2 Zimmer, Küche, Pollock
"Castle for Rent: Episode 1"

12. September 2022 • Text von

Eine heiße Liaison durchleben Kunst und Kommerz heutzutage. Ihre beiden mächtigen Körper verschmelzen und katapultieren alles Dagewesene in eine neue Dimension. Eine wertvolle Symbiose? Eine fatale Co-Abhängigkeit? Wo die Kollaborierenden wohnen, wie sie ihren Fetisch entfalten, zeigt die Ausstellungsreihe “Castle for Rent”. Im realen Spandauer Projektraum können drei Luxusimmobilien virtuell besichtigt werden, in denen die Kunst bereits wohnt. Sie hebt die Immobilie auf ein exquisiteres Level – oder andersherum? Hier heißt es nicht “Schuhe aus!”, sondern “VR-Brille auf!”.

Castle for Rent Episode I DisplayDesign Koelbl vomEnde
“Castle for Rent: Episode I”, Raumansicht, Display von Christian Kölbl.

Über Kopfsteinpflaster, durch ein morsch wirkendes Tor und eine knarzende Holztreppe nach oben geht es in den Ausstellungsraum. Ein charmanter Dachboden mit sichtbaren Holzträgern und Säulen im Raum. Manche Balken heller manche dunkler, junge und alte, ein sichtbarer Erhaltungswille zeigt sich im Raum und die Fachwerk-Romantik wärmt gegen das Weiß der Wände an. Eckige, metallische Gebilde stehen an drei Stellen im Raum. An ihnen hängen graue und blaue Jacketts, aus deren Ärmeln vereinzelt prothesenähnliche Hände herausragen. Neonröhren stellen sie in ein kaltes Licht.

Leb-, kraft- und körperlos hängen die Anzüge an ihrem silbrigen Gerüst. Sie sind Display, quadratische Rabbit Holes, kuratiert von Christian Kölbl und Pia vom Ende, die zu der Kunst von Christian Holze, Patricia Detmering und Dennis Rudolph führt. Die Werke dieser ersten “Castle for Rent”-Episode befinden sich in den Meta-Räumen der Show, in von den Kuratierenden digital und fiktiv entworfenen Luxusimmobilien. Anlässlich der Ausstellungsreihe verfasste Naomi Rado den Text “Der schöne Schein darf Luxus sein”, der Gedanken anstößt und Hintergedanken sehr lesenswert zusammenfasst.

Castle for Rent Episode I 28 DisplayDesign Koelbl vom Ende
“Castle for Rent: Episode I”, Raumansicht, Display von Christian Kölbl.

Die Virtual-Reality-Brille, die Besucher*innen von einer der künstlichen Hände entgegenstreckt wird, ist der Schlüssel zum Immobilienhimmel. Mit ihr vor den Augen und einem Controller in jeder Hand beginnt die erste wahnwitzige Wohnungsbesichtigung. Reingefallen wie ein Sims in sein neues seelenloses Zuhause, tasten sich Besucher*innen mit zwei Laserfühlern durch die fremden vier Wände. Ein minimalistisches Objekt voll elegantem Anthrazit, vielen klaren Kanten und einer Fensterfront, die sich gewaschen hat.

Eine Makler-Stimme versucht über die Lautsprecher der Brille das Objekt schmackhaft zu machen und verweist schon bald auf die bemerkenswerte Kunst von Dennis Rudolph, die bereits im Objekt zuhause ist. Die an Engel und Götter angelehnten digitalen Skulpturen des Künstlers funkeln in Raumecken, auf der Terrasse und auf dem gradlinigen Sideboard. Sie scheinen selbst aus dieser V-Realität herauszufallen, sich nicht zwischen Zwei- und Dreidimensionalität entscheiden zu können und springen so zwischen Manga-Ästhetik und Fantasy-Computerspiel hin und her. Ihre Flügel sind zerfetzt strähnig, wie die Haare von Sailor Moon-Charakteren und dann haben sie wiederum antik-muskulöse Gliedmaßen und stolze Körperhaltungen, wie Michelangelos David.

Dennis Rudolph Messengers of the AI(2) CastleforRent, virtual reality, Pia vom Ende, Christian Kölbl, digitale Kunst
Dennis Rudolph: “Messengers of the Al”, VR Space von Pia vom Ende und Christian Kölbl.

Auch ein Pollock hängt an der Wand, aber “machen Sie sich keine Gedanken um Einbrüche in dieser Gegend!” beruhigt die Stimme im Ohr der Besichtigenden, Google hat ein Auge auf den Raum und alle in ihm enthaltenden Werte. Dennis Rudolphs “Messengers of the AI” sind die Verlinkung, sie sind die Wächter*innen und geben alle Informationen an den Onlinegiganten weiter, hier kann niemandem etwas passieren. Im Angebot ist eine maximal gesicherte Homebase. Die Kunst schützt das Objekt, das Objekt schützt die Kunst, so funktioniert das hier.

Eine Katze sitzt am Esstisch und putzt sich geduldig mechanisch ihre Pfötchen, auf der Kücheninsel steht eine Schale mit zu kleinem Obst. Vorsichtig und mit flacher leiser Atmung schleichen, beziehungsweise klicken sich Kunst- und Wohnungsinteressierte durch den aus zwei ineinander liegenden Quadraten bestehenden Grundriss. Bloß nichts anrempeln, bloß nicht diese seltsame Katze auf sich aufmerksam machen.

Dennis Rudolph Messengers of the AI(2) CastleforRent, virtual reality, Pia vom Ende, Christian Kölbl, digitale Kunst
Dennis Rudolph: “Messengers of the Al”, VR Space von Pia vom Ende und Christian Kölbl.

Der sterile Mies van der Rohe-Luxus löst vor allem in dem Kontrast zu den fantastisch blendenden Engelsskulpturen Rudolphs ein absolutes Habenwollen aus. Wo wird bezahlt? Nehmen sie auch Ether? Die Überschneidung von Kunst und Design, wie sie bei “Castle for Rent” in zugespitzter Form zu sehen ist, ist auf dem Kunstmarkt, im Alltag omnipräsent geworden und ist das, was Kölbl und vom Ende zu dieser Ausstellungsreihe motiviert. Sie hinterfragen mit ihrer künstlerischen Praxis die Kunst im Rahmen – oder Käfig? – des Kapitalismus und wundern sich hier, inspiriert auch von Wolfgang Ullrichs Publikation “Die Kunst nach dem Ende ihrer Autonomie”, aus der er zur Eröffnung las, über die Tendenzen der Kunst, die vermehrt im Auftrag des Kommerzes agiert. Namhafte Kunst produziert in Kollaborationen mit namhaften Firmen einen neuen und höheren Wert eines zu vermarktenden Produktes. Heute werde Kunst “dann besonders geschätzt, wenn sie zugleich etwas anderes ist”, so der Autor.

Dennis Rudolph Messengers of the AI(2) CastleforRent, virtual reality, Pia vom Ende, Christian Kölbl, digitale Kunst
Dennis Rudolph: “Messengers of the Al”, VR Space von Pia vom Ende und Christian Kölbl.

Etwas ertappt von der sich entfaltenden Gier nach Wohlstand lassen Besucher*innen die erste Immobilie hinter sich und wachen wie aus einem intensiven Traum auf dem Dachboden wieder auf. Sie taumeln zum nächsten Gerüst und greifen nach der nächsten Hand, die sie in eine neue Welt zieht. Hier steht ein ganz anderer, ein Neubaugebiet-Lifestyle zum Verkauf. Vereinzelte Möbel und die Küche sind in rosa und violette Farbabstufungen getaucht, andere Gegenstände sind gläsern oder metallisch, wodurch ein Wechselspiel aus matten und glänzenden Flächen entsteht. Eine kühle Farbpalette, ein Ambiente, das gerade so an einem Barbie-Kitsch vorbeischlittert. Dank des feinen Fischgrät-Parketts gewinnt die Immobilie an Wärme und kassiert einige Pluspunkte.

Patricia Detmering Serie von Selbstportraits 2020 22 CastleforRent VR Space, Pia vom Ende, Christian Kölbl, digitale Kunst
Patricia Detmering: “Serie von Selbstportraits”, 2020-22, VR Space von Pia vom Ende und Christian Kölbl.

Die Maklerin entschuldigt sich für die Hinterlassenschaften der Vorbesitzer*innen und nimmt damit Bezug auf die vielen Bilder, die noch gerahmt auf einigen Ablageflächen stehen. Sie zeigen Dürers bekanntes Selbstportrait neben denen der zweiten ausstellenden Künstlerin Patricia Detmering. Ihr Gesicht fährt mit einem Kinderkörper Dreirad, lächelt gekünstelt durch einen Instagramfilter oder schmiegt sich in einen Medusenkopf. Eine groteske, weil so explizite Form der Selbstdarstellung, die neben anderen künstlerischen Zitaten, Dürers “Divino artista”-Aussage geschickt mit Socialmedia-Ästhetik verklammert und aufdringliche Fragen ausspuckt wie: Ist gute Kunst die, die die meisten Follower hat? Generiert sich künstlerischer Wert in seiner Kommerzialisierbarkeit? 

Patricia Detmering Serie von Selbstportraits 2020 20 CastleforRent VR Space, Pia vom Ende, Christian Kölbl, digitale Kunst
Dennis Rudolph: “Messengers of the Al”, VR Space von Pia vom Ende und Christian Kölbl.

Wer hier wohnte, setzte auf Technik und Wachmacher: Sämtliche Apple-Produkte, ein unangetasteter Cappuccino, Cola-Dose und Mountain Dew stehen herum. Ist hier noch jemand? Durch die Lamellen der Jalousie imponiert sportlich, aber nachhaltig ein neuer hellblauer Elektro-BMW. “Die Umgebung hier ist perfekt auf Ihr Elektroauto ausgelegt, überall hochmoderne Ladestationen und abgesenkte Bordsteine – Mensch wird ja nicht älter.” Ja, das beruhigte Gewissen ist inklusive, ebenso der visionäre Blick in die Zukunft. Der voyeuristische Moment dieser Besichtigung hat einen unheimlichen Reiz. In einer offenen Schublade liegt ein blank poliertes Küchenmesser. Ein wirklich unschlagbares Argument der Maklerin ist die Shoppingmall, die direkt um die Ecke liegt und in der es alles zu kaufen gibt. Für den punkigen Look für die Kinder empfiehlt sie die Marke Supreme. 

Patricia Detmering Serie von Selbstportraits 2020 22(1) CastleforRent, VR Space, Pia vom Ende, Christian Kölbl, digitale Kunst
Patricia Detmering: “Serie von Selbstportraits”, 2020-22, VR Space von Pia vom Ende und Christian Kölbl.

Sich mit Kunst schmücken wollen, sie als Beweisstück eines guten Geschmacks an der Wand und im Garten zu haben, das ist verlockend. In den guten Geschmack kann sogar eingezogen werden, er ist käuflich, ebenso wie die ethisch reine Weste. Kunst als ein käufliches Lebensgefühl.

Auf die Spitze – ja, sie ist noch nicht erreicht – treibt es die dritte Immobilie. Ihr wurde alles Wohnliche entzogen, zumindest ist der von Besucher*innen begehbare Teil der Machtdemonstration gewidmet. Die Medici sind die Vorbesitzer, erklärt der Makler höflich, dementsprechend hochwertig auch die Kunstsammlung, die es zu bestaunen gilt. René Magritte, Yayoi Kusama und das teuerste je versteigerte Gemälde “Salvator Mundi” Leonardo Da Vincis schmücken die Wände, während sie von schwarz glänzenden Pokémon-Skulpturen kontrastiert werden. Auch die teuerste Pokémon-Karte muss gewürdigt werden. 

Eine eindrucksvolle und kuriose Sammlung. Bloß nicht rückwärts gegen die Vasen stolpern, bloß nicht auf die Schachbrettfliesen sabbern. Der Makler versichert, das gewünschte Sneaker Regal einbauen zu lassen, zum Glück, denn auch diese Sammlung soll nicht ungesehen bleiben. Während sich auf der Wandseite prominente Kunstwerke den Rang ablaufen, ermöglicht die andere verglaste Seite einen Blick in den prunkvollen Innenhof.

Christian Holze FARNESE BULL RESERVE CastleforRent VR Space, Pia vom Ende, Christian Kölbl, digitale Kunst
Christian Holze: “Farnese Bull Reverse”, VR Space von Pia vom Ende und Christian Kölbl.

Er wird dominiert von Christian Holzes Crypto-Kunstwerk “Farnese Bull Reverse”. Die riesige Figur verbindet zwei Stockwerke, zwei Disziplinen und mindestens zwei Texturen. Sie schillert bläulich, wie die Haut des berühmten Vampirs Edward Cullen im einfallenden Sonnenlicht. Die Skulptur verkörpert den Zusammenprall der antiken und digitalen Welt. Aus zwei Skulpturen zusammengesteckt vereint und verdreht sie sich und die bildhauerische Tradition buchstäblich, hebt sie vom haptischen ins rein visuell funktionierende Metaversum. Sie spiegelt im Grunde metaphorisch die stilistischen Kontraste, die auch um sie herum im Innenraum passieren: Palazzo und Pokémon, Sneakers und Surrealismus.

Besucher*innen werden sich innerhalb dieser Immo-Metaversen unausweichlich des heutigen, vom Kapitalismus bewerteten Kunstverständnisses bewusst. Sie spüren die Anziehungskraft des Paradigmenwechsels und seine Abstoßung gleichzeitig und am eigenen Leib. Am Ende stehen sie auf einem Dachboden in Spandau und müssen schlucken. Selten war eine Show so meta wie diese. Die Ausstellungsräume sind im Ausstellungsraum, Kuration ist in zwei Sphären passiert und die moderne Kunst hat sich in der Fiktion, im Design, in der Architektur zum offensichtlichen Diener des Konsums gemacht, doch wirklich käuflich ist sie dennoch nicht. Die Realität kommt einem nach der Show entweder erholsam und wunderbar unordentlich vor oder frustrierend fad wie ein altes Brötchen. Die Konfrontation lohnt sich! 

WANN: “Castle for Rent: Episode 1” läuft noch bis Freitag, den 30. September. Die zweite Episode startet am Freitag, den 30. September und die dritte beginnt am Freitag, den 21. Oktober. 
WO: Projektraum Schönwalder Straße 44, 13585 Berlin.

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