht, wie universell Bildmotive heutzutage verwendet und im Netz hochgeladen werden. Wer weiß eigentlich schon genau, an welchem Ort und bei wem all diese Datenmengen, die Auskunft über unsere Aufenthaltsorte, Freundeskreise und Vorlieben geben, letztendlich landen?
Das Künstler*innenkollektiv Fragmentin widmet sich in seiner Praxis den technischen Entwicklungen, der Digitalisierung und ihren Auswirkungen auf unseren Alltag. Ihre rechercheintensiven Projekte werden in Installationen, Videos und Performances übersetzt. In der Arbeit “Displuvium” von 2019 beschäftigt sich das Kollektiv mit dem Wunsch der Menschheit, völlige Kontrolle über die Natur zu gewinnen und in natürliche Prozesse einzugreifen. Die Gruppe visualisiert natürlich und künstlich herbeigeführte Wetter-Ereignisse mithilfe eines programmierten Regens, der in verschiedenen Mustern in der Installation auftritt. Die Arbeit nimmt außerdem Bezug auf das sogenannte “Cloud Seeding” – Experimente, um Regen herbeizuführen oder Wolken zu vertreiben. Es handelt sich bei dem Vorgang um eine chemische Intervention, bei der Silberiodide in die Atmosphäre gebracht werden. Auch in den Silberverfahren der Fotografie findet dieses Material Anwendung und hinterlässt im Verlauf seiner Industrialisierung einen ökologischen Fußabdruck. Die Installation zeigt auf, wie untrennbar Mensch und Natur inzwischen miteinander verwoben sind.
Die “Cloud Faces” von Shinseungback Kimyonghun aus dem Jahre 2012 nehmen Bezug auf das Phänomen “Pareidolie”, das das Erkennen von Gesichtern in Gegenständen oder Naturerscheinungen beschreibt. Etwas, das wir alle sicher schon seit Kindertagen kennen. Die Wolken-Aufnahmen sind einem fehlerhaften KI-Programm entsprungen, das eine automatische Gesichtserkennung vornimmt. Die Serie zeigt die Grenzen des maschinellen Sehens sowie der menschlichen Vorstellungskraft auf und visualisiert gleichzeitig die Schattenseiten der fotografischen Entwicklungen, die im Umgang mit Smartphones, sozialen Netzwerken und der Überwachungstechnik auftreten. Die zunehmende Technisierung führt zu einem ständigen und unbehaglichen Zustand des Beobachtens und beobachtet Werdens.
Die Videoinstallation “Buycloud”, um ein letztes Werk der Gruppenausstellung zu nennen, der Multimedia-Künstlerin Noa Jansma bietet ein natürliches Phänomen an, das bisher außerhalb des Kapitalismus stand und nun in eine verwertbare Ressource verwandelt wird. Wer schon immer mal eine eigene Wolke haben wollte, kann hier zuschlagen. Die Installation berechnet die Größe der Wolken mittels KI und macht sie über einen QR-Code für die Besucher*innen erwerblich. Neben der kapitalistischen Kritik enthält die Arbeit auch eine klimakritische Dimension: im Prozess der Erderwärmung spielen einige Wolkentypen einen bedeutende Rolle, die aufgrund des drastischen CO2-Anstiegs zukünftig verschwinden könnten. Vielleicht also keine schlechte Investition, so eine Wolke. Oder wie sähe eine Zukunft ohne Wolken wohl aus?
Wer noch mehr über die Ausstellungen im C/O Berlin lesen möchte, findet hier die Review zur Modefotografin Nadine Ijewere oder hier die Ausstellungsbesprechung zu Felicity Hammond.
WANN: Die Ausstellung läuft bis zum 21. April 2022.
WO: C/O Berlin, Amerika Haus, Hardenbergstraße 22-24, 10623 Berlin.