Wetten, Faschismus?
Frankfurter Hauptschule im Neuen Aachener Kunstverein

27. Januar 2022 • Text von

„kANzELKuLTuR“ ist die erste institutionelle Ausstellung der Frankfurter Hauptschule. Doch Aufsehen erregt erst einmal ein Kunstwerk außerhalb des Neuen Aachener Kunstvereins. Ein Traumfänger mit Nazi-Symbol ruft die Stadtgesellschaft auf den Plan. Dabei kann man sich, gerade als Fan junger Kunst, auch an der Innengestaltung so schön reiben.

Das Erdgeschoss des Neuen Aachener Kunstvereins ist mit Stroh ausgelegt und in warmes Licht gehüllt. Zu sehen: eine fellbedeckte Schaukel mit Dolch-Mobile, ein Terrarium, um das eine Keule rotiert.
Installationsansicht Frankfurter Hauptschule „kANzELKuLTuR“, Neuer Aachener Kunstverein, 2022. Foto: NAK.

Tierfell im Rücken, SS-Dolch im Auge. Jedenfalls fast. Oder vielleicht. Besucher*innen des Neuen Aachener Kunstvereins (NAK) brauchen ein bisschen Vertrauen, wollen sie unter dem scharfkantigen Mobile schaukeln, das die Frankfurter Hauptschule im Ausstellungsraum installiert hat. Die Stichwaffen wirken fest vertaut, aber man kann ja nie wissen. Und überhaupt: Wäre nicht das erste Mal, dass man der Hauptschule auf den Leim gegangen ist. Wie man sich bettet, so liegt man, heißt es. Und in dem Fall liegt man womöglich ahnungslos, jedenfalls mehr oder minder sorgenfrei unter einem Himmel, den auch doppelte Siegrunen zieren. Nicht mal mehr Fläzen darf man unüberlegt.

Die Frankfurter Hauptschule ist für medienwirksame Stunts bekannt. Sie haben eine Beuyssche Capri-Batterie verschwinden lassen – und nachgebaut und zum Verkauf angeboten, sie haben ein Polizei-Auto in Brand gesetzt (LEL). Ihr Erfolg misst sich unbedingt auch in öffentlicher Resonanz jenseits der Kunstkritik. Seit ein paar Monaten treten sie geradezu seriös als Lehrende an der Berliner Universität der Künste auf. Nicht trotzdem, sondern vielleicht gerade deswegen muss die erste institutionelle Einzelausstellung der Künstlergruppe knallen. „kANzELKuLTuR“ im NAK vereint Nazi-Symbolik, Eso-Flair und Selbstmord-Witze, trägt das Reizthema „Cancel Culture“ kokett im Namen und hat bereits wenige Tage nach Eröffnung die Aachener Stadtgesellschaft in Aufruhr versetzt.

Der Traumfänger der Frankfurter Hauptschule ist im Aachener Kurgarten installiert. Auf Bild 2 wird er nachts von Jugendlichen angeleuchtet. Auf Bild 3 ist er bereits von der Stadt abmontiert.
Frankfurter Hauptschule: “Osten ist rechts”, 2022, Styropor, Polyurea, 300 x 170 cm. Foto 1: NAK. Foto 2 + 3: gallerytalk.net

Das Ärgernis: ein übergroßer Traumfänger, installiert im Kongreßdenkmal inmitten des Kurgartens. Keine 100 Meter Luftlinie zum Kunstverein und doch weit genug weg, um von Passant*innen kontextlos erstmal ausschließlich als das aufgefasst zu werden, was das Objekt ja gewissermaßen auch ist: eine esoterisch aufgehübschte Schwarze Sonne, ein Ornament aus zwölf Siegrunen oder drei übereinandergelegten Hakenkreuzen – wie man es eben lesen mag. Anders als SS-Runen und Hakenkreuze sind Abbildungen der Schwarzen Sonne in Deutschland nicht verboten. Eigentlich.

Bereits am Tag vor der Eröffnung rückte der Staatsschutz an. Das könne doch nicht – doch, doch, man habe eine Genehmigung. Zur Vernissage am vergangenen Samstag waren feiernde Jugendliche unter dem Traumfänger zu beobachten, am Tag drauf fehlte eine Feder, am Dienstag der Rest. Mitarbeiter der Stadt Aachen hatten ihn verladen. Wer wann wem und mit welcher Begründung schließlich aufgetragen hatte, das Kunstwerk zu entfernen, spielt im Grunde keine Rolle. Und irgendwie ist es ja auch ganz schön, zu wissen, dass Rechtsrucksymptomatik zuweilen Einhalt geboten werden soll. Der Traumfänger ist jedenfalls weg und damit auch ein Werk, das wesentlich zum Verständnis der Ausstellung hätte beitragen können. Die Konfrontation mit rechten Bildwelten ist nämlich, klar, unangenehm, aber vielleicht auch nötig.

Installations- und Detailansichten von Arbeiten der Frankfurter Hauptschule im Neuen Aachener Kunstverein. Zu sehen sind mittelalterliche Leuchter mit "falschen" Kerzen, ein Dolch-Mobile sowie ein Schild mit dem QAnon Schamanen vor gekreuzten Schwertern.
Installations- und Detailansichten Frankfurter Hauptschule „kANzELKuLTuR“, Neuer Aachener Kunstverein, 2022. Fotos: gallerytalk.net.

So muss die Finesse von „kANzELKuLTuR“ eben im Innenraum des Kunstvereins erschlossen werden. Bei stimmungsvollem Zierkerzenschein, den strohbedeckten Boden in der Nase finden sich Besucher*innen des NAK umgeben von einem Blumen-bestückten Trinkhorn-Arrangement und Drachenkopf-verzierten Schwertern. Eine Keule rotiert um ein Terrarium, das für die Dauer der Ausstellung von einem Skorpion und jedenfalls für den Moment auch von den von ihm verschmähten Futtertieren bewohnt wird. Das Konterfei des „QAnon Schamanen“ Jake Angeli dient als Schild-Dekoration. Ein bisschen okkult, ein bisschen Mittelalter – irgendwie rechts? Den eingangs erwähnten SS-Dolch muss man ja überhaupt erstmal entdecken.

Bitte genau hinschauen also. Und vielleicht jedenfalls kurz innehalten, wo nordische Mystik ein ästhetisches Erlebnis verheißt. Sonst findet man sich womöglich ganz schnell inmitten Räucherholz vernebelter, brauner Grütze wieder. So könnte man die trügerische Inszenierung verstehen. Und tatsächlich möchte die Frankfurter Hauptschule ihre Ausstellung auch als Fingerzeig in Richtung Kolleg*innen verstanden wissen, die sich vermeintlich achtlos einer Symbolik bedienen, die sie wenigstens optisch in die Nähe rechter Gruppierungen rückt. Looking at you, Tannhäuserkreis! Oder bergen die einzelnen Positionen dieser Gruppe vielleicht genau das kritische Potenzial, das auch die Frankfurter Hauptschule für sich beansprucht, etwa wenn sie mit roten Stoffbahnen mit Schwarz-Weiß-Logo auf der Rückseite des NAK Nazi-Beflaggung suggeriert, nur um sie als grenzwertig problematischen Batik-Kitsch zu entlarven?

Hinter dem Neuen Aachener Kunstverein sind von der Frankfurter Hauptschule entlang der Allee rote Flagen mit schwarz-weißen Symbolen installiert.
Frankfurter Hauptschule: “Fusion”, 2022, 10 Batikflaggen, jeweils 220 x 100 cm. Foto: NAK.

Ja, die Frankfurter Hauptschule provoziert. Zuweilen mit einer Plakativität, die dem linken Feingeist aufstoßen mag und darf. Das Traumfänger-Fiasko zeigt: Allein dem Aufrufen aufgeladener Symboliken ist Kritik nicht inhärent und Kontext muss man sich erschließen, besser: erschließen wollen und können. Wieso die Schwarze Sonne sich ausgerechnet in einem Traumfänger wiederfindet, wurde von den aufgebrachten Passant*innen online jedenfalls nicht diskutiert. Da heißt es: „Reiß ab den Rotz!“ und damit ist der Drops gelutscht. Debatte beendet. Was ist damit gewonnen? Natürlich wird es keine museale Erklärungstafel zu Füßen des Kongreßdenkmals geben. Die Hauptschule erklärt sich nicht.

Im Traumfänger verschmelzen rechte Symbolik und esoterische Ästhetik. Allwöchentlich marschieren durch den Kurgarten Impfgegner*innen. Was sich hier am Aufreger-Objekt durchexerzieren lässt, ist die Essenz der ästhetisch-ideellen Gemengelage, die es im NAK zu dekodieren gilt. Vielleicht steckt die nachhaltigste Sprengkraft der neuesten Hauptschul-Arbeiten im dezenten Anpinkeln des Kunstbetriebs. Die Installationsansichten von „kANzELKuLTuR“ würden sich jedenfalls passend einfügen in die Oberflächen gängiger Ausstellungsdoku-Kanäle. Dolche, Erdhaufen, Lavalampen. Auf die SS-Runen ließe sich online nicht einmal ranzoomen.

Im Obergeschoss des Neuen Aachener Kunstvereins schwebt über einem von Lavalampen gesäumten Erdhügel eine Kugel, auf die ein Video der Frankfurter Hauptschule projiziert wird.
Frankfurter Hauptschule: “Schrein”, 2022, Rauminstallation mit 3D-Mapping. Fotos: gallerytalk.net.

Die Frankfurter Hauptschule behauptet: „Innerhalb der nächsten zehn Jahre wird wieder Faschismus herrschen.“ Wer dagegen hält, ist eingeladen, in der Ausstellung ein Kunstwerk zu erwerben. Die Künstler*innen geloben, es zurückzukaufen, sollte sich ihre Prognose als falsch erweisen. 250 Euro kostet die günstigste Arbeit, eine Edition. Kein Schnapper, aber ein vertretbarer Einsatz bei sicherer Gewinnaussicht. Wird so schlimm schon nicht kommen, oder?

Wenn du dir so sicher bist, dass die Hauptschule wüsten Unfug verbreitet, investier doch! Und na gut, wenn du keine Runen im Park willst: Beschwer dich! Beschwer dich dann halt gern auch, wenn am Samstag schon wieder Querdenker*innen in ihrer besorgt-wirr-esoterisch-rechtsradikalen Zusammensetzung deine Spazierroute kreuzen. „kANzELKuLTuR“ ist auf ganz unterschiedlichen Ebenen eine einzige Aufforderung, sich zu verhalten – manchmal mit dem Brecheisen in Form von eindeutig lesbarer Nazi-Symbolik, darüber hinaus eben auch mit viel subtileren Mitteln.

Im Obergeschoss des Neuen Aachener Kunstvereins schwebt über einem von Lavalampen gesäumten Erdhügel eine Kugel, auf die ein Video der Frankfurter Hauptschule projiziert wird, die Fenster des Raums sind mit Holz zugenagelt.
Installationsansicht Frankfurter Hauptschule „kANzELKuLTuR“, Neuer Aachener Kunstverein, 2022. Foto: NAK.

Um es, denn so und nicht anders gehört es sich für einen sorgsam recherchierten journalistischen Beitrag, mit den Worten eines Reddit-Users zu sagen: „Sie scheinen einen Nerv zu treffen. Ob ich die Aktion in dieser Form begrüße, weiß ich noch nicht“. Man kann das alles geschmacklos oder auch schlicht hässlich finden. Auch die Aktivierung einer Ablehungshaltung ist, wenngleich vielleicht nicht der sympathischste, womöglich ein gangbarer Weg, diesen viel zitierten sogenannten Diskurs zu befeuern. „kANzELKuLTuR“ verbreitet ein Unbehagen, dass natürlich niemand aushalten muss, dem man sich aber stellen könnte, sofern man gewillt wäre, den Faschismus nicht als anrollendes Übel, sondern als verwoben in unsere Gesellschaft zu begreifen.

WANN: Die Ausstellung „kANzELKuLTuR“ der Frankfurter Hauptschule läuft bis zum 12. März. Am Samstag, den 12. Februar, lädt die Gruppe von 14 bis 20 Uhr zur Midissage.
WO: Neuer Aachener Kunstverein, Passstraße 29, 52070 Aachen.