Verhext und zugeschlumpft Zoë Claire Miller und Nadira Husain in der PSM Gallery
9. November 2020 • Text von Julia Meyer-Brehm
Die PSM Gallery zeigt in der Ausstellung „Bastard Magical Pragmatism“ neue Arbeiten von Nadira Husain und Zoë Claire Miller. Das Ergebnis ist ein spielerischer Dialog beider Künstlerinnen, die sich mit Körperlichkeiten und struktureller Benachteiligung auseinandersetzen.

Kleingruppen schlumpfblauer Schildkröten empfangen die Besucher*innen im Eingangsbereich der PSM Gallery. Nadira Husain sammelt die Reptilienfiguren in allen Größen und Materialien und malt sie himmelblau an. Wer ihre Kunstwerke kauft, kriegt eines der gepanzerten Tiere geschenkt. Schlümpfe und Schildkröten lassen sich auch auf den Gemälden der Künstlerin verorten. Auf die Leinwände hat sie patchwork-artig Textilien aufgenäht, die zusammengefügten Kunstwerke wurden mit der pflanzlichen Färbetechnik Kalamkari bemalt. Dieses Layering aus Farben und Formen ergibt ein angenehmes Getöse verschiedenster Sinneseindrücke.

Obwohl Husains Werke figurative Elemente zeigen, wirken sie abstrakt: Immer wieder werden im Muster-Mix neue Dinge erkennbar. Neben tanzenden Fröschen schweben kleine Nierchen, vielleicht sind es auch Bohnen, über die Leinwand. Dazwischen wirbeln große Zellen – oder sind es Euter? – umher, in denen traurige Elefantenbabies an fleischigen Nabelschnüren hängen. Ihre Keramikvasen hat Husain mit Attributen nackter Körper ausgestattet. Insekten krabbeln über die blanken Popos und Brüste, die sich fröhlich den Betrachter*innen entgegenwölben. Verschmitzt stemmt eine der Vasen ihre Hände in die aufgeblähten Hüften. In den organisch-bunten Werken trifft Lifestyle auf Tradition und lustvoller Spieltrieb auf schmerzhafte Körperlichkeit.

Apropos Schmerz: Zoë Claire Millers Keramikfigur „The Martyrdom of St. Agnes“ (2020) steht sinnbildlich für das jahrtausendealte Leiden von Frauen. Die Legende der Heiligen Agnes, die die Künstlerin als „Schutzpatronin der MeToo-Bewegung“ bezeichnet, lässt sich ungefähr so zusammenfassen: Zwangsverlobt, vergewaltigt, als Hexe verfemt, verbrannt, hingerichtet. Ein weiteres Indiz für strukturelle Diskriminierung stellt eine Keramik in Form einer Gebärmutter dar, deren Eierstöcke zwei Waagschalen halten. Ein Symbol für den Kampf um das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper.

Im Hintergrund scheinen sich die spitzbusigen Frauen der Arbeit „A Whisper Network“ (2020) darüber austauschen, was im Ausstellungsraum vor sich geht: Eine Keramikfigur stolpert über ihren eigenen Penis, eine andere wird von der eigenen Libido aufgefressen. Im Hintergrund dampfen zwei augenförmige Diffusoren, die den Duft von Feuer und Sperma im Raum verteilen. Erste Assoziation: Verbranntes Gummi und Räucherstäbchen. Warum Feuer und Sperma? „Libidale Energie und männliche Übergriffe sind eben ein brandheißes Thema“, so Miller. Starre Penisnasengesichter beäugen kritisch die tatschende Hand, die einen blanken Po befummelt. Eines der Augenpaare linst dabei den Betrachtenden entgegen als wolle es dazu auffordern, doch endlich mal Zivilcourage zu finden und den Grabscher zu entlarven.
So widersprüchlich „Magical Pragmatism“ klingen mag, so zauberhaft ergänzen die Spielereien Husains und Millers den ernsthaften Kern der Ausstellung. Hinter einem Berg von Niedlichkeiten ist die politische Ausrichtung der Werke nicht zu übersehen. Eine künstlerische Stellungnahme, die wir aktuell dringender denn je brauchen.
WANN: Die Ausstellung „Bastard Magical Pragmatism“ von Zoë Claire Miller und Nadira Husain läuft bis Samstag, den 12. Dezember.
WO: PSM Gallery, Schöneberger Ufer 61, 10785 Berlin.