Höllenritt im Zuckerrausch LuYang in der Kunsthalle Basel
6. Februar 2023 • Text von Katrin Krumm
LuYang mixt seine multimedialen Arbeiten in techno-alchemistischer Manier. Er verbindet darin traditionelle indonesische Tanzrituale mit digitalen Technologien, sakrale Ikonografie mit Anime-Ästhetik und Videospiele mit Neurowissenschaften. In philosophischen, spirituellen und medizinischen Überlegungen erkunden die Arbeiten die Grenzen des menschlichen Körpers. In der Kunsthalle Basel eröffnet sich LuYangs virtuelles Universum.
Anfang August 1945 zerstörten “Little Boy” und “Fat Man” Hiroshima und Nagasaki. Eine Zäsur, auf die auch die japanische Kulturbranche reagierte. In den nachfolgenden Jahren entstanden zwei gegensätzliche Phänomene. Zum einen konnte die immer wiederkehrende Analogie einer “alles zerstörenden Kraft”, die sich in übermächtigen Feinden manifestiert, beobachtet werden. Ein berühmtes Beispiel ist die Filmreihe “Godzilla”, in der Riesenmonster große Städte zerstören und gegeneinander kämpfen. Zum anderen eine überspitzte Form der “Niedlichkeit”, die insbesondere in der Darstellung von kindlichen Frauenfiguren populär wurde und sich bis heute in der japanischen Konsumkultur widerspiegelt.
In den Medien von Animation und Comic hat die japanische Kulturproduktion eine globale Vorreiterrolle eingenommen. Durch eine engagierte und aktive Fankultur in den letzten beiden Generationen konnte so ein internationaler Zugang geschaffen werden, der insbesondere durch seine digitale Verfügbarkeit geprägt ist.
In seinem Werk bedient sich der in Shanghai geborene Künstler LuYang spielerisch, gleichzeitig jedoch in überfordernd hoher Geschwindigkeit Referenzen aus japanischer Science-Fiction und Anime-Subkultur. Auf ähnlich fließender Weise wechselt der Künstler seine Geschlechtsidentität – so kann man mit jeder neuen Ausstellung oder Interview einem anderen Personalpronomen begegnen.
Das Werk des kürzlich von dem Preis der Deutschen Bank gekrönten “Artist of the Year” umfasst Animationsfilme, VR-Projekte, Computerspiele, Installationen und Motion-Capture-Performances und lädt Betrachtende ein in eine Erkundungstour durch seine von Göttern, Dämonen, Cyborgs und KI bevölkerten Welten.
Zu Beginn werden in LuYangs hypnotisch-bunter Videoarbeit “Material World Knight” vier futuristisch-aussehende Charaktere vorgestellt, die Anime-Superheld*innen sein könnten: ein Cyborg, ein Roboter, eine KI und ein menschlicher Klon. Unterlegt von ausgelassenem J-Pop, dem japanischen K-Pop-Äquivalent, sehen wir aufwändig animierte Transformationsszenen, die aus dem beliebten Magical-Girl-Anime “Sailor Moon” stammen könnten. In schnell geschnittenen Close-Up Sequenzen werden dort vor visuell überladenden, zweidimensional wirkenden Hintergründen die detaillierten Verwandlungen ihrer Körper gezeigt, die in einer Art Helden-Pose enden. In einer Miniaturversion der Stadt Tokio treten sich die Charaktere anschließend in einem Kampf der körperlichen Überlegenheit entgegen.
Für “Material World Knight” hat LuYang mit einem Produktionsstudio zusammengearbeitet, welches ihm die Miniaturstadt Tokio zur Verfügung stellte – eine Arbeitsweise, die sich durch sein künstlerisches Schaffen zieht. Während einer Führung durch die Ausstellung bezeichnet ihn Kuratorin Elena Filipovic deshalb passenderweise als “Master of Exchange” – in kollaborativen Tauschgeschäften verhandelt der Künstler sein Bildmaterial und Animationen gegen technisches Wissen, Hard- und Software, tänzerische Performances oder Musik.
Auf seiner langen Liste an Kollaborateur*innen befinden sich Pop-Ikonen, Software-Studios, Komponist*innen und Science-Fiction-Autor*innen. Doch auch Neurowissenschaftler*innen und Robotik-Unternehmen haben bereits mit ihm gearbeitet, beispielsweise für sein fiktives, grell-hypnotisches Infomercial „Electromagnetic Brainology Brain Control Messenger“.
Unterlegt von einem schrillen Song der japanischen Pop-Band Invisible Manners, wird darin eine goldene, sakral-wirkende Krone beworben, als wäre sie ein Lifestyle-Konsumprodukt. In einer kurzweiligen Superhelden-Geschichte erfahren wir von ihrer Wirkung: Nachdem sich die Protagonistin des Films die Krone aufgesetzt hat, kann sie diese mittels Gamecontroller steuern und so Magnetstrahlen gegen ihren Feind – einen Außerirdischen mit grotesk großem, freiliegenden Gehirn – richten.
Während die Charaktere aus “World Material Knight” menschgewordene Stellvertreter*innen zukünftiger Formen posthumaner Existenzen darstellen, steht in „Electromagnetic Brainology Brain Control Messenger“ das Gehirn als Symbol menschlichen Seins im Mittelpunkt. Tatsächlich ist das mächtige Accessoire seiner fiktiven Heldin einem echten medizinischen Instrument nachempfunden, welches einer Art Helm ähnelt. Dieses gibt mittels einer über den Kopf gehaltenen Magnetspule elektrische Impulse an das Gehirn ab. Der Strom, der durch Schleifen in der Spule fließt, erzeugt ein Magnetfeld, das zu einer anhaltenden Anregung der Nervenzellen führt: ein Verfahren, welches beispielsweise bei der Behandlung von Menschen mit Depressionen eingesetzt werden kann.
“Electromagnetic Brainology Brain Control Messenger“ erweitert LuYangs Überlegungen zum menschlichen Bewusstsein um eine Faszination für neurowissenschaftliche Verfahren. Beide Werke demonstrieren, dass LuYang in seinen Überlegungen zu Fragen nach dem Bewusstsein immer wieder auf den menschlichen Körper als Referenz- oder Ausgangsmaterial zurückgreift.
Dies zeigt sich auch in der aufgezeichneten Motion-Capture Performance “Lu Yang Delusional World – Game Record”, die er gemeinsam mit dem Tänzer Qin Ran und dem Produktionsstudio Meta Objects realisiert hat. Darin sieht man einen Tänzer, dessen Bewegungen auf die Figur übersetzt werden, die hinter ihm auf einem riesigen Bildschirm zu sehen ist. Die Performance unterstreicht, dass LuYangs Produktionsprozess stark in der realen Welt verankert ist und aus dem Körperlich-Materiellen schöpft: Für gewöhnlich bilden reale Tänzer*innen die Vorlagen für die Bewegungsreferenzen, mit denen LuYang seine virtuellen Charaktere ausstattet.
Dem Medium Tanz kommt eine zentrale Rolle in LuYangs Schaffen zu. Während seine Werke Betrachter*innen in ganz unterschiedliche Welten einführt, zieht es sich als verbindendes Element durch fast alle seine Arbeiten und führt schließlich in sein bisher umfassendstes Werk ein.
In kurzen, traumartigen Sequenzen werden in LuYangs erstem narrativen Film „DOKU The Self“ sechs Versionen seiner selbst vorgestellt. Zu experimentellen Trap-Beats bewegen diese sich tanzend durch einen paradiesischen Himmel, eine schwelende Hölle und alles dazwischen. Vorbild für alle Avatare ist “DOKU PsyFi – Human”. Dieser ist sowohl die Ausgangsform, die dem menschlichen Protagonisten DOKU am nächsten ist, als auch ein digitales Replika des Künstlers selbst. Um diese Ähnlichkeit zu erreichen, wurden mittels Facial-Motion-Capture Daten dreidimensionale Merkmale von LuYangs Gesicht auf seine virtuellen Avatare übertragen.
Am Anfang des Films wird DOKU auf einer Flugzeugreise gefolgt. Als sich durch plötzlich aufkommende Turbulenzen Panik bei den Passagier*innen ausbreitet, erfährt der Protagonist eine existentielle Reise durch sein Unbewusstes. Ausgelöst durch die traumatische Erfahrung der Todesangst spaltet sich seine Seele auf und materialisiert sich in sechs Figuren: DOKU Animal, DOKU Asura, DOKU Heaven, DOKU Hell, DOKU Human und DOKU Hungry Ghost. Diese Avatare entsprechen den sechs Pfaden der Reinkarnation, wie sie im Buddhismus beschrieben werden.
Die robotisch-anmutenden Chroreographien der Figuren basieren auf einer langen Recherchereise LuYangs. Für den Film reiste er auf die indonesische Insel Bali und in den indischen Bundesstaat Kerala, wo er Jahrhunderte alte, rituelle Tanzstile untersuchte. Mittels Tanzes sollen weitere Bewusstseinsformen erreicht werden und perfektionierte Bewegungen die Grenzen des Körperlichen erweitern.
Besonders auffällig sind die extravaganten, maximalistischen Kostüme LuYangs virtueller Avatare. Diese sind gleichermaßen inspiriert von japanischer Streetwear, Gothic-Kultur, K-Pop und Cosplay-Kultur und Ausdruck von LuYangs Verständnis für zeitgenössische Mode.
Die Bezeichnung “DOKU” ist eine Abkürzung des japanisch-buddhistischen Begriffs “Dokusho Dokushi” und bedeutet sinngemäß: alleine geboren werden, alleine sterben. In diesem Sinne entledigt sich der menschliche DOKU am Ende des Films in einem Prozess von akzeptierender Dematerialisation schließlich fast aller biologischen Überbleibsel, bis schlussendlich nur noch das Nervensystem übrig bleibt.
LuYangs philosophische, im Buddhismus verankerten Überlegungen zu Leben, Tod und Reinkarnation kreisen um die Frage, wo das menschliche Bewusstsein verortet ist. In postapokalyptischen Aufnahmen von weiten Landschaften, die mit Leichen bereits vergangener Reinkarnationen gefüllt sind, konfrontiert LuYang die Angst, von dem was bleibt, wenn der Körper nicht mehr existiert.
Indem er sein ursprüngliches Selbst in digitale Reinkarnationen in Form von Avataren transformiert, überträgt er verschiedene Aspekte seines Bewusstseins in die virtuellen Formen seiner selbst und erschafft so ein posthumanes Selbst.
Der britische Journalist Paul Gravett vertritt in seiner Publikation „Manga – 60 Jahre japanische Comics“ die Ansicht, dass der Aufstieg der niedlichen Figuren dem Japan der Nachkriegszeit ermöglichte, schwierige Erkenntnisse durch ein Medium zu verarbeiten, das Fragen auslebt, die unmöglich direkt zu erforschen sind. Während die immer wiederkehrende Rückkehr zu visuellen Referenzen der Dystopie und Zerstörung laut Gravett eine kathartische Heilung versprach, spendete die wohlwollende, einlullende Ästhetik niedlicher Charaktere Trost.
Ebendies zeigt sich auch in LuYangs Arbeiten. Seine Überlegungen manifestieren sich in seinen virtuellen Protagonist*innen, die zu Symbolen seiner Auseinandersetzung werden. Ähnlich der Ursprünge seiner Referenzen, erinnern die dystopischen Bilder seiner Werke an Zerstörung und Wiedergeburt. Parallel bieten seine bunten animierten Figuren eine Form von Trost und Eskapismus – der Zuckerrausch als Bewältigungsstrategie, mit dem ein tröstlicher Blick in die Zukunft geworfen werden kann.
WANN: Die Ausstellung „LuYang Vibratory Field“ läuft bis zum 21. Mai.
WO: Kunsthalle Basel, Steinenberg 7, 4051 Basel.