Wem gehört Deutschland?
Alex Wissel im NRW-Forum

20. Juni 2022 • Text von

Was zeichnet das Land der Dichter und Denker aus? Currywurst, Raufasertapete und Beamtentum? Klingt banal, doch in den Zwischenräumen tun sich ideologische Untiefen auf, wachsen braune Pestbeulen aus den Wänden und überwuchern unbeachtet Denkmale. Landsberg-Preisträger Alex Wissel sucht im Düsseldorfer NRW-Forum zwischen Playmobil-Dürer und Schlagstock-Germania Antworten auf die drängenden politischen wie gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit.

Landsbergpreis 2021: Alex Wissel – “das Zutrinken”, Rauminstallation, Foto: Anne Orthen.

Dicke Pestbeulen wabern als weiß-bräunliche Auswüchse über die Wände des NRW-Forums. Die wulstigen Verwachsungen stören den White Cube, ziehen sich bis über die temporäre Stellwand in der Mitte des Ausstellungsraums. Sie umringen ganz unterschiedlich geartete Zeichnungen, Lithografien oder Plastiken, breiten sich in den unbesetzten Zwischenräumen aus, bis sie nicht länger ignoriert werden können. Ist die Krankheit schon zu weit fortgeschritten für eine vollständige Heilung?

Die kulissenartige Architektur im Zentrum gibt wie eine Bühne Sichtachsen frei, setzt gezielt Blickpunkte. Was aber steht im Fokus der Betrachtung? An einer der Wände ist es ein Triptychon aus drei in je vier bunte Rechtecke eingeteilten Zeichnungen auf Raufasertapete. Dürer in Form einer Playmobil-Figur malt sein berühmtes Selbstporträt neben einem zum Schwan gefalteten 20-Euro-Schein. Unter dem aufgehenden Stern einer 10-Euro-Banknote umarmen sich zwei personifizierte Kartoffeln über einer transluziden Currywurst. Ein Roboterhund mit Polizei-Aufschrift vollendet den Dreiklang, scheint schräg am Bildrand hochzulaufen und vor einer ebenfalls aus einem Schein gefalteten Katze zu fliehen. Absurde Szenen auf einem Grund, dessen farbliche Gestaltung an die deutsche Flagge erinnert, aber grell wie Textmarker leuchtet.

Landsbergpreis 2021: Alex Wissel – “das Zutrinken”, Ausstellungsansicht, Foto: Anne Orthen.

Schräg gegenüber prangt dunkel ein Schlagstock vor der umgekehrten Figur des Detmolder Hermannsdenkmals, scheinen die Pestbeulen sich von allen Seiten langsam ins Bild zu schieben. Davor ruhen auf Plexiglas Attrappen von Lebensmitteln, die vornehmlich auf Autobahnraststätten zur Veranschaulichung des ausgeklügelten kulinarischen Angebots dienen. Ist all das typisch deutsch? Dürer, Currywurst, Playmobil, Origami, Geldscheine und Polizeiüberwachung? All das sind Bestandteile der deutschen Identität, einer ursprünglich aus Beamtentum und Militär entstandenen Nation. Was aber erwächst aus diesem Konglomerat aus sich heimisch anfühlenden Dingen?

Diffus sind die Wurzeln, die unter den Plastik-Pommes wie Algen aus Relikten wachsen, keineswegs fest verankert sind, sondern frei in der Luft schweben. Über allem scheint die deutsche Vergangenheit wie ein Schatten zu liegen, wuchert die deutsche Geschichte wie Pestbeulen auf dem stark belasteten Nationalgefühl und breiten sich die Geschwüre weiter aus, wenn Rechtsextreme Denkmale als Kulisse für Propagandaveranstaltungen nutzen, Kulturgeschichte für sich vereinnahmen.

Alex Wissel, Speibecken, 2019, Mixed Media, 160 x 80 x 45 cm, Künstler und Galerie Nagel Draxler, Köln, Berlin, München, Foto: Julien Gremaud. // Bardtenschlager nach Adolf Schrödter, Rheinwein, aus: Die vier Hauptgetränke, um 1860, Farblithografie, 43,4 x 32 cm, Kunstpalast, Düsseldorf, © Kunstpalast, Düsseldorf, Foto: Kunstpalast, Meik Andrysiak.

Der Titel der Schau anlässlich der Verleihung des Landsberg-Preises an den in Düsseldorf lebenden Künstler Alex Wissel bedient sich mit “das Zutrinken” einem etwas in Vergessenheit geratenen sprachlichen Ausdruck. Passend dazu findet sich in der Ausstellung ein sogenanntes Speibecken. Dabei handelt es sich um eine sanitäre Anlage mit abgerundeten Ecken und an der Wand befestigten Metallgriffen. Derartige Waschbecken sind vor allem in Verbindungshäusern von Burschenschaften, dort als “Pabst” bekannt, verbreitet und zuweilen auch in deutschen Kneipen auffindbar. Hier kann sich bei übermäßigem Alkoholkonsum erbrochen werden, um gleich darauf dem nächsten Bier zu frönen. Strengen hierarchischen Strukturen unterworfen, sind Burschenschaften auch heute noch Vereinigungen mit zweifelhaftem Frauenbild und Beziehungen in höchste politische wie wirtschaftliche Ämter. Derartig veraltete Strukturen bieten einen idealen Nährboden für eine ideologische wie personelle Infiltrierung durch Rechtsextreme. Angesichts rechter Seilschaften und einer Mentalität des Konsums bis zum Erbrechen möchte man selbst das Speibecken in Gebrauch nehmen.

Carl Gehrts, Figurenstudie zum Gastmahl des Gero, 1879, Bleistift, 35 x 48,5 cm, Kunstpalast, Düsseldorf, © Kunstpalast, Düsseldorf, Foto: Kunstpalast, Horst Kolberg.

Ausgehend von Künstlerfesten im 19. und frühen 20. Jahrhundert beleuchtet der mittlerweile auch am Theater tätige Künstler Alex Wissel mit einem feinen Gespür für hintergründigen Humor kritisch gängige Bräuche und Formen nationaler Identitätsbildung. Kostümfeste in Künstlervereinen, wie beispielsweise 1877 im Düsseldorfer Malkasten, waren spielerischer Ausdruck des damals aufkeimenden Nationalstolzes, der die Festtagsgesellschaft zur performativen Aufführung historischer Ereignisse in Form von “Tableaux vivants” inspirierte. In Düsseldorf feierte der Kaiser gemeinsam mit der anwesenden Künstlerschaft die Geburt der deutschen Nation in einem zweitägigen rauschenden Fest, welches in eine Fahrt den Rhein hinauf mündete und in der Grundsteinlegung des Niederwalddenkmals kulminierte.

Inspiriert wurde Wissel dabei von einem mittlerweile zerstörten, vormals im Düsseldorfer Ratssaal befindlichen Wandgemälde von Künstler Fritz Neuhaus. Eng also ist die Ausstellung mit der Stadtgeschichte verbunden. Denn zusätzlich schöpfte Wissel aus dem Fundus der Grafischen Sammlung des Museum Kunstpalast, aus welcher er ausgewählte Arbeiten collagenartig in die Ausstellung integriert. Aber auch aus seinem eigenen Werkschaffen bedient der Künstler sich, übernimmt und entwickelt weiter, wenn die Pestbeulen im zeitlichen Verlauf über Ausstellungen hinweg immer mehr an Masse zunehmen.

Schroedter, Adolf, Mephistopheles in Auerbachs Keller zu Goethes Faust (unvollendet), nach 1848, 90,2 x 119,5 cm, Kunstpalast, Düsseldorf, © Kunstpalast, Düsseldorf, Foto: Horst Kolberg – ARTOTHEK.

Von den Anfängen des in verheerende Weltkriege mündenden Nationalstolzes bis zum jährlichen Kyffhäusertreffen des rechtsnationalen Flügels der AfD rund um Björn Höcke am Barbarossadenkmal reicht Wissels Narrativ. Wem also gehört Deutschland? Wie können wir es in einer modernen, offenen und multikulturellen Gesellschaft zulassen, dass Rechtsextreme deutsche Kulturgeschichte okkupieren und Denkmale als Kulisse ihrer menschenfeindlichen Ideologie nutzen? Ist es angesichts der dunklen deutschen Geschichte nicht unsere Pflicht, die braunen Pestbeulen zurückzudrängen? Oder ist es schon zu spät, wenn wieder Nazis im Bundestag sitzen?

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Sonntag, den 17. Juli.
WONRW-Forum Düsseldorf, Ehrenhof 2, 40479 Düsseldorf.

Wenn ihr mehr über Alex Wissel erfahren wollt, findet ihr hier eine Besprechung seiner Ausstellung in der Hamburger Galerie Conradi von Autorin Ronja Lotz.

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