Kann Kunst das Klima retten? Bettina Freimann über zeitgenössische Kunst und Natur
28. November 2022 • Text von Theresa Weise
Es geht um alles oder nichts. Die Klimakrise. Mit zehn künstlerischen Positionen beleuchtet die Gruppenausstellung „Clear River, Calm Sea“ das Verhältnis von Mensch und Natur in der Hamburger St. Katharinen Kirche. Kuratorin Bettina Freimann erzählt, was Kunst und Künstler*innen beitragen, um die Klimakrise zu bewältigen.
gallerytalk.net: Können Künstler*innen das Klima retten?
Bettina Freimann: Die Rettung des Klimas durch Kunst ist ein komplexes Thema. Sieht man Kunst als Kommunikationsmedium, als Werkzeug zum Transport wichtiger Botschaften, kann man sagen, dass Kunst eine Möglichkeit ist, einen Zugang zum Thema Klima zu ermöglichen, der über eine rein rationale Auseinandersetzung hinausgeht. Kunst als Spiegel gesellschaftsaktueller Themen, Phänomene und Trends kann helfen, einen emotionalen Bezug zu schaffen, Menschen zu berühren, aufzurütteln. Künstler*innen, die gleichzeitig Aktivist*innen sind nutzen ihre Kunst aktiv dafür, sich für Themen wie Klimakrise, Feminismus, Kolonialismus oder Identitätspolitik einzusetzen.
Und wenn wir in den Kunstbetrieb reinschauen, offenbart sich da ein andere Perspektive?
Betrachtet man den internationalen Kunstapparat, unzählige Flugmeilen, komplizierte transnationale Sendungen und aufwendige Messe-Organisationen, wird offensichtlich, dass die Kunstwelt selbst und die an ihr Teilnehmenden einen großen Beitrag zu den CO2-Emissionen leisten – was durchaus hinterfragt werden sollte.
Finden wir dank der Kunst zurück zur Natur?
Als die ersten Menschen in Höhlen begannen, die sie umgebende Natur abzubilden, wurde die erste direkte Verbindung zwischen Kunst und Natur geschaffen. Kunst war da, um das Natürliche zu repräsentieren, festzuhalten. Der Rückzug in die Natur war für viele traditionelle Künstler*innen in China eine wichtige Methode, um eins zu sein mit den Elementen der Natur und galt lange als ehrenhafte Handlung. Die Abbildung der Landschaft entstammte im Westen wie auch in China einer tiefen Leidenschaft und Ehrfurcht vor der Natur.
Wie ist das Verhältnis der zeitgenössischen Kunst zur Natur?
Auch heute noch suchen Künstler*innen nach einer Möglichkeit, mit der Natur zu verschmelzen, den verlorenen gegangenen Bezug zu unserer natürlichen Herkunft wiederzufinden. Ich glaube schon, dass Kunst helfen kann, die Sehnsucht nach der Natur zu wecken, auf die Schönheit der natürlichen Umgebung hinzuweisen, einen emotionalen Bezug zu schaffen. Wenn wir danach unseren Blick auf die Natur und unsere Verantwortung ihr gegenüber besser verstehen, wäre das schon mal ein großer Pluspunkt.
Sind die ausgestellten Kunstwerke in der Hamburger St. Katharinen Kirche „nachhaltige Kunst“?
Um die Frage zu beantworten, müssten wir erstmal klären, was der Begriff „nachhaltige Kunst“ denn bedeuten soll. Wenig Materialaufwand, niedriger CO2-Verbrauch bei der Herstellung des Kunstwerks, aufwendige Produktionen – all dies könnte in das Thema hineinspielen. Wenn wir es so sehen, würde ich sagen: Ja und Nein.
Kannst du das genauer erklären?
Ich habe bei der Konzeption der Ausstellung versucht, möglichst Positionen auszuwählen, die einen Bezug zur Natur herstellen wollen und die in der Realisation der Ausstellung einen möglichst geringen CO2-Ausstoß hatten. So wurde auf unnötige Flüge und Sendungen verzichtet und in der Produktion darauf geachtet, mit lokalen Akteur*innen zu arbeiten und die Materialien so zu wählen, dass sie danach weiterverwendet werden können.
Kannst du Beispiele der künstlerischen Positionen nennen?
Die Performance-Arbeiten von Tong Wenmin oder Li Binyuan sind ohne großen Aufwand dort gedreht worden, wo die beiden auch leben. Swaantje Güntzels künstlerische Praxis integriert eine nachhaltige Lebensweise, Corrina Goutos verarbeitet Elektro-Abfälle, natürliche Objekte und objét trouvés, Tong Wenmin versucht mit einfachen Mitteln, den Geist der Elemente zu inkorporieren.
Welche persönlichen Erfahrungen mit der Klimakrise fließen in die Arbeiten der Künstler*innen ein?
Li Binyuans Performance „Drawing Board“ ist 2017 in seiner Heimatprovinz Hunan nach einer Überschwemmung entstanden. Durch einen Deichbruch war das Dorf, aus dem er stammt, für mehrere Wochen von der Außenwelt abgeschnitten. Seine Arbeit thematisiert den unmöglichen Versuch, Wassermassen aufzuhalten. Für die Fotoserie „Wahala“ hat Robin Hinsch Orte und Menschen dokumentiert, die durch den Abbau und die Verwendung fossiler Brennstoffe besonders betroffen sind. Er zeigt auf, dass die Gewalt gegen Natur und Mensch nicht zu trennen sind. Yi Dais Arbeit „Tide Tables“ ist eine Ode an die Marshall Inseln, auf denen die Künstlerin eine Zeit lang lebte. Die pixelkleinen Aquarelle zeigen die Bedeutung von Wasser und der Rhythmen der Natur auf, geprägt durch den Wechsel der Gezeiten. Die niedrig gelegenen Atolle der Marshall Inseln sind stark vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht.
Welche Bedeutung hat der Titel der Ausstellung „Clear River, Calm Sea“?
Der Titel ist inspiriert von einem chinesischen Idiom, „heqing haiyan“, das eine Utopie beschreibt, in der erst „Frieden im Universum“ herrscht, wenn die „Flüsse klar und die Meere ruhig sind“. China ist stark geprägt durch den Rhythmus des Gelben Flusses, des größten Flusses, der das Land in Nord und Süd teilt. Die Beherrschung diese Flusses war schon im alten China eine Mammutaufgabe und deswegen Ausgangspunkt zahlreicher Fabeln und Legenden.
Warum hast du dich für eine Kirche als Ausstellungsort entschieden?
Die Kirche als Ausstellungsort zu wählen, war nicht der Ursprungsgedanke. Eigentlich hätte ich die Ausstellung gerne in einer Halle im Oberhafenquartier realisiert, da der Oberhafen als Überschwemmungsgebiet von den zunehmenden Sturmfluten und dem Meeresspiegelanstieg bedroht ist – ein perfekter Kontext für die Ausstellung.
Woran ist es gescheitert?
Leider konnten wir die unglaublichen Summen, die die Kreativgesellschaft für die Bespielung der Hallen abrufen wollte, nicht aufbringen.
Und wie ist es dann die Kirche St. Katharinen geworden?
Ein glücklicher Zufall. Wir haben Frank Engelbrecht und die Hauptkirche St. Katharinen kennengelernt. Da die Kirche auch direkt am Hafen liegt, hat sie eine direkten Wasserbezug. Außerdem finde ich es reizvoll, eine Ausstellung in einem öffentlich-zugänglichen Gebäude zu machen – die Kunst kommt quasi zum Menschen.
Gibt es Gottesdienste während der Laufzeit?
Ja! Da ja auch noch Weihnachtszeit ist, wird es einige Termine geben, an denen der Gottesdienst in der Ausstellung stattfindet. Vielleicht werden sogar Elemente der Ausstellung für das Krippenspiel verwendet. Es bleibt spannend.
Wie definierst du die Aufgabe der Künstler*innen als Mediatoren zwischen Klimakrise und Gesellschaft?
Bei der Frage muss ich direkt an ein Buch denken, das mich vor kurzer Zeit sehr inspiriert hat: „Kein Land für Achtpunktfalter“ von dem ozeanischen Klimaaktivsten und Menschenrechtsanwalt Julian Aguon. Darin weist er auf die verheerende Situation seiner Heimatinseln und der Menschen, die dort leben, hin. Als exterritoriales Gebiet der USA werden sie eigentlich so behandelt werden, als hätten sie keine Rechte.
Was hat dich hier so begeistert an dem Buch?
Besonders fand ich an dem Buch seinen überzeugten Optimismus und den Glauben daran, dass jeder Beitrag, unsere Welt zu einer lebenswerteren zu machen, wichtig ist. Ich denke, wenn wir uns dessen bewusst sind, dass wir alle einen Beitrag leisten können, können wir das vielleicht auch schaffen. Das gilt für uns alle, ist aber auch Aufgabe der Kunst und der Künstler*innen im Speziellen.
WANN: Die Ausstellung „Clear River, Calm Sea“ läuft bis Sonntag, den 11. Dezember.
WO: Hauptkirche St. Katharinen, Katharinenkirchhof 1, 20457 Hamburg.