Augmented-Reality in your Face
Die politische Kraft der Face-Filter

15. Februar 2021 • Text von

Die neuen Face-Filter werden in den Social Media verwendet, um sich zu präsentieren und in einen Dialog mit der Community zu treten. Sie wollen gesehen, geteilt und kommentiert werden und sind in hohem Maße politisch, wenn es um aktuelle Gesellschaftsdebatten, Identitätspolitik und öffentliche Positionierung geht.

Ines Alpha (ines.alpha), Face-Filter "Holoctopus"
Ines Alpha (@ines.alpha), Face-Filter “Holoctopus”. Courtesy the artist.

Seit August 2019 bietet Facebook die kostenfreie Software Spark AR Studio an, mit der jede*r selbst Face-Filter gestalten kann. Nicht nur Influencer*innen in den Bereichen Mode und Beauty nutzen dies für Selbstvermarktungszwecke und Kooperationen, auch immer mehr Künstler*innen bedienen sich der zahlreichen Möglichkeiten, ihr Äußeres auf diese Weise zu gestalten und zu verändern sowie darüber hinaus die Filter in ihren Instagram-Profilen zu veröffentlichen. Face-Filter werden in den Social Media verwendet, um sich zu präsentieren und damit in einen potenziellen Dialog mit der Community zu treten. Sie wollen gesehen, geteilt und kommentiert werden und in diesem Sinne können die Face-Filter auch in hohem Maße politisch eingesetzt werden. Im Gegensatz zu Augmented-Reality-Filtern, die auf irgendeine Weise in die Umgebung eingreifen und diese verändern, verknüpfen sich Filter, die sich über das Gesicht oder den Körper legen, automatisch mit der Person und ihrer Identität. 

Aaron Jablonski Face Filter Scramble und Face Void die Gesucht fragmentieren oder verschwinden lassen
Aaron Jablonski (@exitsimulation), Face-Filter “Scramble” (li.) und “Face Void” (re.). Courtesy the artist.

Viele Filter nutzen einen Glow- oder Glossy-Effekt, auch verspiegelte Gesichtsfilter sind beliebt. Der Künstler Aaron Jablonski (@exitsimulation) hat in seinem Instagram-Profil beispielsweise Filter, die ein Gesicht biometrisch vermessen, ausschneiden, fragmentieren oder die Konturen so mit der Umgebung verschmelzen lassen, dass es nur noch wage erkennbar erscheint. Ebenfalls der Künstler Andy Picci (@andypicci) hat einen „Absence“-Filter oder Solimán López (@solimanlopez) bietet einen „Displacement“-Filter an. Ist ein Filter, der einen zum Verschwinden bringt oder unsichtbar macht, schon politisch? Face-Filter können mit verschiedenen Kommunikationsmodi arbeiten, indem sie beispielsweise tatsächliche Sprache in Form von Face-Tattoos oder animierten Textboxen zeigen, oder Masken anbieten, durch die man die Möglichkeit erhält, wie jemand anderes auszusehen. Natürlich sind Kreativität und der Unterhaltungsfaktor wesentlich für den Erfolg eines Filters, aber wo hört der Spaß auf und wie werden Face-Filter zu politischen Instrumenten?

Cibelle Cavalli Bastos (@aevatarperform) Face-Filter "TheyThem" und "Queer&Antiracist"
Cibelle Cavalli Bastos (@aevatarperform), Face-Filter “TheyThem” (li.) und “Queer&Antiracist” (re.). Courtesy the artist.

Wie stark Filter im unmittelbaren Sinne kommunizieren zeigt sich, wenn sie Text verwenden. Die Künstlerin Cibelle Cavalli Bastos (@aevatarperform) hat den Filter „Queer&Antiracist“ entworfen, in dem viele kleine „Black Lives Matter“-Textfelder zusammen mit Luftblasen in Regenbogenfarben um ihr Gesicht fliegen. Es geht ihr dabei nicht nur um mehr Toleranz, sondern darum, sich gezielt gegen Rassismus zu positionieren und den Dialog noch weiter zu öffnen hin zu „Black Trans Lives Matter“. Ein anderer Filter von ihr trägt den Titel „TheyThem“ und erklärt seine Relevanz im Rahmen von Identitätspolitik und gendergerechter Sprache von selbst. Die Künstlerin weist in einem anderen Beitrag darauf hin, dass man sich das Pronomen einer Person ebenso wie ihren Namen merken und respektieren sollte.

Keiken Face Filter Pisces und Cosmos
Keiken (@_keiken_), Face-Filter “Pisces” (li.) und “Cosmos” (re.). Courtesy the artists.

Das Kollektiv Keiken (@_keiken_) wurde 2015 von den Künstler*innen Tanya Cruz, Hana Omori und Isabel Ramos gegründet, die sich in ihrer vielseitigen künstlerischen Praxis auch mit Augmented-Reality-Filtern beschäftigen, die meist eine stark futuristische Ästhetik haben. Mit ihren Face-Filtern „Cosmos“ oder „Pisces“ kann man digital in eine andere Haut schlüpfen, sich beispielsweise in einen Alien oder Fisch verwandeln. Wenn Face-Filter uns die Möglichkeit geben, jemand anderes zu sein, dann kann man auch ausprobieren, wie sich eine ganz andere Identität, ein anderes Lebewesen anfühlt und sich auf spekulative Weise in diese Perspektive versetzen. Diese Filter sind als Verkörperungen anderer Wesensformen ein Spiel mit verschiedenen Charakteren und Lebensformen.

Ines Alpha Face Filter Holoctopus und Oyster Moisture als 3D Make-up
Ines Alpha (@ines.alpha), Face-Filter “Oyster Moisture” (li.) und “Holoctopus” (re.). Courtesy the artist.

Einer der erfolgreichsten Filter überhaupt ist „Beauty3000“ von Johanna Jaskowska (@johwska), der das Gesicht mit einer hyperglatten Plastikoberfläche überzieht und über 400 Millionen Mal von User*innen verwendet wurde. Auch Ines Alpha (@ines.alpha) entwirft als E-Make-up Artist zahlreiche Face-Filter, zuletzt sogar einen für die Luxusmarke Dior. Die beiden sind Beispiele für Filter-Creators, die an der Schnittstelle zu Fashion- und Beauty-Bereichen ansetzten und dort nochmal ganz andere Themen ansprechen. Auch ein normales Make-up kann als Maske verstanden werden und die Persönlichkeit äußerlich verändern oder unterstreichen. Weshalb diese Filter aber so populär sind, hängt wahrscheinlich größtenteils mit dem Trend der Körperoptimierung und mit unrealistischen Schönheitsidealen zusammen, die diese ins Extrem steigern. 

Alla Popp Face Filter Regular Sick und Virus Oracle
Alla Popp (@allapopp), Face-Filter “RegularSick” (li.) und “VirusOracle” (re.). Courtesy the artist.

Wenn Face-Filter eine politische Lesbarkeit hergeben, dann zum Beispiel auch vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen. Die Medien- und Performance-Künstlerin Alla Pop (@allapopp) bietet nicht nur selber Face-Filter-Workshops an, wie zuletzt in Berlin und an der Kunsthalle Osnabrück, sie hat auch einen eigenen Filter mit dem Titel „RegularSick“. Ein Filter wie dieser wird im Kontext der seit einem Jahr anhaltenden Covid-19 Pandemie ebenso politisch streitbar, wie die Künstlerin damit gleichzeitig einen Gegenakzent zu Beauty-Filtern präsentiert. Nicht nur Deformations-Filter sind auf Instagram verboten, jeder Filter muss erst von Instagram geprüft und freigegeben werden. Noch ganz am Anfang von 2020 entwarf Alla Popp ursprünglich einen Virus-Orakel-Filter als ironischen Kommentar zur zunehmenden Hypochondrie, der einem sagen sollte, welches Virus man hat. Dieser Filter unterlag nach wenigen Tagen der Zensur, da er die Gefahr in sich barg, ernstgenommen zu werden und so wirklich Personen verunsichern könnte.

Face-Filter sind dort politisch, wo es um aktuelle Gesellschaftsthemen und Identitätsfragen geht und wenn man sich durch sie öffentlich positioniert. Sie können Druck ausüben wo es um Erwartungen und Schönheitsideale geht und gleichzeitig Freiheit bieten, sich abseits von gesellschaftlichen Normen, Geschlechterklischees und Zuschreibungen mal anders zeigen zu können.

WANN: Immer.
WO: In Sozialen Netzwerken oder direkt über die im Artikel verlinkten Accounts auf Instagram.