Freude in Zeiten von Pandemie und Krieg?
"Happiness Is a State of Mind" in der Kunsthalle Düsseldorf

14. April 2022 • Text von

Happiness Is a State of Mind” ist ein Titel, der bereits im Vorfeld für Entrüstung sorgte. Es ist der Titel einer Ende März zur Unzeit eröffneten Ausstellung in der Kunsthalle Düsseldorf. Lange zuvor geplant, musste sich die Kunsthalle für die Gruppenpräsentation zum Thema Freude angesichts einer sich dramatisch zuspitzenden Lage in der Ukraine rechtfertigen. Ein Fest der Freude in Zeiten von Pandemie und Krieg. Geht das?

Installationsansicht Kunsthalle Düsseldorf mit Arbeiten von Christoph Schellberg (links), Dietmar Lutz (oben), Martin Pfeifle (Mitte) und Tatjana Valsang (rechts), Foto: Katja Illner.

Drei farbige Kuben stehen durch weiße Lamellen von der Außenwelt abgetrennt im großen Kinosaal der Kunsthalle Düsseldorf. Langsam schiebt sich eine Hand durch die Flatterbänder der PVC-Plane, tritt ein Mensch von außen in die labyrinthisch anmutende Innenwelt. Mit sich nun allein ist er umgeben von Farbe, von Magenta, Cyan und Gelb. Die geometrisch verschachtelten Räume sind eng, werden zur Mitte hin sogar noch enger, wenn plötzlich jede der Wände eine andere Farbe trägt. Im Innern gleicht das Raumgefühl einer nach oben hin offenen Isolation, aus den letzten zwei Jahren zu gut nur bekannt, ist das farbige Refugium mit Ausblick zugleich Gefängnis und Rückzugsort. Zwischen den Wänden fühlt es sich an, als wäre der Kopf tief unter der Decke vergraben, unter der es ganz warm und geborgen ist. Nicht hermetisch abgeschlossen, fällt jedoch Tageslicht vom Außen ins Innen, ist der Körper bedeckt von einem aus hellen Punkten gemusterten Teppich aus Licht. Die ineinander verschachtelten Räume von Künstler Martin Pfeifle sind ursprünglich als Installationen inmitten von Natur gedacht. In ihrer Gesamtheit als Ensemble erst von der Empore aus vollends ersichtlich, werden sie nun zum ersten Mal im Innenraum erlebbar gemacht.

Installationsansicht Kunsthalle Düsseldorf mit Arbeiten von Christoph Schellberg (links), Dietmar Lutz (oben), Martin Pfeifle (Mitte) und Tatjana Valsang (rechts), Foto: Katja Illner.

Umgeben ist das kubische Labyrinth von kleinformatigen Bildern, abstrakten Malereien des Künstlers Christoph Schellberg. Farbige Schlieren wandern wie zufällig ins Blickfeld, wirken wie im Vorübergleiten erfasst. Sie gleichen dem Blick aus dem Fenster eines fahrenden Zugs, von dem aus die Welt vor den Augen in einzelne Farben zerfließt. Silhouetten ferner Landschaften sind als schwebende Bildkörper durchscheinend wie lang nicht mehr ins Gedächtnis gerufene Erinnerungen, flüchtige Bewegungen aus vergangener Zeit. Darüber umspannt eine Reihe sattbunter Alltäglichkeiten wie eine Bordüre den Kinosaal. Die darauf befindlichen Menschen drohen sich in abstrahierte Formen aufzulösen, sind im kleinbürgerlichen Leben gefangen und gleichzeitig frei. Es sind gemalte Tagebucheinträge von Dietmar Lutz aus der Zeit des Lockdowns. Sie erzählen von zehn Tagen im Oktober 2020 und sind zugleich Stimmungsbilder eines ganzen Jahres.

v.l.n.r. Jan Albers, grEEnlantErn, 2020, Sprühfarbe & Polymergips auf Polystyrol und non-wood, Acrylglashaube / Spray paint & polymer plaster on polystyrene and non-wood, acrylic glass cover, Leihgabe / Loan: Sammlung Philara; Jörn Stoya, The Way We Fall, Recall, 2020, Pigment auf Nessel / Pigment on nettle; The Way We Fall, Hallucinations, 2019/20, Pigment auf Nessel / Pigment on nettle, Foto: Katja Illner.

Ein großer, weit aufgerissener Glaskörper, eine Kugel, in der sich die Zukunft spiegelt, welche die Welt auf den Kopf stellt und umgekehrt belässt. Eingeschlossene Menschen und Dinge, die darin wie Eintrübungen erkennbar sind. Darunter im sumpfigen Nebel einer dystopischen Welt tanzen Figuren unter dem Banner der düsteren Wirklichkeit. Hedda Schattanik und Roman Szczesny sind bekannt für ihre gemeinsam erstellten Videoinstallationen, computergenerierten Collagen und Malereien. In einer Kombination aus Zeichnung und digital bearbeiteter, eigentlich analoger Werke spiegelt “Auf dem Weg zum Flughafen” die Widersprüchlichkeiten der menschlichen Existenz. Denn erst im Hadern, im Zweifel, in der Unzufriedenheit, wird Glück als solches erkennbar. Nur aus dem Schatten hebt sich das Licht.

Installationsansicht Kunsthalle Düsseldorf mit Arbeiten von Jörn Stoya (links), Jan Albers (Mitte) und Vivian Greven (rechts), Foto: Katja Illner.

Zum Emporensaal aufgestiegen, versperren leicht versetzte Stellwände die Sicht, geben zugleich illusionistische Einblicke ins Innere einer schwarz-weißen Ausstellungssituation. Manche der Werke an den Wänden wachsen jedoch als Reliefplastiken von der Fläche in den Raum, sind geätzte, gefräste, perforierte und sezierte Bruchstellen aus Re- und Dekonstruktion. In Jan Albers Mondlandschaften manifestiert sich im Moment der Zerstörung auf bunt besprühten Feldern, im Wechselspiel konkav und konvex, die als Geographie der Farbe lesbar sind, die Dualität aller Existenz. Mit den Augen lassen sich aus farbigem Steinbruch geschlagene Wege begehen, lässt sich in tiefe Gräben stürzen, auf gebrochene Berge steigen und in der Felsenlandschaft umherwandern bis der Blick darin verschollen geht.

Jörn Stoya, v.l.n.r. The Way We Fall, Recall, 2020, Pigment auf Nessel / Pigment on nettle; The Way We Fall, Hallucinations, 2019/20, Pigment auf Nessel / Pigment on nettle; The Way We Fall, Echo Chamber (Rework), 2020, Pigment auf Nessel / Pigment on nettle, Courtesy: der Künstler / the artist & Petra Rinck Galerie, Foto: Katja Illner.

Dahinter heben sich aus dunklen Grund lichte Tableaus von leuchtender Farbe, die sich als bunte Blöcke vor das erschöpfte Auge schieben, sich überlappen und gegenseitig verstärken. Die Serie “The Way We Fall” setzt sich zusammen aus reinen Farbpigmenten, vom Künstler mit den Händen und einem Staubsauger als Pinsel auf die Leinwand aufgebracht. Es ergibt sich ein Rhythmus aus angedeuteten Formen, die sich in Unbestimmtheit zu verlieren drohen. Stoya versteht Farbe als Widerstand und diesen als Verbesserung der bestehenden Welt. Denn Farbe ist Freude, Erholung und Hort unerschöpflicher Kraft.

Vivian Greven, links: )( X, 2021, Öl und Acryl auf Leinwand / Oil and acrylic paint on canvas Leihgabe / Loan: Sammlung Dr. Benedikt Reising, Düsseldorf; rechts: Unda IV, 2021, Öl und Acryl auf Leinwand / Oil and acrylic paint on canvas, Leihgabe / Loan: Privatsammlung / Private Collection, Düsseldorf, Foto: Katja Illner.

Unweit finden sich bei Vivian Greven zwei Menschen, die sich nah sind und dann wieder nicht. Eingefroren in einem Augenblick, in dem sie miteinander denselben Atem teilen, beinah eins sind und sich dann verlieren, die Distanz größer ist als je zuvor. Die Luft, die sie vormals teilten, zur Mauer nun geworden ist, als unsichtbare Gefahr zwischen ihnen steht, greifbar nur als plötzliche Distanz. Zwei Münder, zwei Gesichter auf der Suche nach dem utopischem Zustand des Glücks, vereint in tiefer Intimität bis sie sich voneinander entfernen, fortdriften, nur durch einander beweinende Tränen, wie dünne Fäden, miteinander verbunden sind.

Installationsansicht Kunsthalle Düsseldorf mit Arbeiten von Christoph Schellberg (links), Dietmar Lutz (oben), Martin Pfeifle (Mitte) und Tatjana Valsang (rechts), Foto: Katja Illner.

Zusammen im Freien, im Grünen sitzen. Wer wünscht sich das nicht? Ein Bild naturbelassener Idylle von Dietmar Lutz begrüßt die Besuchenden in der Kunsthalle Düsseldorf, wirkt wie ein altes Familienfoto aus vergangener Zeit. Ursprünglich sollte es das Plakat zur Ausstellung zieren, die Gruppenschau nach außen hin repräsentieren. Es ist das Symbolbild Direktor Gregor Jansens ursprünglicher Intention, die Corona-Tristesse der letzten zwei Jahre zu durchbrechen. Mit der Eröffnung während des Angriffskriegs in der Ukraine wechselte die Ausstellung jedoch plötzlich zum vermeintlich zynischen Kommentar einer realitätsfernen Kunstwelt. Die Schau wurde zwar nicht gestrichen, aber der Titel durchgestrichen und das große Plakat von Dietmar Lutz an der Fassade abgehängt. Allein der durchgestrichene Ausstellungstitel ziert nun die leere Außenwand. Er steht unmittelbar gegenüber des in großen Lettern auf der Fassade der Kunstsammlung prangenden “Stop War!”.

Installationsansicht der Spendenaktion zu Gunsten der Ukraine. Im Bild v.l.n.r. Arbeiten von Vivian Greven, Erika Hock, Dietmar Lutz und André Niebuhr, Foto: Katja Illner.

Farbspiele von Laura Aberham muten am Eingang zum Kinosaal wie metallische Windungen an, entfalten – ähnlich der Ausstellung an sich – einen Strudel, in den sich Besuchende hineinbegeben, abtauchen in einen Sog aus Farbe und Form. Die illustre Schau stellt sich der Düsternis entgegen, zeigt bunte Werke einer ebenso bunt gemischten Gruppe von mit Düsseldorf verbundenen Kunstschaffenden und wird von einer Spendenaktion begleitet. Aus dem Kontext des Kriegs entnommen, wäre die Ausstellung ein lang vermisster Lichtpunkt in einer dunklen Zeit, eine Feier von Farbe, Form und der Freiheit der Kunst. Auch im Bezug auf Corona wäre sie nicht spöttischer Kommentar zu einer für viele Menschen tödlich endenden Pandemie gewesen, sondern ein Ort, um sich eine Auszeit vom Weltgeschehen zu nehmen und neue Kraft in der Kunst zu sammeln.

Erika Hock, Untitled, 2020, Bedruckte Fäden, Metall, pulverbeschichtet, Holz / Printed threads, metal, powdercoated, wood, Courtesy: COSAR, Foto: Katja Illner.

Die Ausstellung stellt ungewollt eine grundsätzliche Frage: Besteht ein Recht auf Glück auch in dunklen Zeiten? Eine Frage, die sich bejahen lässt, zumal sich das Werk erst in den Betrachtenden komplettiert. Und wer genau hinschaut, sieht nicht nur Freude in Farbe und Form, sondern auch Zerstörung in Jan Albers Reliefs oder Dystopie bei Hedda Schattanik und Roman Szczesny. Denn nichts ist nur innen, nichts ist nur außen in der Kunsthalle Düsseldorf. Nur durch dünne Fadenarchitekturen von Erika Hock, weiße Lamellen getrennt, lässt sich jederzeit hindurchgehen, fällt Dunkelheit von außen hinein, dringt umgekehrt Licht hinter dem Vorhang hervor.

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Sonntag, den 22. Mai. 
WO: Kunsthalle Düsseldorf, Grabbeplatz 4, 40213 Düsseldorf.

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