Der Körper als visuelle Strategie
Billie Clarken "Cancel the Reboot" im Dock 20

30. März 2022 • Text von

Die 2000er-Jahre feiern ihr Revival – samt ihrer kritischen Durchleuchtung. Die Solo-Ausstellung der Künstlerin Billie Clarken im Dock 20 reflektiert die prominenten Mediengesichter der 00er-Jahre, deren Inszenierungsstrategien und persönliche Verluste. (Text: Johanna Luisa Müller)

Billie Clarken: “Dead-On Display” (dt. Exakte Ansicht) UV-Druck auf Polyurethan, Schaukel lackiert, 216x218x233 cm, 2022. “Cancel the Reboot” Ausstellungsansicht, DOK20 Lustenau. Foto: Miro Kuzmanovic.

Die kanadische Kulturwissenschaftlerin Kristen Cochrane re-postete angesichts der Eröffnung von Billie Clarkens Ausstellung „Cancel the Reboot“ auf ihrem Instagram-Kanal ein Tiktok-Video. Auf diesem sah man eine Frau mit Tüten der Modemarken Abercrombie & Fitch und Victoria’s Secret einen Raum betreten, während nostalgisch die Videounterschrift aufleuchtete: „Coming home from the mall in 2006“.

Das Video könnte als Teaser für Clarkens erste institutionelle Solo-Ausstellung dienen. Die im Dock 20 im österreichischen Lustenau stattfindende Schau hat Anne Zühlke kuratiert. Sie vereint Motive aus der US-amerikanischen, global wirksamen Konsum- und Populärkultur der 2000er Jahre und kreist um Figuren des öffentlichen Lebens wie Anna Nicole Smith, Kim Kardashian, Mickey Rourke und Aaron Carter.

Billie Clarken: “You Oughta Be in Pictures”(dt. Du solltest auf Fotos sein) 52 laminierte Digitaldrucke, Siebdruck, Sperrholz, 49 x 36 cm, 2022. “Cancel the Reboot” Ausstellungsansicht, DOK20 Lustenau. Foto: Miro Kuzmanovic.

Die großflächige, aus 52 Einzelbildern bestehende Installationsarbeit „You Oughta Be in Pictures” (2022) zieht sich kachelartig über die Ausstellungswand. Die in schwarzen Rahmen eingefassten Scans stammen aus der Eigenpublikation „A & F Quarterly“ (1997-2003) der eingangs erwähnten Modekette Abercrombie & Fitch. Die Marke setzte bedruckte Einkaufstaschen und das vierteljährlich erscheinende Magazin ein, um einen für das Modelabel spezifischen Bildertypus zirkulieren zu lassen. Dieser wurde meist durch die Linse des umstrittenen Fotografen Bruce Weber eingefangen und zeichnete sich durch die Darstellung von halbnackten bis nackten, jugendlich-sportlichen Models aus, die am Strand oder im Feld, in Gruppen oder einzeln posierten. Das Publikationsformat „A & F Quarterly“ wurde von besorgten Eltern, fundamentalistischen Christ*innen, aber auch von Feminist*innen für Sexualisierung und Rassifizierung kritisiert.

Billie Clarken: “Suspension of Disbelief”(dt. Willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit) UV-Druck auf PVC, Sperrholz, 196 x 455 x 50 cm, 2022. “Cancel the Reboot” Ausstellungsansicht, DOK20 Lustenau. Foto: Miro Kuzmanovic.

Die kontroversen Fotografien greift Clarken für „You Oughta Be in Pictures“ auf und überzieht diese mit einem Material, das von Rubbellosen bekannt ist: Fährt man mit einer Münze über die Oberfläche schält diese sich ab und die bunten Körper der Models kommen zum Vorschein. Der Rubbellos-Effekt referiert nicht nur auf das Glücksversprechen des American Dream, sondern führt auch zu einem geschickten Spiel von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. So zeigen die „Scratch-Offs“ nicht den ganzen Bildinhalt. Manche Stellen lässt Clarken bewusst unsichtbar, sodass die Bilder der jüngsten Vergangenheit nur schemenhaft wiederauftauchen.

Billie Clarken: Links: “Lifetime Supply” (dt. Anspruch auf Lebenszeit) UV-Druck auf Wabenplatte, 180 x 130 x 1 cm, 2022. Rechts: “Trap Door #2 (In the Memory of Others)” (dt. Falltür #2 (Im Gedenken an Andere) Kühlschranktür, UV-Print, Fundobjekte, 74,5 x 49,5 x 5,5 cm, 2021. “Cancel the Reboot” Ausstellungsansicht, DOK20 Lustenau. Foto: Miro Kuzmanovic.

In „Suspension of Disbelief“ (2022) setzt eine künstliche Hecke die Sichtbarkeits-Unsichtbarkeits-Barriere fort. Das gewaltige Strauchwerk steht in Städten wie Lustenau für das bürgerliche Bedürfnis, die Grenzen des Eigenheims vor ungewollten Blicken zu schützen. Es trennt den Ausstellungsraum derart ab, dass ein Hindurchblicken nicht möglich ist. Erst nach dem Herumgehen werden hinter „Suspension of Disbelief“ weitere Kunstwerke sichtbar, die teilweise auf den Privathaushalt referieren und die Assoziationen der bürgerlichen Privatheit aufgreifen. So besteht die Serie „Trap Doors“ (2021) aus Kühlschranktüren, die teilweise mit bunten Aufklebern und Magneten bestückt oder bedruckt sind.

Billie Clarken: “Dead-On Display” (dt. Exakte Ansicht) UV-Druck auf Polyurethan, Schaukel lackiert, 216x218x233 cm, 2022. “Cancel the Reboot” Ausstellungsansicht, DOK20 Lustenau. Foto: Miro Kuzmanovic.

In „Dead-On Display“ (2022) wird eine gealterte Kinderschaukel zum Träger eines bedruckten Schaumstoffes umfunktioniert. Den rosa eingefärbten Kunststoff ziert das Bild Anna Nicole Smiths, die gemeinsam mit Persönlichkeiten wie Paris Hilton auf den Titelseiten der Klatschmagazine der 2000er Jahre abgelichtet war. Smith, die 2007 an einer Überdosis Medikamente verstarb, nutzte seit Beginn ihrer Karriere in den 1990er-Jahren die öffentlichen Medien für ihre Selbstinszenierung. Die Skandalisierung ihres Liebeslebens, der Medikamentenmissbrauch sowie berufliche Fehlentscheidungen wurden von der medialen Berichterstattung ausgeschlachtet, von Smith aber auch bewusst zur Vermarktung ihrer fingierten Persönlichkeit eingesetzt.

Billie Clarken: “Cancel the Reboot”

Die Ambivalenz von öffentlichen Figuren wie Anna Nicole Smith wird in „Dead-On Display“ anschaulich untersucht. Denn einerseits wurde deren Subjektivität von global zirkulierenden Bildern formiert. Die Abgründe dieser Formation deutet Clarken auf der Rückseite der Installation an, indem sie den Schaumstoff mit zwei erlegten Rehen bedrucken ließ. Andererseits waren die It-Girls der 2000er-Jahre nicht nur die Opferlämmer einer medial angetriebenen Ausschlachtung des Privaten. Vielmehr setzten sie die Bildmedien gezielt ein. Dies beschrieb der queer-feministische Philosoph Paul B. Preciado 2001 anerkennend als geschickte Selbstvermarktung, die auf die Wirksamkeit von Pornografie sowie auf global versendbare Bilder reagiere: „Ihr Erfolg beruht auf dem Wissen um den eigenen Körper und seine Sexualität als ultimativen Wert des globalen Tauschmarkts im pharmapornographischen Kapitalismus.“

Clarken führt in „Cancel the Reboot“ die Wirkungsweisen dieses 2000er-Jahre-Kapitalismus in unterschiedlichen Weisen vor. Dem Ruhm und Glamour dieser Zeit folgt im Gleichschritt ihre Schattenseite. Die ausblutenden Rehe deuten den Schmerz und die Deformation einer öffentlich inszenierten Persönlichkeit an, was in „Reward Me For My Suffering“ (2022) noch gesteigert wird. Während wir einen gealterten und finanziell ruinierten Wrestler, verkörpert vom Schauspieler Mickey Rourke, in sein Verderben springen sehen, hat Clarken den weichen, beinah körperlichen Schaumstoff mit Versatzstücken eines Gartenzauns – erneut die bürgerliche Abgrenzung – durchbohren lassen.

Billie Clarken: “Reward Me For My Suffering” (dt. Belohne mich für mein Leiden) UV-Druck auf Polyurethan, Stahl, 100 x 200 x 50 cm, 2022. “Cancel the Reboot” Ausstellungsansicht, DOK20 Lustenau. Foto: Miro Kuzmanovic.

Zwischen den Persönlichkeiten Mickey Rourke, Anna Nicole Smith und den Models von Abercrombie & Fitch entsteht in „Cancel the Reboot“ ein spannungsreiches Beziehungsgeflecht, das Strukturmomente der visuellen Kultur der vergangenen 20 Jahre beschreibt: Die Inszenierung von Schönheit und Entertainment, die Vergänglichkeit von Ruhm, das Streben nach Aufstieg und Erfolg, das einsame Scheitern. Mit „Cancel the Reboot“ zeigt Clarken, dass die medialen Wirkungsweisen der 2000er-Jahre – im Guten wie im Schlechten – noch heute wirksam sind.

WANN: Die Ausstellung “Cancel the Reboot” von Billie Clarken läuft bis zum 14. Mai.
WO: Dock 20, Lustenau, Österreich