Starke Körper und gleiche Rechte
Barbara Hammer im Franz Josefs Kai 3

12. April 2021 • Text von

Barbara Hammer drehte über 100 Filme in ihrem Leben und begründete das Queer-Feministische Kino, indem sie lesbische Liebe und Lebensrealitäten ins Zentrum ihrer Arbeit stellte. Sie entwarf nicht nur eine Gegenperspektive zur männlich geprägten Gesellschaft, sondern setzte sich mit ihrer Kamera für die Gleichheit aller Geschlechter ein.

Barbara Hammer mit ihrer Handkamera filmend 1978 in Santa Cruz
Barbara Hammer in Santa Cruz 1978. © Estate Barbara Hammer.

Im Franz Josefs Kai 3 ist zum ersten Mal in Österreich eine umfassende retrospektiv angelegte Ausstellung der amerikanischen Filmemacherin Barbara Hammer (1939–2019) zu sehen. Als Pionierin des queeren und feministischen Kinos widmete sich die Künstlerin explizit der Sichtbarmachung lesbischer Lebensrealitäten. Unter der kuratorischen Leitung von Fiona Liewehr verschränkt die Ausstellung „Women I Love“ über 20 experimentelle und dokumentarische Video- und Filmarbeiten mit autobiografischem Material und Interviews. Hammers filmisches Werk zeigte den weiblichen Körper, die lesbische Identität und Sexualität, sowie das politische Aufbegehren von Frauen ab Anfang der 1970er-Jahre auf bis dato völlig unbekannte Weise. Zu einer Zeit, in der Themen wie diese filmisch entweder gar nicht verhandelt wurden oder die Beschäftigung damit der pornografischen Fantasie männlicher Filmemacher überlassen war, drehte Hammer Filme über Frauen für Frauen und schuf basierend auf ihren eigenen Erfahrungen neue filmische Sprachen.

Filmstill von Barbara Hammers Double Strength zeigt Terry Sendgraff
Barbara Hammer, Double Strength (film still), 1978, 16 mm film on HD video, 4:3, color, sound, 14:03 min. © Estate Barbara Hammer. Courtesy KOW, Berlin.

Hammers 14-minütiger Experimentalfilm „Double Strength” (1978) ist wie eine poetische Studie über die Stadien einer Beziehung, von den liebevollen und erotischen Anfängen, über Gelassenheit und schleichende Entfremdung, zu Wut, Schmerz und Trennung. Die Künstlerin hatte eine kurze Liebesbeziehung mit der Tänzerin Terry Sendgraff, die in ihre Choreografien Akrobatik und Geräte, wie Trapeze, miteinbezog. Neben Fotos der beiden zeigt der Film, wie Sendgraff mit ihrem muskulösen Körper nackt am Trapez performte. Eindrücklich werden ihre kraftvollen und präzisen Bewegungen im Film mit sanftem Sound und Gesprächsaufnahmen unterlegt. Die Arbeit vereint Zärtlichkeit und Stärke und steht sinnbildlich für die vereinte Kraft, das doppelte Potenzial – nicht nur innerhalb einer lesbischen Beziehung.

Barbara Hammer, X (film still), 1975 Transferred 16-mm-film, 4:3, color, sound, 7:04 min. © Estate Barbara Hammer. Courtesy KOW, Berlin.

Im Alter von 30 Jahren outete sich Hammer als lesbisch, verließ daraufhin auf „einem Motorrad und mit einer Super-8-Kamera“ ihren Mann, reiste durch die Vereinigten Staaten, Afrika und Europa und zelebrierte, involviert in die lesbisch-feministische Bewegung der 1970er-Jahre, das freie Leben und Lieben von Frauen vor und hinter der Kamera. In ihrem 4-minütigen Video „Dyketactics“ (1974) überblendet Hammer Bilder einer Gruppe von nackt tanzenden und sich umarmenden Frauen mit Nahaufnahmen einzelner Körperpartien und von sich selbst mit der Kamera, wodurch die körperliche Berührung technisch in den Film übersetzt wurde, den die Künstlerin humorvoll als „lesbischen Werbespot“ bezeichnete. Eines der Anliegen von Hammer war die visuelle Verschränkung von Darstellungen des Tastsinns mit der Taktilität des Films, was sie als „haptisches Kino“ begriff. In Werken wie „Sync Touch“ (1981) oder „Optic Nerve“ (1985) versuchte sie eine Verbindung zwischen Sehen und Fühlen herzustellen. 

Videostill von Barbara Hammers Sync Touch
Barbara Hammer, Sync Touch (film still), 1981, 16-mm-film on video, color, sound, 10:07 min. © Estate Barbara Hammer.

Ab den 1990er-Jahren bezog Hammer auch Themen des Alterns sowie Ein- und Ausschlussmechanismen von queeren Communities in der Gesellschaft in ihre filmischen Werke mit ein. In „Nitrate Kisses“ (1992) setzte sie sich mit dem Sexleben älterer lesbischer Frauen und homosexueller Pärchen verschiedener Herkunft auseinander. Ihre Dokumentarfilme dieser Zeit kreisten um gesellschafts- und identitätspolitische Themen, wobei sie sich selbst gleichzeitig hinter die Kamera zurückzog.

Barbara Hammers Film Nitrate Kisses zeigte ältere lesbische Paare
Barbara Hammer, Nitrate Kisses (film still), 1992 16-mm-film, b&w, sound, 67 min. © Estate Barbara Hammer.

Andere tabuisierte Themen, wie Krankheit und Tod, prägten ihr Spätwerk, wobei sie in zahlreichen Vorträgen über ihr Leben mit der tödlichen Erkrankung sprach. Nachdem 2006 bei ihr Eierstockkrebs diagnostiziert worden war, verarbeitete sie ihre Gesundheitsprobleme auf sehr persönliche Weise in der Arbeit „A Horse is not a Metaphor“ (2008), in der sich Bilder ihres Krankenhausbettes und ihres Pferdes mit der Freiheit einer weiten Landschaft verschränken.

Ansicht diverser Videos und Filmprojektionen Barbara Hammer in Wien
Installationsansicht Barbara Hammer “Women I Love”, Franz Josefs Kai 3. Foto: Simon Veres.

Die Ausstellung führt die vielschichtigen Themen, denen sich Hammer in über 50 Jahren widmete, gelungen zusammen und zeichnet das künstlerische Portrait einer selbstbewussten Filmemacherin, die keine Scheu hatte, sich in nahezu alle gesellschaftlichen Randbereiche vorzuarbeiten. Wie sehr die Werke trotz ihrer teilweisen Historizität immer noch von Aktualität zeugen, ist Hammers ästhetischem Blick für den Körper und das Leben sowie ihrem politischem Engagement für die Gleichberechtigung diverser Lebensentwürfe zu verdanken.

WO: Franz Josefs Kai 3, 1010 Wien, Österreich.
WANN: Die Ausstellung ist noch bis Sonntag, den 16. Mai, zu sehen.

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