Kritik an Kirche und Religion
Linda Peitz bespielt den Kunstraum Mauer

4. Februar 2022 • Text von

Die jüngsten Enthüllungen um Misbrauch und Vertuschung in der katholischen Kirche unterstreichen die Relevanz einer kritischen Außeinandersetzung mit Religion, besonders in institutionalisierter Form. Kuratorin Linda Peitz hat im Kölner Kunstraum Mauer spannende künstlerische Positionen zu dem Thema zusammengetragen.

In einem Metallkörbchen liegen Spargelstangen mit Ikonenköpfen.
Young-jun Tak. Mauer, 2022. Foto: Alwin Lay.

gallerytalk.net: Ein Priester mit blankem Po, spargelige Ikonen – wieso lohnt die Unernsthaftigkeit im Umgang mit Markern institutionalisierten Glaubens?
Lina Peitz: Ein humorvoller Umgang mit diesen Themen dient natürlich nicht nur zur Unterhaltung, sondern ist vor allem ein Mittel der Analyse und Kritik. In der Ausstellung entwickeln die Künstler*innen eine Betrachtung, die sich auf ökonomisch-soziale Verhältnisse konzentriert. Indem sie Material aus dem Alltäglichen sammeln, neu zusammensetzen und verfremden, entstehen Kommentare zu gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Eine Arbeit wie die von Megan Dominescu wird dabei interessanterweise oft als grenzüberschreitend wahrgenommen.

Links: Textilarbeit von megan Dominescu zeigt Geistlichen mit blankem Po und Kreuz in der Hand. Rechts: Porträtfoto von Linda Peitz im sitzen.
Megan Dominescu. Mauer, 2022. Foto: Alwin Lay. // Linda Peitz. Foto: Lukas Preuss.

Der eingangs erwähnte Geistliche.
Genau. Ihr handgeknüpfter Wandteppich mit dem Titel „The Patriarch“ zeigt den Patriarchen Daniel, das Oberhaupt der Rumänischen Orthodoxen Kirche in poppigen Farben und mit entblößtem Hinterteil. Journalistische Recherchen haben dem Bischof Korruption und das Veruntreuen von Unmengen an Kirchenvermögen nachgewiesen, was aber keinen Einfluss auf seine Machtposition hatte. Dominescus Textilarbeiten verbinden solche Beobachtungen mit einer Bilderflut aus Pop, Konsum und Kitsch. Die ironisierende Darstellung zielt dabei vor allem darauf ab, die Absurdität zu beleuchten, dass solche machtmissbrauchenden Handlungen in unserer Gesellschaft immer wieder ohne Konsequenzen bleiben.

Außenansicht des Ausstellungsraums Mauer, ein großes Fenster mit roten Gitterstäben.
Außenansicht, Mauer, 2022. Foto: Alwin Lay.

Mir kommt es vor, als bestünde ein kritischer Umgang mit dem Thema Kirche für viele aus „austreten und abgehakt“. Was war deine Motivation, einen neuen Anlass für eine Auseinandersetzung damit zu schaffen?
Ausgangspunkt für die Ausstellung war die Arbeit von Lea Draeger, welche einen meiner Meinung nach noch zu wenig beleuchteten Aspekt im Umgang mit der katholischen Kirche in den Vordergrund rückt: Die Position der Frauen in diesem hierarchisch und patriarchal geprägten System. Ausgehend von familienbiografischem Material sind Draegers „Ökonomische Päpste und Päpstinnen“ aus ihrer Beschäftigung mit dem Katholizismus und extrem konservativ geprägten Gesellschafts- und Familienstrukturen entstanden. Der Papst steht in den briefmarkengroßen Zeichnungen der Künstlerin als Symbol für eine patriarchal geprägte Figur.

Wie meinst du das?
Die Päpste stellen keine Bildnisse tatsächlicher und historischer Vorbilder dar, sondern sind vielmehr als institutionelle Körper in möglichen und unmögliche Situationen zu verstehen – die segnende Päpstin, die gütige Päpstin, der betende, der heilende, der Füße waschende Papst, die wütende Päpstin, der böse, der nackte Papst, der Gymnastik-Papst, die Motorrad Päpstin oder die Päpstin mit Schoßhund. Draeger untersucht mit dieser Arbeit nicht nur patriarchale Machtverhältnisse und Strukturen, sondern hebelt diese gleichzeitig aus.

Viele kleine Zeichnungen von Lea Draeger auf Papier.
Lea Draeger, Mauer, 2022. Foto: Alwin Lay.

Indem sie zum Beispiel, du hast es ja schon angesprochen, auch Päpstinnen abbildet.
Zu den männlichen Päpsten kamen in diesem mittlerweile 5000 Zeichnungen umfassenden System sehr schnell die weiblichen Päpstinnen hinzu. Anfangs in eher gängigen Frauenrollenbildern, begannen sich die Päpstinnen sehr schnell dagegen zu wehren und lösten sich schließlich ganz davon. In der Ausstellung in Köln sind auch erstmals ausschließlich Päpstinnen zu sehen, was noch einmal mehr das Anliegen der Künstlerin unterstreicht, den Frauen in diesem System die Möglichkeit zu geben, ein schon zu lange vorherrschendes Schweigen zu brechen.

Wie zeigen sich kirchliche Machtmechanismen noch heute in unserer Gesellschaft? Inwieweit sind sie vielleicht sogar für selbige repräsentativ?
Die vielleicht offensichtlichste Machtposition zeigt sich sicherlich in der bereits erwähnten Ungleichheit zwischen Frau und Mann. Der Papst ist ein Mann, alle Bischöfe, Priester, Diakone und Kardinäle sind Männer, so will es die katholische Kirche seit jeher. Frauen wird der Zugang zu Entscheidungsfunktionen verwehrt. Ein völlig absurdes Zitat des heiligen Thomas von Aquin fasst das heutige katholische Frauenbild noch immer gut zusammen: “Das Weib verhält sich zum Mann wie das Unvollkommene und Defekte zum Vollkommenen.” Auch wenn sich vielleicht heute kein katholischer Würdenträger mehr traut, diesen Unsinn auszusprechen.

Links eine Schrankwand mit einem Faltblatt von Lea Draeger, rechts bedecken vele kleine Zeichnungen von Lea Draeger bedecken die Wand.
Lea Draeger, Mauer, 2022. Foto: Alwin Lay.

Wo hakt es noch?
Auch im Umgang der katholischen Kirche mit den Themen Queerness, Homosexualität, Transgender oder Intersexualität lässt sich nur eine traurige Bilanz ziehen. Homosexuelle werden seit jeher verteufelt, Trans-Personen werden Sakramente vorenthalten, da die Kirche noch immer von einem binären Verständnis von Geschlechtlichkeit ausgeht. Und man darf den Einfluss dieser reaktionären Weltbilder auf Gesellschaft nicht unterschätzen, gerade in Regionen, in denen der Kirche noch eine große Bedeutung zukommt. Besonders spannend finde ich auch Ansätze, welche Machtmechanismen der Kirche mit mafiösen Strukturen vergleichen. Priester und Bischöfe schützen sich gegenseitig, es herrscht eine Art Schweigepflicht gegenüber Außenstehenden. Womit wir wieder beim Patriarchen von Megan Dominescu wären.

Welche Zugänge eröffnen denn die gezeigten Positionen?
Die fünf Künstler*innen verhandeln alle patriarchale Machtverhältnisse und spielen auf besondere Weise mit Kategorien und Identitäten. Während Lea Draeger und Megan Dominescu Ungleichheiten aus einem sehr feministischen Blickwinkel betrachten, erforschen die Arbeiten von Aviva Silverman und Young-jun Tak marginalisierte Individuen durch eine zeitgenössische queere Linse. In ihren Arbeiten wird der Status der Ikone als Verkörperung dessen, was heilig und gepriesen ist, neu konstituiert. Young-jun Takbeispielsweise untersucht mit seiner skulpturalen Praxisdie soziokulturellen und psychologischen Mechanismen, die unsere Glaubenssysteme formen.

Krippen in Flyer eingewickelt von Young-jun Tak.
Young-jun Tak. Mauer, 2022. Foto: Alwin Lay.

Wie sieht das dann aus?
Drei Skulpturen aus der 12-teiligen Installation „Miracles” zeigen in einer Wiege ruhende Jesuskinder mit offenen Armen. Die Oberfläche jeder Skulptur ist mit schwarz-weißen Pamphleten von orthodoxen und heterodoxen christlichen Gruppen aus Seoul, Südkorea, bedeckt, die eine Konversionstherapie für Homosexuelle befürworten. Die Propagandamaterialien werden von den konservativen protestantischen Organisationen des Landes hergestellt und verurteilen auf vehemente Weise Aspekte des homosexuellen Lebens. Mitglieder dieser Organisationen verteilen die homophoben Broschüren an die Teilnehmer der Queer Culture Festivals in verschiedenen Städten, versuchen, Pride-Paraden zu stören und propagieren eine vermeintlich von Homosexuellen bedrohte Zukunft des Landes. Der Künstler zeigt, wie Religion auf erschreckende Weise heute noch immer in der Lage ist, veraltete Prinzipien wie das des Sündenbocks hochzukochen und politische Polarisierung zu befeuern.

Links Blick in den Ausstellungsraum mit einer Malerei von Nika Fontaine, die ein rennendes Skelett im Feuer zeigt, rechts eine Ausstellungsansicht mit Spargel von Young-jun Tak, einem doppelten Kreuz von Aviva Silverman und im Hintergrund eine Skulptur von Nika Fontaine.
Installationsansicht mit Arbeiten von Nika Fontaine und Young-jun Tak, Mauer, 2022. Foto: Alwin Lay. // Installationsansicht mit Arbeiten von Young-jun Tak, Aviva Silverman und Nika Fontaine, Mauer, 2022. Foto: Alwin Lay.

Wer den Ausstellungsraum betritt, wird begrüßt von einem Skelett im Fegefeuer. Ein Gemälde von Nika Fontaine verbildlicht quasi den etabliertesten Abschreckungsmotivator der katholischen Kirche. Antizipierend, dass es nicht Angst ist: Mit welchem Gefühl sollen Besucher*innen deine Ausstellung verlassen?
Nika Fontaines Malerei „Calcination over Battersea“ ist ein gutes Beispiel für das Spiel mit Ambiguitäten in der Ausstellung. Ein zentrales Element im Schaffen der Künstlerin ist die Auseinandersetzung mit Identität, Spiritualität, Transformation und Heilung. In ihren Gemälden, Skulpturen und Installationen verschmelzen spirituelle und popkulturelle Erfahrungen mit einer radikalen Infragestellung kunsthistorischer und gesellschaftlicher Hierarchien. Das Bild verhandelt unter anderem die im Christentum häufig auftauchende negativ behaftete Symbolik der Hölle und verbindet sie auf poetische Weise mit dem Konzept der Kalzinierung – also dem Erhitzen eines Materials mit dem Ziel, dieses zu zersetzen – einerseits als Akt der Zerstörung, Qual und Läuterung, andererseits als Prozess der Befreiung von Ängsten, einschränkenden Überzeugungen und egogetriebenen Verhaltensweisen. In Bezug auf letzteres ist das Gefühl beim Verlassen der Ausstellung also auch ein positives, da es die Möglichkeit von Erkenntnis, Transformation und Freiheit in Aussicht stellt. 

WANN: Die von Linda Peitz kuratierte Ausstellung läuft bis Sonntag, den 20. Februar.
WO: Mauer, Gereonswall 110, Köln.

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