Über Zeitlichkeit
Klára Hosnedlová in der Kunsthalle Basel

12. März 2024 • Text von

Fantastische Objekte sind in den Ausstellungsräumen der Kunsthalle Basel gelandet. Sie bevölkern die Wände, entwachsen Betonplatten und versammeln sich wie Bäume in einem Wald. Klára Hosnedlovás installative Arbeiten wecken sowohl Assoziationen zu organischen Überresten einer wundersamen Urzeit als auch zu einer fremden Zukunft. In der Ausstellung “Growth” schafft sie Bildverweise und Strukturen, die das Verhältnis von Vorher und Nachher, Gestern und Morgen auf neue Weise erfahrbar machen.

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Klára Hosnedlová, GROWTH, Ausstellungsansicht (mit Performenden), Kunsthalle Basel, 2024, Foto: Zdeněk Porcal – Studio Flusser / Kunsthalle Basel.

Auf dem Parkettboden der Kunsthalle Basel ist ein breiter Steg aus quadratischen Betonplatten ausgelegt. Einige der Platten sind ausgehoben und geben den Blick frei auf Geröll und glänzende Kunstharzpfützen, die Steine, ein paar rostige Nägel und Schmetterlingsflügel beherbergen. Aus den Wänden dringen graue Wucherungen aus Stein und Glas. Sie wecken Assoziationen zu versteinerten Ausstellungsstücken eines naturhistorischen Museums der Zukunft.

Klára Hosnedlovás surreale Installationen tragen in ihren Einbuchtungen je ein schmales Bild in länglicher Ovalform. Darauf gezeigt werden Körper in fragmentierenden Nahaufnahmen. Lange Arme und Hände, Teile eines geknüpften Hemds, geflochtenes Haar oder eine unbedeckte Brust sind zu sehen sowie Szenen von Berührung und einfachen Handlungen. Ein gedrehter Wollfaden wird mit einem Feuerzeug in Brand gesteckt. Hände halten technische Geräte.

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Klára Hosnedlová, Untitled (aus der Serie Growth), 2024, Detail, in: Klára Hosnedlová, GROWTH, Kunsthalle Basel, 2024, Foto: Zdeněk Porcal – Studio Flusser / Kunsthalle Basel.

Auf den ersten Blick wirken die Bilder wie mit feinen Pinselstrichen gemalt. Auf den zweiten Blick erkennt man den Verlauf zahlreicher feiner Fäden in Braun- und Beigetönen. Es handelt sich um Stickereien, die Hosnedlová in wochenlanger Handarbeit anfertigte. Indem sie dabei Hände und Textilien zeigt, stellt die Künstlerin auch motivisch einen Bezug zu ihrer händischen Machart her. Die fotorealistischen Arbeiten reflektieren auf ihre Medialität.

Das Bildmaterial für ihre zeitaufwändigen Stickereien gewinnt Hosnedlová aus publikumsfreien Performances, die sie in ihren eigenen Ausstellungen inszeniert. In diesem Fall stammt es von einer nicht öffentlichen Performance, die in der Ausstellung “To infinity” in der Kestner Gesellschaft stattfand. Ausgewählte Performer*innen in retro-futuristischen Kostümen traten dabei mit Hosnedlovás Installation in Interaktion.

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Klára Hosnedlová, Untitled (aus der Serie Growth), 2024, Installationsansicht (mit Performenden), in: Klára Hosnedlová, GROWTH, Kunsthalle Basel, 2024, Foto: Zdeněk Porcal – Studio Flusser / Kunsthalle Basel

Die entstandenen Szenen hielt sie fotografisch fest und überführte sie dann ausschnitthaft in die Stickarbeiten, die aktuell in Basel gezeigt werden. Auch vor der Eröffnung dieser Ausstellung fand eine vergleichbare Performance statt, deren Bilder wiederum in der kommenden Schau zu sehen sein werden. Auf diese Weise vernetzt Hosnedlová ihre Ausstellungen und Arbeiten miteinander.

Über visuelle Hinweise, die sie in ihre Installationen einbettet erzeugt sie eine zeitliche Verknüpfung, ein Netzwerk an Verweisen, das sowohl Rückschlüsse auf Vergangenes als auch Zukünftiges zulässt. Das Ergebnis ist eine beeindruckende Bildsprache, die nicht nur überzeitlich anmutet, sondern tatsächlich Gucklöcher in eine andere Zeitdimension erzeugt.

Wie riesige Wesen aus gesponnener Wolle oder verfilztem Haar erscheinen die Arbeiten “Ohne Titel. Aus der Serie Growth”, die Hosnedlová im hinteren Teil der Ausstellung zeigt. Die braungrüne Farbigkeit und organische Form der Arbeiten erinnert an baumähnliche Strukturen. Ihre Oberfläche scheint mit Moos bedeckt, dass sich in verfilzten Zöpfen über den Boden ausbreitet.

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Klára Hosnedlová, GROWTH, Kunsthalle Basel, 2024, Ausstellungsansicht, Foto: Zdeněk Porcal – Studio Flusser / Kunsthalle Basel.

Die wie im Wachsen begriffenen Installationen ließ Hosnedlová in der letzten tschechischen Textilfabrik für die Bearbeitung von Naturfasern anfertigen. Dafür verwendet wurden Textilabfälle wie Baumwoll-, Leinengarn und Werg. Hosnedlová stellt sich bewusst in Genealogie zu der im Verschwinden begriffenen böhmischen Textiltradition. Ihre Formensprache entwickelt die tschechische Künstlerin in Auseinandersetzung mit sichtbaren Zeugnissen des Sozialismus, etwa der brutalistischen Architektur Mittelosteuropas. Die darin verwendeten Bodenplatten bilden auch hier Basis und Untergrund der Installation.

In der Ausstellung “Growth” präsentiert Hosnedlová eine dem Jetzt entrückte, überzeitlich anmutende Kulisse aus fantastischen Zeugnissen einer unverortbaren Natur und Kultur. Ihre Installationen geben fragmentierte Ausblicke auf eine andere, womöglich postindustriellen Welt, die den Fortschrittsgedanken eines unendlichen Wachstums hinter sich gelassen hat.

Wann: Die Ausstellung “Growth” ist bis Montag, den 20. Mai 2024 zu sehen.
Wo: Kunsthalle Basel, Steinenberg 7, 4051 Basel.

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