Das Spiel mit dem Feuer
Julian Charrière in der Langen Foundation

5. September 2022 • Text von

In der Langen Foundation in Neuss schlägt das Wasser Flammen, ummanteln Eiskristalle Orchideen, werfen Feuerwerkskörper Schlaglichter auf eine implodierende Realität. Als künstlerischer Forscher hält uns Julian Charrière den Spiegel vor, lässt uns Tadao Andos Architektur im Angesicht von urzeitlichen Kräften wie Eis und Feuer ähnlich Gesteinsschichten durchwandern bis auf den Grund des eigenen Ichs. Wenn selbst Brunnen Feuer tragen, entzündet sich vielleicht ein Funke, tief im Innern, der fragt: Was tun wir hier eigentlich?

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Julian Charrière, “And Beneath It All Flows Liquid Fire”, 2019, Installation View, Towards No Earthly Pole, Aargauer Kunsthaus, Aarau, Switzerland, Copyright the artist; VG Bild-Kunst, Bonn, Germany.

Irgendwo tief versunken im Zeitendunkel sprießen urwüchsige Schachtelhalme, Palmfarne, kleine Urwaldinseln auf anthrazitfarbenem Kohlegrund. Vor dem Auge ist das diffizile Blattwerk tiefschwarz, dann wieder funkelnd in infrarotem Licht. Ein Tropfen, ein Knistern, ein Rauschen, ein sich Verlieren wie in Trance. Dann plötzlich ein Lichtblitz, der das eben erst ans Dunkel gewöhnte Sehen aufstört, jetzt schwindet er wieder, der Blick. Ähnlich dem Lichtkegel der Taschenlampe sucht er, doch dringt nicht durchs Dickicht, weist allein den Weg, bewahrt vorm Stolpern und man stolpert doch. Wenn in tropisch feuchter Luft alles eins wird, wuchernde Pflanzen scheinbar in endlose Ferne reichen, blitzt im Stroboskoplicht ein Spiegelbild auf: das erschrockene Ich.

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Julian Charrière, “Controlled Burn”, Langen Foundation Außenansicht, Solarcontainer, © the artist, VG Bild-Kunst, Bonn, Foto: Jens Ziehe.

Aufgestört befinden sich die Besuchenden nicht länger im Zeitalter der Farne, als der Großkontinent Gondwana noch mit riesigen Pflanzen und überdimensionalen Libellen bevölkert war, nicht länger in der sinnlich erfahrbaren Rauminstallation eines panchronischen Gartens, sondern mitten in einer beispiellosen europäischen Energiekrise. Eine Krise, die Umweltzielen konträr entgegensteht, wenn Kohlekraft- und Atomkraftwerke wieder in Betrieb genommen werden. Künstler Julian Charrière geht in “Controlled Burn” bis an die Quellen von Energie zurück, befragt zugleich selbstkritisch den Kunstbetrieb, wenn er vor Tadao Andos durchfensterter Architektur der Langen Foundation große Solarmodule im seichten Wasser platziert. Denn dicht über der spiegelnden Oberfläche blockiert gleich einem abgestürzten Flugzeug mit weit aufgespannten Flügeln ein Container den Blick, welcher die Ausstellung in Teilen mit Energie versorgt, den Weg hin zu einem sich selbst versorgenden System andeutet. Davor ragt ein Konstrukt mit einem nachgebildeten Raubvogel aus dem Spiegelteich. Ein künstlicher Falke, der sich bewegt, mit den Augen zu folgen scheint und zwischendurch ein lautes Krächzen hören lässt. Bei dem seltsamen Gebilde handelt es sich um eine Vogelscheuche, die Tiere vor mit giftigen Rückständen vom Tagebau verunreinigtem Wasser warnen soll. Begleitet wird dieses paradoxe Bemühen um Naturschutz von einer Luftkanone, welche die Besuchenden von Zeit zu Zeit mit einem lauten Knall aufschreckt. 

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Julian Charrière, “Pure Waste”, 2021, Video Still, Copyright the artist, VG Bild-Kunst, Bonn, Germany.

Von der lichten Architektur auf Höhe der bewaldeten Erdkruste geht es hinab ins untere Geschoss des Ando-Baus. Die Videoarbeit “Pure Waste” führt in urzeitlich eisige Gefilde und über die langgezogene Treppe schreiten die Besuchenden nicht nur physisch, sondern auch gedanklich durch all die gefrorenen Schichten der Erde bis zum Grund hinab. Dort ist es dunkel wie in einer Höhle, die allein vom Feuerschein illuminiert wird. Dem Eis oben steht unten ein Feuer entgegen, das innerhalb einer großformatigen Projektion flüssig aus einem neoklassizistischen Springbrunnen flammt. In seinem Schein steht für einen Augenblick die Welt in Flammen, ist das Feuer betörend und zerstörerisch zugleich. Gegenüber umringen einander fast spielerisch zwei futuristisch anmutende Roboterarme, mit je einem Feuerstein ausgestattet, die einen Funken zu entzünden suchen. Nur selten aber schlägt ihre Choreografie tatsächlich Funken, kein Feuer wird entfacht. Da ist nur dieses wiederkehrende krachende Geräusch, wenn Stein auf Stein prallt. Ist das der Beginn? Der Anfang einer neuen Erzählung künstlicher Intelligenz? Wann springt der Funken über und stiehlt die Maschine das Feuer vom Menschen, der es mythologisch einst den Göttern gestohlen hat?

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Installationsansicht Julian Charrière, “Controlled Burn”, Langen Foundation “Pitch Drop”, 2016, © the artist, VG Bild-Kunst, Bonn, Foto: Jens Ziehe.

Durch Vorhänge in der Farbe roter Feuersglut führt es den versunkenen Menschen unterirdisch weiter, eröffnet sich ihm die nach oben fluchtende Weite der im Außen liegenden Treppe der Langen Foundation und davor eine Versuchsanordnung, das sogenannte Pechtropfenexperiment. Alle zehn Jahre tropft flüssiger Teer durch den Trichter, haben die Besuchenden während der Laufzeit der Ausstellung ein Jahr Zeit, um auf das Ticken dieser geologischen Uhr zu warten. Wieder durch den Vorhang, der nur ganz sanft in das von Ando baulich kuratierte Lichtspiel eingreift, die Architektur unverändert lässt, ist da nun echtes Feuer. Feuer, das in kleiner Flamme auf Kerzen brennt, irisierend von der metallischen Oberfläche dreier Diptychen widerscheint. Ganz in der Nähe werden zudem Gesteine in naturwissenschaftlicher Manier in Vitrinen präsentiert, in denen geschmolzene Hauptplatinen, Festplatten und CUPs aus Laptops sowie Mobiltelefonen gemeinsam mit Steinen und Erde kulminieren und auf die anthropogene Verschmutzung hinweisen, in ihrem Ausmaß fast selbst eine geologische Schicht.

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Installationsansicht Julian Charrière, “Controlled Burn”, Langen Foundation “Metamorphism”, 2016, 4K-Film: “Controlled Burn”, 2022, © the artist, VG Bild-Kunst, Bonn, Foto: Jens Ziehe.

Gleich Edelsteinen ruhen sie vor der titelgebenden Videoarbeit, einer riesigen Projektion durch Feuerwerkskörper erleuchteter Tagebaugruben, stillgelegter Ölbohrplattformen und rostiger Kühltürme. Verlassene Architekturen in finsterer Nacht, nur sichtbar durch implodierende Feuerwerke, deren Funkenschlag und Feuerschein. Dazwischen wie Stroboskoplicht eingestreute Bilder von sich öffnenden Farnen, flatternden Motten. All das bedrohlich und gleichsam hoch ästhetisch, wenn sich das Video auch von der oberen Etage durch palmölgefüllte Lavalampen, bestehend aus Reagenzgläsern mit Blasen werfender, roter Flüssigkeit, betrachten lässt und zur anderen Seite hin feurigen Fotografien von Auswirkungen eines Vulkanausbruchs in Südostasien gegenübersteht.

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Julian Charrière, “An Invitation to Disappear – Bengkulu”, 2018, Copyright the artist, VG Bild-Kunst, Bonn, Germany.

Diese wohl dosierten Schreckmomente, diese kleinen Irritationen sind es, mit denen uns Charrière aufstört aus tief versunkener Betrachtung, einem Leben wie in Trance. Immer wieder ist da dieser Augenblick, wenn sich im Betrachteten mit ferngeglaubter Wucht eine zweite Ebene auftut. Ein schaurig-schöner Weltenbrand angesichts des Reizes, der auch in Zerstörung liegen kann. Als Zeitreise macht die Ausstellung unsichtbare Prozesse, unterirdische Feuer sichtbar, vermittelt die Sinnlichkeit von Materialien wie Kohle, Öl und Teer. Eindrucksvoll ist die bisher größte Einzelschau des französisch-schweizerischen Künstlers, immer auf dem schmalen Grat ein wenig zu gewichtig zu sein, doch vielleicht macht genau das ihre poetische Anziehung aus. Sie hinterfragt die scheinbare Selbstverständlichkeit unbegrenzter Energiegewinnung und beleuchtet die absurden Exzesse der Moderne, wie den Versuch atomares Feuer der Sonne auf der Erde durch Kernfusion nachzubilden oder die unsichtbare Toxizität des Bikiniatolls. Es ist diese mal mehr und mal weniger versteckte Energiegewinnung und unser riskanter Umgang mit Rohstoffen, die das Klima erhitzen, im doppelten Sinne ein Spiel mit dem Feuer sind.

WANN: Die Ausstellung “Controlled Burn” von Julian Charrière läuft bis Sonntag, den 6. August 2023.
WOLangen Foundation, Raketenstation Hombroich 1, 41472 Neuss.