Gewaltvoll geschnürt Tiona Nekkia McClodden in der Kunsthalle Basel
7. Juni 2023 • Text von Katrin Krumm
In Tiona Nekkia McCloddens Einzelausstellung wird um den Atem gerungen. In der Kunsthalle Basel verbindet die Künstlerin und Filmemacherin ihre eigene medizinische Geschichte mit Referenzen aus Bondage und Viehwirtschaft. Ihre poetisch-experimentellen Materialstudien erzählen aber auch die Geschichte der Gewalt an Schwarzen Körpern.
Massive, schwarze Vorrichtungen aus Stahl hängen zurzeit im großen Ausstellungsraum der Kunsthalle Basel. Tiona Nekkia McClodden fand diese sogenannten Halsfangrahmen ursprünglich in der Viehzucht, wo sie verwendet werden, um Tiere an Ort und Stelle zu fixieren. So werden beispielsweise die Hälse von Rindern in der Mitte der Metallrahmen positioniert, um etwaige Untersuchungen, Kontrollen und schließlich auch Tötungen durchzuführen. Diese rohe Gewalt strahlen die Objekte selbst jetzt noch im Kontext der Ausstellung aus.
Mittels Sandstrahlen ließ McClodden die Objekte von Markennamen und allem, was von ihrem ursprünglichen Nutzen in typisch amerikanischer Werbesprache erzählt, befreien und grundierte sie anschließend in aufwändiger Handarbeit mit Wachs, ehe sie sie in einem matten Schwarz anstrich. Da die Objekte deutliche Spuren ihres Pinselstrichs tragen, betrachtet die Künstlerin diese als Gemälde. Irgendwo zwischen Ready-made und Skulptur erzählen die von ihr bearbeiteten Werke von aufgezwungener Kontrolle, vom Ausgeliefertsein und dem Moment, in dem die alltägliche Ruhe einer plötzlich aufkommenden Erwartung von Gewalt weicht.
In strengen, regelmäßigen Abständen hängen zwischen den minimalistischen Skulpturen schwarze Riemen in Zweierpaaren an der Wand. Dabei handelt es sich um robuste, dicke Gürtel aus Rindsleder, die McClodden selbst in akribischer Handarbeit anfertigte. Dafür färbte sie zunächst das Material ein, brachte Silberschnallen an, stanzte Löcher in das Material und polierte das raue Leder schlussendlich, bis es glänzte.
In jeden der Riemen ist eine einzelne Textzeile eingeprägt. In meist kurzen, prägnanten Aufforderungen oder Aussagen erzählen die Zeilen von Lust und Verlangen, oder aber sie mahnen die Leser*innen, nicht das Atmen zu vergessen. Sprachlich reihen sich die Sätze in den poetischen Titel der Ausstellung “THE POETICS OF BEAUTY WILL INEVITABLY RESORT TO THE MOST BASE PLEADINGS AND OTHER WILES IN ORDER TO SECURE ITS RELEASE” ein. Dieser ist einer Zeile aus dem Gedicht “On Subjugation” des queeren Schwarzen Schriftstellers Brad Johnson entnommen, der 2011 an den Folgen von AIDS verstarb und dem McClodden bereits einige ihrer Arbeiten widmete. Durch die rhythmische Aneinanderreihung von Malereien und Skulpturen entsteht ein stiller, ehrlicher Dialog zwischen den beiden Künstler*innen, in dem sie ihre Erfahrungen des Schmerzes, der Wut und der Verletzlichkeit miteinander teilen.
In ihren Werken spielt auch McCloddens jahrelange Erfahrung als Teil der queeren BDSM-Community eine Rolle. Während bereits die Werke im ersten Ausstellungsraum die materielle Kultur des Bondage referieren, wird der Bezug im zweiten Raum direkter. Dort befinden sich fünf bläulich-rötlich schimmernde Malereien auf Rindsleder, die mit Seilen bespannt sind, deren Knoten-Formierungen der japanischen Fesseltechnik “Kinbaku-bi” entnommen sind.
McCloddens eingeschnürte Malereien erzeugen einen indirekten Verweis auf den Körper, der in ihrem mittig im Raum platzierten Schwarzweißvideo “DIRE / RETENUE“ explizit wird. Es zeigt nach einem dokumentarisch-nüchternen Kameraschwenk über eine Vielzahl an Gürteln den Torso der Künstlerin selbst. Auf behutsame Weise spannt sie nach und nach mehrere Gürtel um ihren Oberkörper, bis sie diese schließlich wieder abnimmt. Durch die gekonnten Handgriffe wirkt der gesamte Prozess zwar ungefährlich, jedoch ist die körperliche Anstrengung unschwer wahrzunehmen. Die Sorgfalt, mit der McClodden das Material behandelt, spiegelt sich in der Ausführung der Fesseltechnik als Ausdruck einer sanften Kontrolle an ihrem eigenen Körper wider.
Deutlich reduzierter ist die nüchterne Videoarbeit “DOUBLE BIND”, in der sich McClodden selbst während eines einstündigen Mittagschlafs filmte. Konkret referenziert sie hierbei ihre eigene Biographie: Die Künstlerin leidet unter Schlafapnoe, was bedeutet, dass ihre Atmung während des Schlafes bis zu siebenmal pro Stunde aussetzt. Aus diesem Grund ist sie im Schlaf auf eine Atemmaske angewiesen, die sie im Falle eines Aussetzers direkt mit Luft aus einem externen Gerät versorgt.
Mit “DOUBLE BIND” schließt McClodden den Bogen zu ihrer medizinischen Geschichte, den die Ausstellung im ersten Raum öffnete. Der dort mittig aufgestellte Luftkompressor, ebenfalls platziert im Rahmen einer der Halsfangvorrichtungen, entlässt sieben mal pro Stunde Luft – eben so oft, wie die Atmung der Künstlerin stündlich im Schlaf auszusetzen droht.
McCloddens Überlegungen nehmen immer wieder Bezug zur Geschichte der Unterdrückung Schwarzer Menschen in den USA. So verwendete die Künstlerin beim Einfärben des Rindsleders ihrer gefesselten Gemälde Techniken, die beim Polieren von Schuhen üblich waren. Die schimmernden Blau- und Rottöne sind zudem nur sichtbar, wenn Betrachter*innen ähnliche wippende Bewegungen ausführen wie beim Schuheputzen – eine stereotypische Dienstleistung, die früher oft Schwarzen Menschen zugeschrieben wurde.
Gleichzeitig ist es auch der Aspekt des Kümmerns, für den sich McClodden interessiert. Anders als in der Konfrontation mit struktureller Gewalt, wie beispielsweise in dem rassistisch-motivierten gesellschaftlichen Ausschluss, findet die beim BDSM ausgeübte Gewalt einvernehmlich statt. Sie wird eine Form der Zärtlichkeit und Ausdruck des füreinander Sorgens – oder, wie in McCloddens Performances, des um sich selbst Sorgens.
Mit ihren intimen Arbeiten konfrontiert McClodden die Betrachter*innen sowohl mit historischen Traumata, als auch mit ihrem eigenen Schmerz, der sich in performativen Offenlegungen ein kontrolliertes Ventil sucht. Am Ende der Ausstellung müssen sie sich entscheiden: entweder sie verharren in dem dargestellten Schmerz, oder finden darin Erlösung, wenn dieser von der Künstlerin versöhnlich nach außen getragen wird. Dies ist jedoch kein Angebot der Künstlerin selbst – denn ihr Ziel bleibt ein persönliches.
WANN: Die Ausstellung “THE POETICS OF BEAUTY WILL INEVITABLY RESORT TO THE MOST BASE PLEADINGS AND OTHER WILES IN ORDER TO SECURE ITS RELEASE” läuft bis Sonntag, den 13. August.
WO: Kunsthalle Basel, Steinenberg 7, 4051 Basel.