Die eigene Stimme finden
Absolvent*innenshow der Kunstakademie Düsseldorf

24. Februar 2021 • Text von

Im Untergeschoss des K21 der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen entfaltet sich in einem Setting zwischen „White Cube“ und „Black Box“ eine energiegeladene Atmosphäre. Aktuell findet dort hinter verschlossenen Türen die Ausstellung der Absolvent*innen der Kunstakademie Düsseldorf des Jahres 2020 statt. Die Arbeiten sind stark und schaffen es meist, sich von den Themenfeldern zu emanzipieren, nach welchen die Ausstellung gegliedert ist.

Coming To Voice, Absolvent*innen der Kunstakademie Düsseldorf 2020, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 2021, Foto: Achim Kukulies

Die Künstler*innen präsentieren ihre Werke in einer Gruppenausstellung im K21, die von zwei Volontärinnen der Kunstammlung, Florentine Muhry und Cécile Huber, kuratiert wurde. Die verschiedenen Stimmungen zwischen Schutzraum und Bedrohungsszenario oder zwischen Utopie und Dystopie lassen sich in vielen der Werke der Ausstellung nachvollziehen. Die Arbeit „The Cure“ von Marleen Rothaus ist eine der ersten, die beim Betreten der weitläufigen, weißen Ausstellungsfläche ins Auge sticht. Auf einer großen Wand hängt an massiven Ketten befestigt weit oben ein Banner, dessen Farbschema um grelle Violett- und Grüntöne kreist. Die abgebildete Szene erinnert in ihrem Stil an einen mittelalterlichen Druck. Sie zeigt eine teufelsähnliche, sehnige Figur, die einer augenscheinlich geschwächten Person ein Getränk ans Bett bringt. Die Künstlerin selbst beschreibt als Ausgangspunkt für die Illustration eine Abhandlung über Hexen aus dem 18. Jahrhundert. Eine Zeit, die von der sogenannten Hexenverfolgung, der Mystifizierung und Abwertung der Frau geprägt war. In der politisch-aktivistischen Arbeit von Marleen Rothaus wird dieses Bild subversiert, denn hier verspricht die teuflische Figur der anderen eine Heilung: Der Schriftzug „I’ve got the cure to relieve your pain“ prangt auf dem Banner.

Coming To Voice, Absolvent*innen der Kunstakademie Düsseldorf 2020, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 2021, Foto: Achim Kukulies

Darunter strecken sich nach oben in Richtung von „The Cure“ die Keramikhände der Arbeit „carry me away“ von Josephine Garbe aus. In verschiedenen Längen und mit verschiedenen Erdtönen glasiert stehen sie angelehnt an die Wand auf dem Boden und strahlen Begehren aus – als würden sie etwas erreichen wollen, das noch nicht da ist. Das Emporstrecken ist Zeugnis von der Energie, von welcher die gesamte Ausstellung geprägt ist, denn Visionen werden sichtbar: von Gemeinschaft, von Toleranz, von gesellschaftlicher Subversion und der Reflektion über Identitätssuche und Zugehörigkeit.

Coming To Voice, Absolvent*innen der Kunstakademie Düsseldorf 2020, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 2021, Foto: Achim Kukulies

Das Symbol der ausgestreckten Hand begegnet den Besucher*innen erneut im Werkensemble „Coming To Voice“ von Luki von der Gracht, das titelgebend für die gesamte Ausstellung ist. Die eindrucksvolle rote Hand auf schwarzem Untergrund ist außerdem das Titelbild, fast das Icon der Ausstellung. Sie wirkt wegweisend, gleichzeitig bedrohlich. Die Hand, deren Aura an einen Segensgestus erinnert, strahlt Stärke aus. Die rote Signalfarbe scheint zu warnen: Die eigene Stimme zu finden und sich für etwas einzusetzen, kann ebenfalls zwischen diesen Polen changieren. Das Ensemble von Luki von der Gracht ermutigt die Besucher*innen dennoch dazu.

Coming To Voice, Absolvent*innen der Kunstakademie Düsseldorf 2020, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 2021, Foto: Linda Inconi

Die Arbeit ist dreigeteilt und besteht jeweils aus einem Bild, einem Sitzhocker aus Plexiglas, gefüllt mit Zeitungsartikeln, und einem gesprochenen oder gesungenen Text. Dieser ertönt aus einer Sounddusche und wird dann deutlich hörbar, wenn sich die Besucher*innen direkt darunter mit frontalem Blick auf das jeweilige Bild befinden. Die Bedrohlichkeit der roten Hand wird durch die Zeitungsartikel wieder aufgegriffen, die schmerzlich auf die diskriminierende Repräsentation von trans*identen Menschen in öffentlichen Medien aufmerksam machen. Das Ensemble steht dem zu trotz und erzählt von Identitätssuche und Orten des Schutzes und der Zusammengehörigkeit. „In my next life I’ll have wings, in my next life I’ll wear high heels“, steht auf einem Bild geschrieben.

Coming To Voice, Absolvent*innen der Kunstakademie Düsseldorf 2020, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 2021, Foto: Achim Kukulies

Schnell und rhythmisch wummernd durchdringt die Soundinstallation von Yoora Park fast die gesamten Räume der Ausstellung. Durch die massiven Lautsprecher, die in der aktuell schwarz gestrichenen Rotunde der Ausstellungsfläche aufgebaut sind, wird die Szenerie immersiv. Der eigene Körper kann sich der Vibration kaum entziehen. Die Arbeit ist Teil des Themenfeldes „Innovation“, in dem es um den Dialog zwischen dem Digitalen und dem Analogen in der Kunst geht. So offen der Begriff auf den ersten Blick auch wirkt, so eingrenzend ist er doch. Die Arbeit „actually I’m not like that 2“ von Rebekka Benzenberg entzieht sich wie eine Antwort darauf aus jeglichem Kategorisierungsversuch: Der Pelzmantel und die Lautsprecher, die an Lautsprecherformationen auf Polizeiautos oder in Fußballstadien erinnern, wirken durch die gezielt gerichteten Scheinwerfer dystopisch. Gleichzeitig strahlt diese Formation eine Attitüde aus – sie lässt sich nichts gefallen. Rebekka Benzenberg scheint von einer Aufbruchsstimmung zu erzählen und dem Drang laut zu werden: „Coming To Voice“ eben. 

Coming To Voice, Absolvent*innen der Kunstakademie Düsseldorf 2020, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 2021, Foto: Achim Kukulies

Die Gestaltungsfarben des Ausstellungsdesigns wechseln zwischen weiß gehaltenen und schwarz gestrichenen Bereichen. Die kuratorische Entscheidung, mit einigen Ausstellungsflächen den White Cube zu konterkarieren ergibt Sinn. Die Raumwirkung ändert sich dadurch enorm. Mitten in der Ausstellung gibt es sogar eine Art „Black Box“, in der hintereinander Filmarbeiten gezeigt werden. Der Film „ラブ (LOVE o. TENNIS null Punkte)“ von Vivien Mohamed beispielsweise untersucht Machtgefüge anhand eines Tennismatches – Kaffeewackelpudding in den Pausen des Spiels inbegriffen. Man müsse sich nur an die Konsistenz gewöhnen, dann könne man gar nicht mehr ohne. 

Vivien Mohamed, Filmstill aus: “ラブ (LOVE o. TENNIS null Punkte)”, 2020, Courtesy the artist

Die Beschreibung der scharfsinnigen Arbeiten könnte noch seitenweise weitergeführt werden und die Ausstellung mit ihren rund 70 Positionen hätte es mehr als verdient, von einem breiten Publikum gesehen zu werden. Wie eingangs erwähnt, wurde die Absolvent*innenausstellung in fünf Themenfelder gegliedert: Intuition, Relation, Destination, Formation und Innovation. Diese Begriffe sind relativ offen, irgendwie aber auch nicht. Es erscheint fast wie ein Widerspruch, dass die Werke der Künstler*innen unter Begriffen subsumiert und kategorisiert werden, die Ausstellung allerdings den Titel „Coming To Voice“ trägt.

Coming To Voice, Absolvent*innen der Kunstakademie Düsseldorf 2020, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 2021, Foto: Achim Kukulies

Die Schwierigkeit liegt hier allerdings eher bei dem grundsätzlichen Konzept der Themenfelder der Ausstellung und weniger bei den künstlerischen Arbeiten, die fast durchweg komplexe Sujets ansprechen. Auch wenn diese Begriffe nur Vorschläge sind, werden die Arbeiten teilweise aufgrund der Vorsortierung unverdienterweise runtergebrochen. Die Misskonzeption kann man kaum den Kuratorinnen vorwerfen, sondern eher der irreführenden Idee, eine inhaltlich verbundene Gruppenusstellung zu konstruieren, deren einziger einender Faktor die Tatsache ist, dass die Künstler*innen im selben Jahr ihren Abschluss an der Kunstakademie machen. Absolvent*innenausstellungen sind unverzichtbar, ein passendes Konzept zu finden bleibt schwierig.  

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis zum Sonntag, den 21. März 2021.
WO: K21 der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Ständehausstraße 1, 40217 Düsseldorf.

Vielen Dank an die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen für die Unterstützung bei den Fahrtkosten.

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