SOLID GOLD #9
Eglė Otto

27. Januar 2021 • Text von

Die in Litauen geborene Malerin Eglė Otto transportiert die Irrungen und Wirrungen der griechischen Mythologie in ihre Malereien. Sie zeigt, dass altertümliche Themen wie Machtstrukturen, Frauenbild und Heldendarstellungen nie an Aktualität verlieren.

Die Malerin Egle Otto in ihrem Studio
Eglė Otto im Studio 2021, Foto: Ralph Baiker

Auf das Gefühl des Unbehagens reagiert die Malerin Eglė Otto gewöhnlich mit Widerstand und Rebellion. Warum dies in Zeiten von Corona anders läuft, wieso eine ihrer ersten Zeichnungen im Kindesalter für heftige Reaktionen sorgte und welche Situation dazu geführt hat, sich mit der eigenen Malerei zu versöhnen, das erfahrt ihr im neuen SOLID GOLD Interview.

gallerytalk.net: Wie erlebst du die Zeit, in der unsere Welt durch Corona stillgehalten wird – ist die Situation für Dich als Privatperson anders als die Situation als Künstlerin?
Eglė Otto: Ich sehe Kunst als gesellschaftlichen Auftrag. Da ist für mich irgendwas mit Verantwortung und Fragen nach gesellschaftlicher Relevanz drin. Sicher ein Überbleibsel meiner sozialistischen Vergangenheit. (lacht) Widerstand und Ungehorsam sind ein super Mittel, um auf Missstände zu reagieren. Anders bei Corona. Hier ist Ungehorsam fatal und das Unbehagen darf Platz haben, ohne gleich in Widerstand zu münzen.

Baust Du – bewusst oder unbewusst – persönliche Erfahrungen oder aktuelle gesellschaftliche Themen mit in Deine Bilder ein? Wie gehst Du strategisch damit um?
Die griechische Mythologie stimmt weitestgehend mit meinen eigenen Erfahrungen überein. Das Frauenbild, Machtstrukturen und die Heldendarstellungen, alle Irrungen und Wirrungen sind  genauer betrachtet – erstaunlich aktuell was derzeitige gesellschaftliche Themen betrifft. Ich nehme die alte Erzählung, gleiche sie mit meinen persönlichen Erfahrungen ab, mixe alles zusammen und am Ende kommt Malerei heraus, wie zum Beispiel bei der Serie „Kassandra und Pandora vom Fluch befreien“.

Malerei von Elle Otto aus dem Jahr 2018 mit dem Titel Kassandra und Pandora vom Fluch befreien
Eglė Otto, Kassandra und Pandora vom Fluch befreien, 2018, 200 x 300 cm

Wie lässt sich die mythologische Figur der Kassandra in die Gegenwart übersetzen?
Nachdem Kassandra Apollos sexuelle Avancen zurückweist, belegt er sie mit einem Fluch, sodass  ab diesem Zeitpunkt niemand mehr ihren Weissagungen Glauben schenken kann. Er tut es, weil er es kann und, wenn man so will, schadet er damit gehörig ihrer Karriere.

Gibt es ein immer wiederkehrendes Gefühl, dass deine Arbeiten hervorrufen?
Es gibt ein immerwährendes Thema, das sich wie ein roter Faden durch meine künstlerische Arbeit zieht. Angefangen bei der ersten Zeichnung, die ich bewusst schon mit fünf Jahren gemacht habe. Darauf habe ich eine nackte Frau und einen nackten Mann gemalt und dann wahnsinnig viel Ärger dafür bekommen. Die frühe Erfahrung, dass Kunst machen so eine heftige Reaktion auslösen kann, hat tiefe Spuren hinterlassen. Das Gefühl von damals habe ich in diversen Abwandlungen erlebt.

links Egle Otto im Studio rechts_Egle Ottos Malerei mit dem Titel Filosofisten 7 aus dem Jahr 2020
links: Eglė Otto im Studio 2021, Foto: Ralph Baiker; rechts: Egle Otto, Filosofisten 7, 2020

Was kann Malerei und was interessiert Dich daran bzw. dabei?
Am besten hat es meine Schwester beschrieben, als sie gesagt hat: „Wenn ich mich durch ein Buch lese, dann ergibt sich ein vollständiges Bild, indem ich mich von Seite zu Seite herantaste. Beim Betrachten der Malerei ist es so, als könne man alle Seiten eines Buches gleichzeitig lesen.“ Was will man mehr? (lacht) Das hat mich sehr mit der eigenen Malerei versöhnt.

Du hast bis 2010 in Hamburg an der HFBK Malerei bei Werner Büttner, Anselm Reyle, Norbert Schwontkowski und Dirk Skreber studiert. War es für Dich und ist es für Malerinnen im Allgemeinen schwer sich in einem sehr maskulin geprägten Umfeld durchzusetzen und ernst genommen zu werden?
Rückblickend habe ich mich schon stark mit den ganzen Jungs gefetzt. Zahlenmäßig war ich total unterlegen und es war nicht leicht, einen Punkt zu machen. Irgendwie wollte keine/r auf meine Seite. Zugegeben, nachts im Studentenwohnheim habe ich einige Male deswegen geheult, aber jedes Mal in der Uni bin ich dann trotzdem volles Rohr frontal in die Konfrontation rein. Da flogen die Funken, deswegen würde ich nicht sagen, dass ich mich nicht ernst genommen gefühlt habe. 

Zehn Jahre später sieht man Dich nun auf einer Vielzahl von Büchern sitzen. Was will uns dieses Portrait, das der Fotograf Ralph Baiker von Dir geschossen hat, sagen?
Büttner hat Malerei mal analog zum Boxen gestellt. Wir sollten uns einen Gegner suchen und mit ihm in den Ring steigen. Anschließend habe ich mich mit roten Boxhandschuhen gemalt. Mit einem blauen Auge aber in Siegerpose. 

Die Malerin Egle Otto in ihrem Studio auf Kunstkatalogen sitzend
Eglė Otto im Studio 2021, Foto: Ralph Baiker

Und dann hast Du die Skizze gemalt, die wir im Hintergrund des Fotos sehen?
Genau. Das Bild auf dem Foto zeigt die Rückseite von einer aktuellen Malerei. Es ist eine Skizze in Öl aus meiner Studienzeit, die ich nie übermalt habe. Auf der sind Maler abgebildet, die sich gegenseitig massieren, wie es beim Boxkampf der Fall ist, wenn gleichzeitig dem Kämpfer während der Rundenpausen die Kampfstrategien zugeflüstert werden. Sie befinden sich alle in einer Malerei-Werkstatt und sitzen auf Kunstkatalogen berühmter Maler.

Warum sind nur Männer zu sehen?
Dass auf dem Bild keine Frauen abgebildet sind, liegt schlicht und ergreifend daran, dass die Malerinnen während meiner Studienzeit nicht stattgefunden haben. Erst rückwirkend habe ich sie recherchiert und mich selbstständig mit ihrem Werk beschäftigt. Deshalb hat Ralph Baiker meine Malerei nachinszeniert. Da bin ich bei den Jungs und sitze auf Kunstkatalogen sowohl von Malern wie auch Malerinnen.

Malerei der Künstlerin Egle Otto
Eglė Otto, ohne Titel, 2018

Oft wird der Versuch unternommen, Kunst zu kategorisieren. Es ist von typischen weiblichen oder männlichen Genres die Rede, manche behaupten sogar das Geschlecht hinter einem Werk zu erkennen. Wie stehst Du dazu?
Dazu habe ich mal ein Experiment gemacht und das Werk einer Malerin neben das Werk eines Malers gestellt. Die Malereien waren aus vergleichbaren Genres und ähnlichen Zeitepochen. Das habe ich dann unterschiedlichen Leuten gezeigt. Dabei ist rausgekommen, dass sich das Geschlecht hinter einem Werk nicht lesen lässt. Ich zum Beispiel werde oft als Herr Otto Egle gelesen. Besucher*innen einer Ausstellung, die die Person hinter der Malerei nicht kennen, fragen deshalb regelmäßig nach „dem Otto“. Das ist sehr witzig.

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