Fließen lassen
Hydrofeministische Gruppenausstellung bei Open Berlin

2. Juni 2022 • Text von

Hydrofeminismus beinhaltet mehr als die Überzeugung, dass wir alle Wasserwesen sind. Mit 80 Prozent Wasseranteil sind unsere Körper im Kern eher flüssig als fest. Weiter zurück gedacht, liegt eine fischige Vergangenheit hinter uns Erdbewohner*innen. Und noch mehr: Wasser ist im Fluss, Wasser lässt Grenzen verschwimmen, klammert Hierarchien aus und treibt Zyklen an. 13 Künstler*innen sind Open Berlins Einladung gefolgt, sich dem Konzept des Hydrofeminismus kreativ zu nähern. Mit “Oblivion, Abundance and Aquarius (the age of)” wird um die Ecke gedacht, in eine fluide Zukunft geblickt, die Geschlechterrollen wortwörtlich davonschwimmen lässt. 

open Berlin, Hydrofeminismus, Gruppenausstellung, oblivion, abundance and auqarius the age of
“Oblivion, abundance and aquarius (the age of)”, Open Berlin, Installationview, 2022. Photo: Ludger Paffrath

Der Blick in die Zukunft schmerzt dieser Tage stark. Die Natur scheint um sich zu schlagen, wehrhaft strampelt sie, will nicht erwärmen und wird doch kaum erhört. Während die Natur um Aufmerksamkeit buhlt, wird ihr eben diese von irrsinnigen Kriegen geraubt. Woher den Optimismus nehmen? 13 Künstler*innen bei Open Berlin wagen mit der aktuellen Show “Oblivion, Abundance and Aquarius (the age of)”, kuratiert von Amélie Esterházy, einen Blick in eine wässrige, eine hydrofeministische Zukunft und bemühen sich mit der Protagonistin Wasser positive Aussichten zu schaffen.

Wie so häufig bei Open Berlin verklammert sich der White Cube mit einer Plakatwand auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Plakatwand zieht mit ihrem in Versalien geschriebenen Schriftzug “Dick kill trees” die Aufmerksamkeit auf sich. Zuzanna Czebatul gestaltete das Plakat und lässt in den großen Buchstaben einen Waldbrand fotografisch hindurchlodern. Ihre Arbeit kontrastiert die optimistische wasser- und zukunftsorientierte Show im Innenraum, indem sie auf eine von Patriarchat und Naturkatastrophen geprägte Gegenwart verweist, die Lebewesen und Lebensräume ausnahmslos bedrohen.

open Berlin, Hydrofeminismus, Gruppenausstellung, oblivion, abundance and auqarius the age of
“Oblivion, abundance and aquarius (the age of)”, Open Berlin, Installationview, 2022. Photo: Ludger Paffrath

Zwischen Plakat und Ausstellungsraum rasen Autos auf der vierspurigen Straße an einem schüchternen, einbetonierten Grünstreifen vorbei, womit sich das Hier und Jetzt zwischen die beiden Kunsträume schaltet, sich einmischt sozusagen. Sarah Ancelle Schönfeld hat “Farmed to the teeth” mit Zahnpasta an das Galerie-Fenster geschrieben und überführt so galant von außen nach innen. Ihre Lettern korrespondieren spannungsvoll mit denen auf der anderen Straßenseite.

Angesprochen wird Überzüchtung, der Mund als zentrale Körperöffnung, Zahnreinigung, Selbstoptimierung und, wird das “f” ihrer Arbeit ausgeklammert, eine bis an die Zähne bewaffnete Welt. Verspielt in Rot, Weiß und Blau ist der Schriftzug auf das Fenster geschmiert und lässt einen erfrischenden Innenraum erwarten – wenn auch immer in Korrespondenz zu einem bitteren Realitäts-Beigeschmack.

open Berlin, Hydrofeminismus, Gruppenausstellung, oblivion, abundance and auqarius the age of
“Oblivion, abundance and aquarius (the age of)”, Open Berlin, Installationview, 2022. Photo: Ludger Paffrath

Mariechen Danz nimmt sich mit ihren skulpturalen Arbeiten des Körpers an, dessen Organe sie im Gesamtzyklus eine besondere Bedeutung zuschreibt. Ein Herz, eine Leber und eine Zunge aus Harz gegossen schließen jeweils einen Edelstein ein. Durch das zungenförmige Harz blinzelt ein Amethyst, dem eine beruhigende Wirkung nachgesagt wird und der zudem vor Albträumen schützen soll. Das Marmor-Ei im Herzen macht mutig und bekräftigt dazu nicht alles so hinzunehmen, wie es ist. Und Perlmutt in der Leber? Das macht zuversichtlich. Alles in allem symbolisieren die eigenwillig in den Raum ragenden Körperteile einen hoffnungsvollen, ermutigenden Zyklus.

Wie flüssig die Grenzen zwischen Menschen und Tieren, Tieren und Pflanzen verlaufen, zeigt Nona Inescus Videoarbeit “Hydrophites”. Eine Meerjungfrau sitzt in silberglänzendem One-Piece am Ufer eines von Seerosen übersäten Gewässers. Sie ist nicht Tier und nicht Mensch, alles nur nicht männlich und gleichzeitig womöglich nicht weit entfernt von einem Lebewesen, das der Mensch vor tausenden von Jahren gewesen sein mag. Ebenso die Seerose, die, ohne an einem Punkt im Erdboden verankert zu sein, eine entscheidende Bedingung, als Pflanze zu gelten, ignoriert. Im Video verschwimmen Grenzen, Übergänge fließen und klirrende Töne schaffen eine Soundatmosphäre zwischen Fantasie und Realität, zwischen Wasseroberfläche und Erdboden.

open Berlin, Hydrofeminismus, Gruppenausstellung, oblivion, abundance and auqarius the age of
“Oblivion, abundance and aquarius (the age of)”, Open Berlin, Installationview, 2022. Photo: Ludger Paffrath

Mathias Gramoso verkehrt den Nutzen des Mediums Bildschirm. Zwei Monitore die schweigend eine Raumecke zieren. Sie sind einfach schwarz und legen am Rand ihre Platinen-Schichten frei. Wartend stehen Besucher*innen vor der Arbeit, doch nichts tut sich. Irgendwo sollen sich hier poetische Verse aus dem 18./19. Jahrhundert verstecken, sie zu finden ist das Ziel. Wird mit der Lampe eines Mobiltelefons hinter den Bildschirm geleuchtet, erscheinen die eingravierten Verse “Venal ocean had gone by in agony” und “Since then are alike the cold-white psalms of its ancient tint”.

Sie erinnern auf schmerzliche Weise an Vergangenes, an verletzte Natur, daran, dass die Ozeane leiden und dieser Fakt auch schon ewig bekannt ist. Es stimmt nachdenklich, im Verborgenen eines Bildschirmes, der in diesem Kontext im Grunde ein Übeltäter ist, nach Informationen zu suchen und gleichzeitig ist da der detektivische Spaß, mit dem das Handy in der Hand nach Hinweisen sucht. Es braucht Eigeninitiative, eine ins Dunkel gedrängte Wahrheit zu beleuchten. 

Eine Figur von Zoe Claire Miller kraxelt auf drei Beinen – oder sind es zwei Beine und ein Penis? – neben dem Bildschirm an der Wand. Sie lässt sich nicht aus dem Gleichgewicht bringen, trägt eine Art Taucherbrille, macht da so ihr Ding und bahnt sich ihren Weg zu Pola Sieverdings Print “Hermaphrodite #3”.

open Berlin, Hydrofeminismus, Gruppenausstellung, oblivion, abundance and auqarius the age of
“Oblivion, abundance and aquarius (the age of)”, Open Berlin, Installationview, 2022. Photo: Ludger Paffrath

Der Print zeigt eine Auster. Sie ist in schwarz-weiß auf eine glänzende Folie gedruckt, sodass sie beinahe wie eine medizinische Abbildung daherkommt. Sie erinnert an ein Körperteil im Röntgenbild, das auf eine leuchtende Fläche geklemmt wurde oder an den Screeshot eines Ultraschalls, der einen Herzschlag, pulsierende Organe oder eine Atmung beweist. Der Körper der Auster ist im Sinne des Hydrofeminismus auf vorbildliche Weise mit ihrer Umwelt, dem Wasser, in Interaktion. Es fließt täglich literweise durch sie hindurch, während sie selbst beinahe flüssig ist. Geben und Nehmen, den ganzen Tag.

Männlich geboren wechseln die meisten Austern nach ihrem ersten Lebensjahr ihr Geschlecht. Sie könnten dies, wenn sie wollten, auch mehrmals tun, aber sie bleiben dann doch ganz gerne weiblich. Wem war schon bewusst, dass die Auster ein feministisches Vorbild ist? Ein derart schillerndes Weichtier?

open Berlin, Hydrofeminismus, Gruppenausstellung, oblivion, abundance and auqarius the age of
“Oblivion, abundance and aquarius (the age of)”, Open Berlin, Installationview, 2022. Photo: Ludger Paffrath

Über der Auster fasst die Künstlerin Juliette Sturlese das Thema ganz abstrakt auf. Sie zeigt auf ihrer Leinwand zwei Körper, einen kleinen rosafarbenen und einen hellblauen. “She und her” scheinen um einander und in einer wässrigen Umgebung zu tänzeln. Sie umwerben sich, es kann auf ein Happy End gehofft werden.

Wellenartig, ohne Eile darf der Blick hier durch den Raum schweifen und die vielen wundersamen Kleinigkeiten entdecken. So wie mikroskopisch kleiner Krill den Wal ernährt, sättigen sich kunsthungrige Besucher*innen hier an gehaltvollen Details. Auf Czebatuls runden Betonplatten können Strukturen, kleine Gräben, die Phalli nachzeichnen entdeckt werden. Die Penisse sind vom Stein eingenommen, sind da, aber lange nicht so prominent, wie auf Häuser- oder Toilettenwänden.

Auf einer Ablage unter ihnen liegt Nik Nowaks “Horn 26”. Auf dem spitzzulaufenden, weißen Korpus hat sich schwarze Farbe ergossen. Wieder ein Phallus? Vielleicht auch eine überdimensionale Urinella, ein Sprachrohr, ein Trichter, es ist im Grunde egal. Die Grenzen verschwimmen, der Phallus drängt sich nicht auf – Hydrofeminismus, yeah! Spread the word!

open Berlin, Hydrofeminismus, Gruppenausstellung, oblivion, abundance and auqarius the age of
“Oblivion, abundance and aquarius (the age of)”, Open Berlin, Installationview, 2022. Photo: Ludger Paffrath

An der nächsten Wand spreizen drei „Sheela-na-gigs“ ihre Beine. Die irischen, sagenumwobenen Figuren aus dem 12. Jahrhundert demonstrierten in ihrer, im Mittelalter als hässlich empfunden, Darstellungsform die Sündhaftigkeit der weiblichen Lust, sie sollten das Böse fernhalten, heißt es. Was denn nun? Zoe Claire Millers Sheela-na-gigs aktualisieren die Sage und glänzen goldig, sie sind goldig. Nix mit sündhafter Lust, im Gegenteil: Selbstbewusste, selbstbestimmte weibliche Lust.

Wo wir schon von Selbstbewusstsein sprechen: Bimba Sjoholm, Powerboat Racing-Fahrerin. Ihr widmet sich die Videoarbeit von Simon Mullan, die im ganzen Raum akustische Wellen schlägt. Er zeigt die wohl einzige Frau an der Powerboat Racing-Spitze in voller Fahrt. Der Motor brummt, sie rauscht über das Wasser, es schüttelt sie in ihrer Wasserrakete hin und her. Sie trotzt dem Wasser ebenso, wie dem männlich dominierten Wettkampffeld. 

Einmal im Kreis, im Zyklus gegangen, haben Besucher*innen drei Stühle von David Polzin umrundet, die mitten im Raum stehend Fragen aufwerfen. Beim Lesen der geheimnisvoll betitelten Sitzgelegenheiten „Nadja Schickedanz, Wessimilierter Stuhl, 1991“, „Adolf Bergstermann, Restaurierter Stuhl, 1950“ und „Exilkollektiv, Sitzstachel, 1980“ ist die Neugierde spätestens geweckt. Wer sind diese Leute?

open Berlin, Hydrofeminismus, Gruppenausstellung, oblivion, abundance and auqarius the age of
“Oblivion, abundance and aquarius (the age of)”, Open Berlin, Installationview, 2022. Photo: Ludger Paffrath

Polzin hat fiktive Personen geschaffen, auf die er Stühle zugeschnitten hat. Sie stehen für eine fiktive Zukunft, eine Zukunft, die derartige Stühle hätte hervorbringen können, wären Nadja, Adolf oder das Exilkollektiv keine reine Fiktion. Sie lassen ihre Funktion größtenteils außer Acht, widmen sich der Optik, haben sich vom menschlichen Körper entfernt und sind Kunstobjekte geworden. So viel ist klar: Wer auch zukünftig bequem sitzen will, sollte es sich nicht zu bequem machen.

Die Ausstellung “Oblivion, Abundance and Aquarius (the age of)” bei Open Berlin ist Planschbecken, wie auch Realitätsklatsche, die einem die Spucke nimmt. In diesem Pool des künstlerischen Überflusses, lassen sich die Natur, der Mensch und ihre Übergänge erforschen. Dem Wasser Eigenschaften abgucken, anstatt die Ressource auszubeuten, das ist ein guter Plan. Grenzen aufweichen, lasst uns etwas mehr Auster sein.

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Sonntag, den 12. Juni.
WO: Open Berlin, Prinzenallee 35, 13359 Berlin.

Weitere Artikel aus Berlin