Dunkle Vorahnung im Rosengarten
Galerie Wentrup zeigt Sophie von Hellermann

1. August 2022 • Text von

Im brandenburgischen Schloss Freienwalde erinnern Sophie von Hellermanns raumfüllende Wandmalereien an den ehemaligen Besitzer Walther Rathenau. Die Berliner Galerie Wentrup zeigt nun Gemälde, die zeitgleich entstanden sind und ebenfalls vom Leben des Industriellen erzählen. Das Ergebnis ist ebenso politisch wie emotional.

Ein Gemälde zeigt den Politiker Walther Rathenau mit ausgebreiteten Armen vor Schloss Freienwalde.
Sophie von Hellermann, Schloss Freienwalde, 2022. Courtesy the artist and Wentrup, Berlin. Photo: Matthias Kolb.

Mit weit ausgebreiteten Armen empfängt Walther Rathenau die Welt auf Schloss Freienwalde. Die Szenerie, die Sophie von Hellermann auf Leinwand gemalt hat, zeigt ihn vor seinem Rückzugsort im Nord-Osten von Berlin. Die offene Körpersprache des liberalen Politikers, Schriftstellers und Industriellen, der 1922 zum bisher einzigen jüdisch-deutschen Außenminister ernannt wurde, steht symbolisch für sein Wirken in einer Zeit, in der rechtsextreme Kräfte die noch junge Weimarer Republik mit aller Kraft destabilisieren wollten. Die Ausstellung „Von kommenden Dingen“ in der Berliner Galerie Wentrup präsentiert Gemälde von Sophie von Hellermann, die an das Leben Walther Rathenaus erinnern.

Ein leerer Raum eines Schlosses ist komplett mit Rosen bemalt, die sich über Wände und Decke ziehen.
Sophie von Hellermann, Ansicht der malerischen Intervention im Schloss Freienwalde. Courtesy the artist and Wentrup, Berlin. Photo: Matthias Kolb.

Anlässlich des 100-jährigen Todestags des Politikers ist die Künstlerin eingeladen worden, die Räume im Erdgeschoss von Schloss Freienwalde zu gestalten. Inspiration für die Intervention waren historische Aufnahmen des hoheitsvollen Landsitzes. Schloss Freienwalde wurde ursprünglich als Sommerresidenz der preußischen Königin Friederike Luise erbaut, die dort außerdem ein Teehaus errichtet und das ein oder andere Moorbad genossen hat. 1909 kaufte Walther Rathenau das Schloss samt Gartenanlage und ließ es im klassizistischen Stil des ursprünglichen Zustands restaurieren.

Die Gemälde, die nun in der Galerie Wentrup zu sehen sind, hat Sophie von Hellermann während ihrer Arbeit im Schloss angefertigt. Sie behandeln Szenen aus Rathenaus Leben sowie ihre eigenen Gedanken zur Zeit. Weinende Soldaten, die vom Krieg traumatisiert sind, stehen dem enthusiastischen Rathenau gegenüber. An anderer Stelle überreicht er Königin Friederike Luise in der Rolle des Rosenkavaliers eine Blume aus ihrem eigenen Garten. Wieder woanders sieht man ihn mit seinem Freund Albert Einstein, der Rathenau einst besucht und vor einem Amtsantritt gewarnt hat: Zu aufgeheizt schien ihm die politische Lage. Eine Chronologie in der Abfolge der Bilder gibt es nicht, sagt die Künstlerin, alles geschieht gleichzeitig.

An der Wand der Galerie Wentrup hängen zwei großformatige Malereien, die Szenen aus dem Leben von Walther Rathenau zeigen.
Sophie von Hellermann, Von kommenden Dingen, Ausstellungsansicht. Courtesy the artist and Wentrup, Berlin. Photo: Matthias Kolb.

Während von Hellermann malt, liegen die ungrundierten Leinwände auf dem Boden. Die dicken Pinselstriche verweisen auf die schnelle und dynamische Arbeitsweise der Künstlerin. Motivisch sind deutlich die Gedanken und Assoziationen zu erkennen, die von Hellermann mit Walther Rathenau verbindet: Grelle Blitze, tanzende Figuren oder verschwommene Linien deuten an, dass Unheil bevorsteht, Zeit vergeht oder Dinge im Unklaren sind. Eine Grundfarbe bestimmt die jeweilige Atmosphäre des Gemäldes. Von Hellermann setzt außerdem viele Akzente, zum Beispiel immer wieder das Preußisch Blau, das an die Farbe ehemaliger Militär-Uniformen erinnert. Es ist die Lieblingsfarbe der Künstlerin, erzählt sie.

An der Wand der Galerie Wentrup hängen drei großformatige Malereien, die Szenen aus dem Leben von Walther Rathenau zeigen.
Sophie von Hellermann, Von kommenden Dingen, Ausstellungsansicht. Courtesy the artist and Wentrup, Berlin. Photo: Matthias Kolb.

Den Titel „Von kommenden Dingen“ hat die Künstlerin von Walther Rathenau übernommen, der sein 1917 veröffentlichtes Buch gleichermaßen benannt hatte. Da stellt sich die Frage: Was kommt denn nun? Rathenau selbst schrieb vor über 100 Jahren seine Gedanken zur Zukunft von Kapitalismus, Krieg und Mechanisierung nieder. Und er prophezeite, dass Imperialismus und Nationalismus nach dem Krieg erst ihren Höhepunkt erreichen würden.

Bei Wentrup schwebt außerdem das jähe Ende des Politikers unheilvoll über den Besucher*innen: Die liberale Politik Rathenaus stieß in der jungen Weimarer Republik auf harte Widerstände. Die nationalsozialistische Presse rief offen zur Ermordung „des Juden Rathenau“ auf. Am 24. Juni 1922 wurde er von rechtsextremen Attentätern auf offener Straße umgebracht.

Ein Gemälde zeigt den Politiker Walther Rathenau und ein Reh vor Bad Freienwalde.
Sophie von Hellermann, Deer Life, 2022. Courtesy the artist and Wentrup, Berlin. Photo: Matthias Kolb.

Sophie von Hellermanns Arbeit stellt nicht nur ein Gedenken an Walther Rathenau dar, sie verdeutlicht auch Bezüge zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Dass Attentate auf Politiker*innen kein Phänomen vergangener Jahrhunderte sind, ist spätestens seit den Anschlägen auf Henriette Reker oder Walter Lübcke deutlich geworden.

Mit dem Gemälde „Deer Life“, auf dem Rathenau nebst Rotwild zu sehen ist, zeigt die Künstlerin, dass auf den Außenminister Jagd gemacht wurde wie auf einen Hirsch. In nahezu märchenhafter Eintracht blicken Tier und Mensch auf Bad Freienwalde. Dieser spannende Kontrast zum bewegten Leben des Politikers ist auch in den idyllischen ortsspezifischen Malereien der Künstlerin zu beobachten. Die Ausstellung in der Galerie Wentrup macht neugierig, einen Ausflug ins Berliner Umland zu unternehmen und dort auf den Spuren der Vergangenheit zu wandeln.

WANN: Die Ausstellung „Von kommenden Dingen“ läuft noch bis 3. September.
WO: Galerie Wentrup, Knesebeckstraße 95, 10623 Berlin.

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