Pudding mit bitterem Nachgeschmack
Olivia Sterling bei Meyer Riegger

8. November 2022 • Text von

In Olivia Sterlings “Dinner with a Show” gibt es neben Speisemalerei auch eine kulinarische Sittenkomödie zu bestaunen. Mithilfe cartoonesker Darstellungen setzt sich die Künstlerin mit Rassismus, Ungleichheit und Übergriffigkeit auseinander. Da kann einem das Tatar schon mal im Halse stecken bleiben.

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Olivia Sterling: Food Stains #3, 2022 / Food Stains #2, 2022. Courtesy the artist and Meyer Riegger, Berlin/Karlsruhe. Photo: Oliver Roura.

Die Galerie Meyer Riegger hat Olivia Sterling kurzerhand in ein Restaurant verwandelt: Hier spielt sich “Dinner with a Show” ab, die erste Einzelausstellung der Künstlerin in Deutschland. Jeder Raum ist in einer anderen Farbe gestrichen, der Eingangsbereich beispielsweise in Rot. Die auf Leinwand gemalten Szenen verraten, dass es sich um den Speisesaal handelt. Es herrscht ein Ambiente von Völlerei und Überfluss: Dicke Fleischbällchen rollen von einem mit feisten Spaghetti beladenen Teller, ein Tartar ist quer über den Tisch verteilt, ein Schokopudding ist auf die weiße Tischdecke geplumpst. Kein Wunder also, dass die Kleidung der Dargestellten mit diversen Essensresten bekleckert ist.

Die gesamte Szenerie wirkt außer Kontrolle. Dass keine der Personen vollständig dargestellt ist, trägt zur Verunsicherung bei. Oft ist bloß ein Gewirr aus Händen oder Füßen zu erkennen – oder die Perspektive ist ungewöhnlich: In der Arbeit “Small Openings” nimmt man die voyeuristische Position unter einem der Tische ein und wir Zeug*in, wie eine weiblich gelesene Person von ihren Tischnachbarn bedrängt wird. Ihr Kleid ist hochgerutscht und ihre Unterwäsche entblößt. Es ist nur eine der zahlreichen Situationen, in denen man mit unappetitlichen Ausuferungen oder Grenzüberschreitungen konfrontiert wird.

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Olivia Sterling: Small Openings, 2022. Courtesy the artist and Meyer Riegger, Berlin/Karlsruhe. Photo: Oliver Roura.

Doch die unmündige Position bleibt bestehen: Weshalb hier was passiert, ist der Fantasie überlassen. Warum klatschen einige Gäste Beifall? Und in welcher Beziehung stehen die Dargestellten zueinander? Die so propagierte “Show” bleibt uneindeutig, was dazu verleitet, jede Situation ausgiebig zu analysieren. Das ist übrigens auch der Grund für die kleinen Buchstaben auf Sterlings Arbeiten: B, P und W stehen für die englischen Begriffe Black, Pink/Peach und White. Die Künstlerin möchte damit einerseits verdeutlichen, wie schnell Menschen zur Kategorisierung neigen. Andererseits spielt sie damit auf Machtgefüge in öffentlichen Räumen an, die von Personen of Color genau gescannt werden müssen.

In der blau gestrichenen Küche nebenan dominieren weiß gekleidete Kellner*innen und Köch*innen die Leinwände. Im Gegensatz zu den Gästen sind alle Angestellten Schwarz. Sie sind ineinander verknotet, scheinen sich gegenseitig zu stützen oder festzuhalten. Ihre weißen Servietten sind mit braunen Flecken beschmutzt: Für Sterling sind sie ein Symbol des Schwarzseins in einer weißen Gesellschaft. Oft, so Sterling im Begleittext der Ausstellung, fühle man sich als Schwarze Person wie ein farbiger Lebensmittelfleck auf einem schneeweißen Tuch.

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Olivia Sterling: Dinner with a Show, 2022. Courtesy the artist and Meyer Riegger, Berlin/Karlsruhe. Photo: Oliver Roura.

Durch ihre Lebhaftigkeit und Vieldeutigkeit vermitteln Sterlings Bilder den Eindruck von zeitgenössischer Genremalerei, die einem allegorische Szenen des alltäglichen Lebens vorführt. Der Tradition entsprechend offenbart sie Missstände unserer Gesellschaft. Wie in einer comic-artigen Sittenkomödie beginnt man, sich eine Storyline zusammenzureimen: Geht es hier um Rassismus, Sex, Bündnisse, Völlerei? Und wie lautet die Moral von der Geschichte?

Im kleinsten Ausstellungsraum offenbart sich das Ende der Ereignisse: Ein Mann wird von einer*m Serviceangestellten mit Tritt in den Hintern aus dem Lokal geworfen. Obwohl der vermeintliche Bösewicht bekommt, was er verdient, bleibt das Gefühl zurück, dass es sich hier um Wunschdenken handelt. In der Realität werden Rassismus oder anderes missbräuchliches Verhalten viel zu selten geahndet.

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Olivia Sterling: Dinner with a Show, Ausstellungsansicht. Courtesy the artist and Meyer Riegger, Berlin/Karlsruhe. Photo: Oliver Roura.

Sterlings Arbeiten leben von ihrer Vieldeutigkeit. Sie vermitteln lediglich ein vages Bauchgefühl davon, was in diesem fiktiven Restaurant vor sich geht und verknüpfen unbekümmerten Cartoon-Realismus mit gesellschaftlich relevanten Themen. Als halte man sich in einem begehbaren Comicheft auf, will man unbedingt wissen, wie es weitergeht. Die Arbeiten der Künstlerin kommen zwar farbenfroh und anziehend daher, verzichten jedoch nicht auf den notwendigen bitteren Nachgeschmack. Bon Appetit!

WANN: Die Ausstellung “Dinner with a Show” von Olivia Sterling läuft noch bis zum 10. Dezember.
WO: Meyer Riegger, Schaperstrasse 14, 10719 Berlin.

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