Musik für die Augen "À bruit secret" im Museum Tinguely
31. März 2023 • Text von Quirin Brunnmeier
Die verschiedenen Ebenen des Auditiven werden von Künstler*innen in unterschiedlichsten Formen in ihr Schaffen integriert. Unter dem Titel “À bruit secret” zeigt das Museum Tinguely in Basel nun eine breite Auswahl von künstlerischen Auseinandersetzungen mit Klang, Tönen und dem menschlichen Hörsinn.
Welche Form kann ein hörbares Portrait eines Flusses einnehmen? Die Klangkünstlerin Christina Kubisch wählt für ihr eigens für die Ausstellung “À bruit secret” realisiertes Projekt “Il reno” den Weg einer auditiven Dokumentation. Mit Hydrophonen hat sie entlang des Rheins Feldaufnahmen genommen und diese in ihre Installation integriert. Die Besucher*innen flanieren entlang der verglasten Fassade des Museums und vernehmen über extra von der Künstlerin entwickelte Induktionskopfhörer Töne aus den Tiefen des Flusses. Sonores Summen wechselt sich mit zartem Plätschern ab, der Motor eines Schiffes schneidet sich grob durchs Wasser. Den Rhein immer im Blick ergibt sich ein komplementäres Erlebnis aus Ton und Bild.
Abstraktes Krachen, digitales Rauschen, rhythmisches Zwitschern und melodische Bilder. Die Ausstellung “À bruit secret” ist die vierte in einer Reihe von fünf Themenausstellungen im Museum Tinguely, die sich spezifisch den menschlichen Sinnen widmen. Die aktuelle Ausstellung kombiniert eine breite Auswahl an immersiven und interaktiven Klangwelten von rund 25 internationalen Künstler*innen. Die Begriffe Klang und Ton sind dabei weit gefasst. Ausgehend von einer Klassifizierung des kanadischen Komponisten und Klangforschers Raymond Murray Schafer aus den späten 1960er-Jahren unterteilt die Ausstellung unsere akustischen Umwelten in unterschiedliche Soundscapes. Diese Klanglandschaften können natürliche, technische und menschliche Quellen haben, zu denen auch die Stimme und die Musik gehören.
Innerhalb dieser Spektren verortet die Kuratorin Annja Müller-Alsbach Skulpturen, multimediale Installationen, Fotografien, Papierarbeiten und Gemälde vom Barock bis zur Gegenwart. Ton und Klänge sind das Ausgangsmaterial und der Ursprung für die gezeigten Untersuchungen, Installationen und Kompositionen. Auch die Frage, wie akustische Elemente, abseits von klassischen Partituren, visuell dargestellt werden können, steht im Fokus der Ausstellung. In einem dichten Arrangement werden Werke der frühen Avantgarden des 20. Jahrhunderts gezeigt, deren Kunst sich aus dem Lärm der sich industrialisierenden Städte und des ersten Weltkriegs speist. Künstler wie Robert Rauschenberg, dessen raumgreifende Installation “Oracle” ein visuell-akustisches Gesamterlebnis bildet, arbeiteten später medien- und genreübergreifend und wollten die Betrachter*innen zur Partizipation mit der Kunst bewegen. Der Einsatz moderner Technologien der Tonübertragung, wie das Radio, erweiterte damals den Kunstbegriff um neue Ebenen.
Im Kontext dieser historischen Arbeiten präsentiert die Ausstellung auch sehr junge Positionen, wie die des dänischen Künstlers und Musikers Alexander Tillegreen. Er verbindet künstlerische mit wissenschaftlichen Ansätzen und kombiniert klangliche und räumliche Inszenierungen. In seinen “Phantom Streams” schafft er Räume für akustische Illusionen, indem er elektronische Musik, Sprache und Licht so kombiniert, dass jede*r Besucher*in einen individuellen, subjektiven und höchst-persönlichen Eindruck erfassen kann. Persönlich und subjektiv sind auch die vielschichtigen Arbeiten von Jorinde Voigt. In der Ausstellung werden neben älteren Arbeiten Werke aus der Rhythm-Serie präsentiert, an der sie seit 2022 in der Collagetechnik arbeitet. Die teils großformatigen, Papierreliefs wirken kraftvoll, fragil und haben ihren eigenen sinnlichen Rhythmus. Unweigerlich stellen sich Fragen bezüglich der Verschriftlichung von Musik und der Transkription von Tönen in Bilder.
Die Ausstellung “À bruit secret” verdeutlicht, dass wir immer von einer akustischen Welt aus einer Vielfalt an Klängen, Geräuschen und auch Krach umgeben sind. Subjektive Hörerlebnisse können dabei unterschiedliche Emotionen und Assoziationen auslösen und unsere Wahrnehmung der Umgebung entscheidend beeinflussen. Die in der Ausstellung präsentierten Arbeiten zeigen, inwiefern Künstler*innen diese Mechanismen gezielt und bewusst als gestalterische Mittel einsetzten können. Die auditiven Ebenen werden dabei sowohl zum zentralen Element von Kunst als auch zum Vehikel für deren Inhalte. Mit einem geschärften Hörsinn lässt sich so nicht nur die Kunst, sondern auch die Welt differenzierter wahrnehmen.
WANN: Die Ausstellung “A bruit secret. Das Hören in der Kunst” ist noch bis zum 14. Mai 2023 zu sehen.
WO: Museum Tinguely, Paul Sacher-Anlage 2, CH-4002 Basel.
Vielen Dank für die Presse-Einladung nach Basel und die Übernahme der Reisekosten.